Dienstag, 11. Februar 2014


Besuch mich nicht, du wirst mich nicht finden

Ich erhalte ja selten Besuch hier in meiner bescheidenen Tiki-Sperrholzklause, was verschiedene Gründe hat, mentale oder körperliche Abwesenheit, regionale Abgeschiedenheit oder eine gewisse, man könnte es nennen Kompliziertheit beim Versuch, Einlaß zu erlangen:

Darauf fragt einer der Kapuziner-Brüder von drinnen: "Wer begehrt Einlass?" Der Herold antwortet mit allen zu Lebzeiten der/des Verstorbenen getragenen Titeln. Von drinnen erfolgt allerdings die Antwort "Wir kennen sie/ihn nicht!". Daraufhin klopft der Herold noch einmal. Wieder wird gefragt "Wer begehrt Einlass?" Diesmal antwortet der Herold mit der Kurzfassung der Titel. Doch die Antwort ist abermals "Wir kennen sie/ihn nicht!". Der Herold klopft ein drittes Mal, erneut wird dieselbe Frage gestellt. Nunmehr nennt der Herold nur den Vornamen und fügt "ein sterblicher und sündiger Mensch" an, woraufhin das Tor geöffnet wird. [Q]

Wißt ihr Bescheid, wenn es über die Sprechanlage knistert, "Wer begehrt Einlaß?", so antwortet mit eurem Usernamen und der Formel "ein sterblicher und sündiger Mensch", sonst drücke ich nicht auf den Türöffner. Schluß mit diesem Titelgewese, eitel herausgestellten Einkommensbescheiden oder von Interessensverbänden manipulierte Listen über "die beliebtesten Besucher der Deutschen"!

Oder Namenkratzen in weißgekalkte Wände. Klageläuten pauschal bezahlter Textnachrichten. Hautrisse flüchtiger Begegnungen, erinnerungswelke Trauerblumen auf Fußmatten, geklaubt von Türschwellen, Grenzzäunen, altersbeschränkten Tanzdielenveranstaltungen. Die letzten Passierscheine nämlich habe ich längst schon ausgegeben, verschenkt.

Ich weiß doch, wo du damals herkamst.


 


Donnerstag, 6. Februar 2014


Anker werfen



In aller Herrgottsfrühe zog die Karawane, beladen mit Maschinenteilen, Stahlcontainern, chromblitzenden Werkzeugen, Knochensägen und kilometerweise Netzwerkkabeln, durch die Straßen der Stadt, nun ist die neue Fabrikhalle bezogen. Die Fenster unserer Montagehalle zeigen zum Hafen raus, die Kollegen rufen "Ein Schiff! Ein Schiff!". Ich sage, nach feinhistologischer Begutachtung geht das auch präziser und verweise auf den Hafenradar für eindeutigere Diagnosen. Vom Kapitän weitere gute Nachrichten. Der Tarif für Schauerleute, Gehirnchirurgen und Hafenarbeiter wurde erhöht, dieses "Meer" (Haha, Wortspiel!) lohnt allerdings kein Konto in der Schweiz. Es wird also in absehbarer Zeit, sollte mir steuerlich nicht siedendheiß etwas einfallen, keine gemeinnützige Stiftung Hoeneß-Schwarzer-Kid-&-Co. geben, zumal mit mir als moralisch überlegene Belehrungsperson sowieso kein Staat zu machen ist.

Mittags könnte man nun Muscheln, Hummer, Scampi oder Perlhuhn kaufen gehen, in der Umgebung ist aufwendig zum Chefarzttarif gedeckt. Alles Fisch, frisch & fein, nur finde einmal ein gut abgehangenes, solides Käsebrot, bei dem die Rinde vom erschöpften Liegen schon leicht welk und hart geworden ist. Hoffnung bleibt, daß das Hafenklang einen Punker-Mittagstisch (Menü 1: "Astra mit Kartoffel", Menü 2: "2 Astra mit Kartoffel") einrichtet für die Heizer aus dem Maschinenraum und dem anderen niederen, unter mottenlöchrigen Pferdedecken schwitzendem Personal.

Abends allerdings sind steile Treppen zu bewältigen, der Generationenvertrag wirkt leider nicht so weit, daß jüngere Kollegen mich Huckepack nähmen. Ich könnte ansonsten, eine kleine Reitgerte fuchtelnd, Hat-hat! wie Lawrence von Arabien die Hügel stürmen, mich dabei wacker auf den schwankenden Schultern der Nachwuchsriesen haltend. Allein, alles allein muß man machen.

