Sonntag, 5. Januar 2014


Am Tag danach



Am Tag danach verlassene Nester. Am Tag danach die Hartherzigkeit der Kollegen. Eine fachliche Diskussion über eine US-amerikanische Liebesdramaserie, der man vorwirft, irgendwas mit einer Verschwörung zu tun zu haben (als hätten das nicht alle tragischen Liebesgeschichten) und zudem tief in den Neunzigern verwurzelt zu sein. Man warte nur noch auf eine ICD-Nummer für "persistierende nostalgische Verklärung", dann könne man mir auch weitere Differentialdiagnosen stellen. Ich sage "Pff", hebe zu Belehrungen an, weiß aber, daß ich nach dem nächsten Umzug als "Spooky Kid" wohl ein Büro unterhalb der Wasserlinie beziehen muß. Verlassene Nester.

Auch sei die Bildqualität doch recht veraltet, ich antworte, aber man sehe doch nur mit dem Herzen... gut, das sage ich natürlich nicht, sonst drückt man mich womöglich bereits beim nächsten Toilettenbesuch unter die Wasserlinie. Vielleicht stellt man mir auch aus einem gewissen Argwohn heraus Scul eine Kollegin zur Seite, die meine Arbeit überwachen soll. Das kann passieren, ich habe so etwas schon einmal irgendwo im Fernsehen gesehen.

Ich werde das, wie früher auch andere schönen Dinge, vorsichtshalber unter der Bettdecke verfolgen. Ein Notebook, Milch, Kekse und ich. Eine Dienstpistole vielleicht, man weiß ja nie. Draußen wurde zuletzt viel geschossen. Merkwürdige Lichter am Himmel auch. Alle sagten wie abgesprochen "Aah" oder auch "Ooh", ein Feuerwerk und Jahreswechsel, und da wußte ich schon, das kann nur eine Verschwörung sein.

Wie zur Ablenkung aber letzte Stellen gestrichen im Bad. Meditative Freude gefunden im Abschrauben von Haken, an denen der Bademantel hängt. Meditative Freude gefunden im Wiederanschrauben von Haken, an denen der Bademantel hängt. Ein Lied gesummt, kleine Schritte, weiter Runterschalten, Stapel sortieren. Das Welträtsel muß warten.


 


Mittwoch, 1. Januar 2014


So, hätten wir das also auch geschafft



Frohes neues Jahr! Ihr könnt euch ja jetzt mal überlegen, was ihr anders gestalten wollt. So im Umgang miteinander, mit sich selbst, dem Bankkonto oder der Gesundheit. Mal wieder Bitte und Danke sagen vielleicht, im Bus oder der U-Bahn durchrutschen an die Wand und nicht außen den Platz blockieren, der Nachbarin ein paar Blumen schenken, nicht nur, wenn der Mann nicht da ist. Die Leibwäsche täglich wechseln, abends mal 'ne Mohrrübe essen, nicht so viel auf Displays gucken, sondern sich gegenseitig in die Augen.

Ich geh jetzt Bett.


 


Dienstag, 31. Dezember 2013


Pneumatische Liebe



Jetzt, wo ihr alle in rote Unterwäsche gekleidet seid (wegen des Zaubers der Silvesternacht), gilt es, letzte lose Gedankenfäden eines Jahres zu einem glücklichen Ende zu führen. Habt ihr euch nämlich nicht auch oft gefragt, frage ich mich, wo die Roboter eigentlich herkommen? Einem Artikel im Cabinet-Magazin folgend - ich dachte, an Weihnachten wenigstens ein bißchen in den Archiven zu blättern - stieß ich auf den Animationsfilm (womöglich aber auch eine Doku oder einfach ein metallisch-oxidierter Prono) von Michael Sullivan aus New York.

Der hockt seit einigen Jahren zwar rasurapparatelos, dafür aber mit einer Vielzahl anderer obskuren Maschinen und einer alten Kamera in seiner Atelierbude und bastelt aus alten Barbiekens vom Flohmarkt kleine, ordinär lebensechte Robotniks. Und filmt dann, wie die sich aus Langeweile und elektrischem Trieb wie die Tiere benehmen.

Hättet ihr, ein wenig Bastelfreude vorausgesetzt, auch selbst drauf kommen können.