Nachts allerdings bin ich früher zu Hause. Nach langem Dienst unter funzeligen, aber "intelligenten" Leuchten, und damit sind die Tischlampen gemeint. Die schalten ein, wenn man atmet oder mit den Augen blinzelt, so genau wissen wir das noch nicht. Die schalten ab, wenn jemand hustet oder sein Pausenbrot auswickelt. So genau wissen wir das nicht, aber ein Architekt soll den geheimen Plan dazu besitzen. Oder gedacht haben. Nachts also, wenn die Schiffe dann schlafen und mit ihren Lichtern übers Wasser winken, könnte man glatt hierbleiben wollen. Selber Anker werfen. Alles gut nennen. Erstmal.


 


Samstag, 1. Februar 2014


Pinku Eisu



Zum Anfang des eisverschollenen Tages heute morgen konnte ich mein Einstecktuch nicht finden und blieb daher nach reiflicher Überlegung der Arbeit fern, um keinen falschen Eindruck von meiner Person und meinem Erhaltungszustand zu erzeugen. Dahinter steckte aber in Wahrheit kein modeinduzierter besonderer Mut, denn zur Zeit steht sowieso ein Umzug ins Haus. Die letzten Tage folglich umgeben von großen flüssigkeitsdichten Wannen, Rollregalen, Packkartons, versiegelten Stahlcontainern und allerlei Mannsvolk ("Ist Mannsvolk anwesend?") verbracht und erlebt, wie sich die Kollegenansammlung in eine nervengezupfte Dschungelcampbesatzung verwandelte. Es gab eben nur Bohnen.

Winfried, Hausbursche Engelbert und ich verbrachten also den Tag im Wintergarten im Schatten meiner Orchideenzucht und hörten das brandneue, sensationelle Album von Pinkunoizu (was sich anhört, als würden Sonic Youth die frühen Pink Floyd nachspielen). Sehr entspannt; ich dachte mir in meinen verschiedenen Rollen als innerer Winfried oder trunkener Hausbursche oder der andere, der vorgibt, ich zu sein, tiefsinnige Gespräche aus und so kamen wir ganz gut miteinander klar, während anderenorts Rubel, Häuser und Umzugsgut rollten.

Statt wie üblich samstags war ich daher ausnahmsweise schon am Freitag beim HO um die Ecke und traf völlig andere Kundschaft an. So wie den Ghost of my future Self, einen Prinz-Heinrich-bemützten Rentner, der eine Flasche Magenbitter, in Plastik verpacktes, geschnittenes Industriegraubrot und zwei Dosen Sardinen in Öl aufs Laufband packte. Wir tauschten eine launige Bemerkung, denn wir sind von ein und derselben ledrigen Haut.

Letzte Woche indes (!) mit zwei neuen, nicht ausgedachten Ärzten zu tun gehabt, die sich jeweils eine geschlagene Stunde mit mir, der Gesamtsituation und meinen Befunden auseinandersetzten. Dass es so etwas noch gibt! Überhaupt, diese Befunde. Sozusagen mein Lebenswerk, wie ich erkannte, denn obgleich ich keine Romane schreibe, hat mein Körper beschlossen, dies engagiert in mehreren Bänden für mich zu tun. Das Opus magnum, sozusagen a Body of Work, ist mittlerweile angewachsen auf den Umfang von Gustav Freytags Soll und Haben, liest sich aber wie ein Roman von Dickens, grimmig, verwinkelt, voller Nebenfiguren mit sprechenden Namen, unglaublicher Wendungen, erleichterndem Humor, etwas Rührung und vielen mysteriösen Vorausdeutungen. Ob ich der Held meiner eigenen Geschichte bin? Die Ärzte fanden die Frage witzig und verwiesen auf wissenschaftliche Studien, nach denen ein deutlicher Prozentsatz Romane mit offenem Ende, äh, endet. Schließt.

Weitermachen.

>>> Geräusch des Tages: Pinkunoizu, The Great Pacific Garbage Patch


 


Samstag, 25. Januar 2014


Spooky



Meinen Maileingang finde ich gerade etwas unheimlich. < molamode >Ich kann doch nichts dafür!< /molamode > Fehlt nur noch, daß sich mein Haus als eine von Schrotkugeln durchlöcherte Bretterbude im Süden der USA entpuppt, in der ich mit meiner entstellten Familie seltsamen Hobbys nachgehe.