>>> RoboMike


 


Samstag, 28. Dezember 2013


Merz/Bow, #45



Jahresendausfegen. Letzte Kleinreparaturen, kleine letzte Besorgungen, überhaupt, alles klein halten. Dabei eine kleine Pechsträhne entlangrutschen: die Schuhe, die ich zum Besohlen gebracht habe, sind anschließend kaputt. (Ich glaube, ich habe aber noch ein Paar. Oder drei.) Auf der Post, bei der ich zwei Paketsendungen abholen möchte, ist eines nicht auffindbar. Weg. Alles weg. Der neue Rasierpinsel gefällt mir nicht. Die Jacke, die ich mir zwei, drei Tage zu lange habe zurücklegen lassen, ist verkauft. (Ich glaube, ich habe aber noch eine. Oder drei.) Der Drucker, der bunt und schön kann, aber auh nicht so richtig, ist ausgefallen. (Wenn ich überlege, daß der alte HP Deskjet, also früher, jahrelang klaglos seinen beschränkten, dafür aber verläßlichen Dienst vollzogen hat.) Keinen Urlaub auch nicht, dafür Hunger.

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Dazu Bereitschaftsdienst. In der Mittagspause am Freitag lese ich kurz durch die Weihnachtsausgaben der Zeitungen. Der Herr Stadelmaier hatte Kolumnendienst und möglicherweise schon deshalb schlechte Laune. Herr Stadelmaier gilt als Deutschlands profiliertester Theaterkritiker, ein sensibler Mann mit breitem Wissen. Nicht so beim Film und dessen Rezeptionskonventionen. Stellen wir also klar: Gespoilert wird nicht. Auch wenn 99 Leute den Mörder kennen, es könnte einer unter Hundert sein, der ihn (oder sie) noch nicht kennt und dem man völlig unnötig den Spaß verdirbt. Das gilt auch für Genrestücke wie Agatha Christies "Die Mausefalle".

Beim klassischen Theater ist der Stoff meist gut tradiert, jeder kennt das Ende von "Romeo & Julia". Und nein, ich verrate es nicht. Aber gemeinhin enden Tragödien so und Komödien eben anders. Letztere mit einer Hochzeit, erste mit dem Tod. Weil das bekannt ist, interessiert beim Theater in aller Regel die Inszenierung. Niemand sagt: Wow, tolle Handlung. Und am Ende, stell dir vor, war's in Wahrheit die Lady MacBeth! Man sagt: Berührende Inszenierung, ergreifend, aufwühlend, beschwingt oder auch kühl, spröde, von allen guten Geistern verlassen. Oder sogar: einfallslos.

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Zurück zum Film. Stadelmaier, der allen Ernstes Inspector Barnaby zu den "bedeutenderen Kriminalkunstwerken" zählt, zeigt dafür nicht viel Ahnung von Hitchcock. Verriete man den Täter, so der Großkritiker, "könnte man zum Beispiel die großen Filme des großen Hitchcock, wenn man sie einmal gesehen hat, ja nie mehr sehen – weil man dann längst wüsste, wer’s jeweils war." Also mit Verlaub. Als wäre Hitchcock für Who dunnits bekannt. Es sind Thriller, spannend, weil sich dort ein Unschuldiger in einer ausweglosen Situation befindet, als Mordverdächtiger gejagt wird oder selbst einen Mörder jagt. Man weiß bei Frenzy, wer der Krawattenmörder ist, man wird Zeuge bei der mörderischen Verabredung bei Der Fremde im Zug. Überhaupt basiert die Spannung darauf, daß man als Zuschauer immer ein bißchen mehr weiß als der in Gefahr befindliche Held. Das Wie ist das Interessante, nicht das Wer.

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Apropos. Hübscher Tokioter Laden, bei dem man vor lauter Wie, das Was kaum sieht. (via Esther)

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Ich sortiere ein wenig rum, Bücher, Filme, Musik. Lee Ranaldos neues Album, Kim Gordons neues Album. Sehr stoische, unmoderne Alben. Gordon auf der manchmal etwas ratlosen Suche nach einer anderen Art ovn Krach, Ranaldo eher der Erzähler. Immerhin dürfen anders als beim Debüt die Gitarren wieder hübsch quersägen und hin- und herschringern.

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Bruce Davidson hat Ende der 50er jugendliche Gangs in New York (das ist eine Stadt in den USA) fotografiert. Coney Island Rocker und Rumlungerer. Wirkt sehr modern. Eine Jugend ohne Smartphones und couldn't care less-Attitüde.

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Bei mir auch. Die Fenster sind immer noch nicht geputzt.

MerzBow | von kid37 um 16:23h | 19 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 26. Dezember 2013


Vampir



Der rührige Berliner Avant-Verlag hat zum Ende des Jahres die vierbändige Reihe Vampir herusgebracht (also "Der große Vampir", es gibt ja noch eine entsprechende "kleine Vampir"-Reihe Desmodus, die sich eher an Kinder wendet). Lese ich gerade. Kann man hier zur Probe auch. Ist von Joann Sfar, dessen etwas krakeligen Zeichenstil ich insgesamt gar nicht so sehr mag, dessen Professor Bell-Reihe aber ganz goßartig ist, schon allein, weil ich mich mit der Hauptfigur gut identifizieren kann.

Ferdinand, Schallplattenliebhaber und Turmbewohner, ist in das etwas oberflächliche und flatterhafte Baummädchen verliebt. Deren Beziehung ist so, wie Beziehungen oft halt sind ("Ich habe dich nicht verlassen, nur betrogen. Es hätte gar keine Probleme gegeben, wenn du es nicht erfahren hättest.") - also von unterschiedlichem Verständnis von Wahrheit oder Pflicht, Logik und Benimm geprägt.

Das Baummädchen sucht sich pfff! aus einer Mischung aus Konfliktscheu und Erlebnishunger einen kräftig gebauten Kerl, der grollende Ferdinand neue alte Chansonplatten. Dabei lernt er eine borderlinige oder einfach auch bloß dauerpubertierende Vampirbraut (seit 200 Jahren 17, was will man machen) kennen, die ihn all zu rasch bedrängt und dem nach Ruhe strebenden Vampir zur Plage wird.

Dinge, die passieren, wenn man das Haus verläßt! So möchte ich also empfehlen, lieber daheim zu bleiben, Chansonplatten hören, mit Klebstoff basteln oder besinnliche Geschichten lesen.

(Joann Sfar. Vampir. Berlin: Avant-Verlag, 2013.)


 


Dienstag, 24. Dezember 2013


Jahresrund



So, liebe Punschtrinker und Klassikschallplattenherauskramer. Hier ist die Christbaumkugel aus dem Keller geholt und der Baum schon geschmückt, nicht zu früh, sich in den Cary-Grant-Hausmantel zu begeben und die besinnliche Zeit zu eröffnen, während draußen tiefausläufige Böen kräftig an den Fensterläden rütteln.

Ein Jahr der Rundungen, wenigstens was die Zahlen betrifft. Siebenunddingstiger Geburtstag, zwanzig Jahre das größte Liebespaar des Films (abgesehen von Katharine Hepburn und Spencer Tracy natürlich). "It's so intense, it sometimes is blinding" - wurde mir auch schon mal so ähnlich vorwurfsvoll gesagt, und irgendwoher muß man es ja haben. Zehn Jahre Hermetisches Café ist es heute. So lange hat es noch kein Blog mit mir ausgehalten. Scully: "Don't you ever just want to stop? Get out of the damn car? Settle down and live something approaching a normal life?" Mulder: "This is a normal life."

So schlecht kann 2013 also nicht gewesen sein. Nächstes Jahr nämlich nur hundert Jahre Krieg. Schöne Begegnungen gehabt, sogar sehr schöne Begegnungen gehabt, Schiffe im Nebel, Verluste gehabt, sogar sehr schmerzliche Verluste. Immer noch zu wenige Antworten auf zu viele Fragen. Also nichts, was ihr nicht auch kennt.

Heute abend dann ein paar gemütliche Käsebrote, vielleicht einen Film mit Katharine Hepburn sehen, ein bißchen im unbetrachteten Stapel Bücher blättern, dem Luftzug nachgehen, der hier durch die Ritzen pfeift. Denkt dran: Nicht zwischen den Jahren Wäsche waschen, UFO-Lichter nicht mit dem Stern von Bethlehem verwechseln, keine Bonbons von Fremden annehmen.

Frohes Fest!

>>> I owe you everything


 


Montag, 23. Dezember 2013


Schnell, schnell, schon Schlittenglocken



Hetze immer schön abschäumen. Indes: Einer muß ja arbeiten, während ihr die Füße hochlegt. Wie das so ist, wenn man auch eine soziale Verpflichtung trägt. Indirekt nämlich hängt in vielen Familien der Festtagsfrieden davon ab, daß ich meine Arbeit gut erledige. Mittags aber schnell noch eingekauft, erstaunlich, welche Mengen manche Menschen (bitte rhythmisch sprechen: Welche / Mengen / Manche / Menschen / Walle / Walle / Diese / Strecke / Mit Dem / Einkaufswagen / Wagen), welche Mengen also manche Menschen aus dem Super-Ü gleich hinter meiner Arbeitsstelle karren. Wir werden sie kugelrund zurückerleben.

Der Stakkatorest: Ich könnte meinen Zimmerpflanzen Namen geben. Sich vornehm und höflich begegnen. Bevor man sich naß macht. Der Herr Schmidt hat Geburtstag. In der U-Bahn aber keine Lieder, sondern müde Menschen auf dem Weg zu ihren Bienenwaben. Mein neues Möbelstück empfängt mich mit der richtigen Codenummer. Ich kann doch auch nichts dafür, es wird eine Verschwörung sein. Abendbrot.