Nachher heißt es wieder, woaas, a Serienmörder? - er schien so ein harmloser, netter Nachbar, ich hatte den auch auf der Blogroll. Früher hätte man gleich ein Spiel daraus gemacht, poste spontan drei aufeinanderfolgende Betreffzeilen aus deinem Mailaccount, aber vielleicht gibt es das auch schon. Wir im Hinterwald der USA hinken ja immer ein wenig hinterher.

Wer übrigens eine Reise plant ins Land des Unheimlichen, mag dieser Karte folgen: Fire Walk with Me, eine Route quer durch Twin-Peaks-Land. (Um auch mal eine andere wegweisende US-amerikanische TV-Serie aus den - Achtung! - 90ern zu erwähnen.) Mehr solcher Reisen zu Filmlocations gibt es hier. Klopft aber nicht bei mir an, ich muß Fleisch sieden. Für ein Barbecue mit der glatzköpfigen Familie.

>>> Geräusch das Tages: Lydia Lunch, Spooky


 


Freitag, 24. Januar 2014


Jeeeeees's, save me!

Offensichtliche Erkenntnis: Nur Polly kommt mit so einer Klamotte durch. Weshalb sie auch ruhig den ganzen, schlangenumwundenen Weg gehen kann, ohne Schaden zu nehmen.

Für die eigenen Wege, sollte man dereinst blind über eine schwankende Planke laufen müssen, sollte man rechtzeitig Sicherheitsleinen spannen. Was ich denn machen könnte, denke ich, ist, also falls alle Stricke reißen sollten, also dann könnte ich zum Beispiel Kartenleger im EsoTV werden. Ich würde dann im Fernsehen sitzen, ein wenig mit einem Packen Karten spielen, sie hin- und herschieben, durchmischen, Hm hm hm murmeln und dann ausschließlich Dinge sagen wie Hoffnung ist Opium fürs Volk oder Nein, da kommt keiner mehr oder auch einfach, in der "Blitzrunde": Die Antwort ist Nein.

In einem eigenen Shop dann vielleicht geweihte Duftkerzen oder nutzlosen Krempel verkaufen. Vielleicht gemeinsam mit diesem Österreicher, der über seine schwarze Kollegin sagt, sie sei a schoan "eine süße Schokomaus". (Na ja, Negerkuß darf man ja nicht mehr sagen.) Charme verkauft! Da gibt es nichts. Anders wiederum der schwarze Kollege, der gestenreich und überhaupt nicht selbstgefällig erklärt, wie man "mit einer gewissen Strenge" selbst die verhaltensauffällige Blondine zum Erfolg führt. Der hat's raus, denkt man, dankbar für die beinahe beitragsneutrale Lehrstunde in Sozialverhalten.

Welche Mühe kostete es sonst, so viel intensivierte Menschenkunde zu erleben? Man müßte Gemeinschaft suchen, gar Freundschaften schließen oder wenigstens ein Blog betreiben. Mühsam. Jeeeeees's, save me! rufe ich entrückt, während ich weiter die Wäsche zusammenlege. Denn das ist das schöne an diesen Sendungen. So wie mein Tag verläuft (morgens früh die Milch von der Straße holen, danach den ganzen Tag Daumen drehen, spät aber erst heimkehren, von Katastrophenasche und Serienmörderblut bedeckt), ist es prima, daß es auch am verlaufeneren Abend noch Bügel-TV gibt. Eine grünpürierte Köstlichkeit.

>>> Geräusch des Tages: PJ Harvey, Taut


 


Montag, 20. Januar 2014


Dinge zwischen W und Y

Wahrheit, die liegt häufig draußen, auf Parkplätzen bei Nacht oder abends auf fernen Sendern. Also nicht, daß einer noch sagt, ich würde auf Dingen herumreiten und zwar endlos oder immer wieder. Ich kann nichts dafür, empfehle aber doch dem ein oder anderen, sich die nächsten Montage frei zu halten. Ab heute nämlich wiederholt der digitale, frei empfangbare Kultursender Pro7Maxx (liegt genau zwischen 3sat und Arte) paketweise die ersten vier Staffeln dieser US-amerikanischen Agenten-Romcom, die das Fernsehen vor 20 Jahren verändert hat. Und mich auch. Und zwar nachhaltig. Beide jetzt.

Von wegen Ach-so-90er! Wer wissen will, wie es letzten Endes zu Serien wie Breaking Bad kam oder besser noch, was es heißt in einer guten Freundschaft, meinetwegen Liebesbeziehung, den Partner ins Krankenhaus zu fahren, schaut noch mal genau hin. Sonst passiert ja erstmal nichts. Da gehen zwei in ein dunkles, verwinkeltes Haus oder ein geheimes Geheimlabor und am Ende liegt einer im Krankenhaus. (Außerdem kann man studieren, wie sowohl Brillengläser wie auch Mobiltelefone immer kleiner werden. Unheimlich!)

Wie im richtigen Leben eben. Kaum blinzelt man oder stellt das Mobiltelefon aus, schon ist wieder einer weg. Wie die nette Frau M. aus dem Penny bei mir ums Eck. Die nette Frau M. nämlich, eine mit Kirschen und Würfeln und allerlei Zierrat schwertätowierte sehr junge Rock'n'Roll-Frau saß dort immer an der Kasse oder füllte das Flaschenregal oder die Brotbackmaschine und sorgte für Umsatz. Wenn sie so mein Bund Sellerie, die Literpackung Milch und zwei Joghurts über den Scanner zog, dachte ich bei mir manches Mal Komm Baby, klemm die Kasse unterm Arm und steig zu mirin den Wagen. Wir fahren einfach weg.. Laut sagen traute ich mich das aber aus Schüchternheit nicht, denn in ihrem Blick las ich etwas freundlich Mitleidiges, so als wollte sie sagen Ich mag ja Metall, das hat was. Aber ich steig doch nicht in so einen dämlichen Einkaufswagen! Fahr einen dunkel blubbernden V8er vor die Filiale, und wir reden noch einmal über den Plan. All das lag in dem wochenendverhangenen Blick der mit allerlei Zierrat schwertätowierten Frau M. Aber nun ist sie verschwunden, nicht mehr dort in der Filiale, vielleicht in ein Auto gestiegen. Ich gehe mittlerweile zu Sky.

>>> Dokumentation Inside the X-Files

Super 8 | von kid37 um 15:20h | 17 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 14. Januar 2014


Eyemazing



Seit beinahe elf Jahren gibt es das superschöne, leider aber auch superteure Eyemazing Magazine, das viermal im Jahr besondere, verstörende, besonders verstörende, auf jeden Fall ungewöhnliche Kunstfotografie zeigt. Der voluminöse Sonderband (knapp 550 Seiten) gibt einen sehr hübschen Überblick über die bisherigen Veröffentlichungen, sticht dabei mit Opulenz ins Auge, liegt aber auch gewichtig auf dem Bauch, wenn man damit auf dem Sofa kuscheln will. In der Mehrzahl sind es Schwarzweiß-Aufnahmen, sepiagetonter, osteuropäischer Morbidcharme beispielsweise, bekanntere Namen wie der schräge, eigenbrötlerische Miroslav Tichý, aber auch eine Vielzahl weniger durchrezensierte Nischenkünstler. Kuratiert werden Auswahl und Magazin von Eyemazing Susan, also Susan Zadeh aus Amsterdam. Eine Übersicht über einen Großteil der Cover gibt es hier, wo man in schneller Abfolge die inhaltliche Entwicklung von der frühen, noch deutlich werblicher orientierten Farbfotografie hin zum entrückteren Fokus auf Kunstfotografie anschauen kann. Beruhigend, daß das Magazin zuletzt so beunruhigend geworden ist.

Eine Idee, die man haben kann. Leider muß man das auch leben, was bedeutet, viel mit Menschen zu tun zu haben, die gerne laut über eigene Erfolge reden, kleine Finger abspreizen oder umständliche und verwickelte Geschichten über die Reparatur von Bulthaup-Küchen oder alten englischen Sportwagen erzählen. Kurz: Mir fehlte es nicht an Eifer, aber an Geduld, das Ganze hübsch einzuwickeln und mit verkaufsfördernder Sozialvaseline einzuschmieren. Sonst besäße ich ja ein Weltreich oder wenigstens einen alten englischen Sportwagen.