Mittwoch, 16. Januar 2013


Hanna im Wunderland

Es gibt da diese Szene in Wer ist Hanna? Wie der Vater in Berlin landet und die Tonspur das Geräusch von Krieg über eine ganz normale Straßenszene legt; wie er, ein sinnengeschärfter Elitekämpfer, die Umgebung als bedrohlich wahrnimmt (wie sie "wahr" wird). Direkt im Anschluß dieser artifiziellen Überhöhung diese wie ein Ballett inszenierte Kampfszene in der Unterführung (Ich war da auch schon mal, erinnere mich aber nicht, wo genau das ist). Überhaupt lebt diese Welt von ihren Labyrinthen, den verwirrenden Orten. Sei es das albern-futuristische Geheimgefängnis in der Wüste, diese vor lauter Säulen unübersichtliche Unterführung oder das verwirrende Containerlager, in dem die mit allen Überlebenstricks gewaschene, aber ohne Weltwissen agierende Hanna gegen einen Trupp Nazi-Skins in Bomberjacken kämpft. Oder auch die surreale, regennasse Atmosphäre des Plänterwalds mit seinen Dinosaurierskulpturen, diese großangelegte Berliner Täuschung. Ein Märchen also inmitten toter Monster und trister grauer Häuserwände. Die eigentliche Geschichte ist dabei nur mäßig interessant, Suchen, Verfolgen, Erwachsenwerden. Tilda Swinton Cate Blanchett als böse Herzkönigin, wenn man so will, auch insgesamt ist das Drama (das ist nicht schwer) eine überzeundere Variante von Tim Burtons Bumm-Bumm-Version von Alice im Wunderland. In unserer Kultur müssen die Söhne die Väter töten. Hier, ganz wie früher bei den Grimms, tötet die Tochter die Mutter. Das mit dem Hirsch ist clever.

(Wer ist Hanna? Regie: Joe Wright. USA/D/GB 2011)

Super 8 | von kid37 um 14:00h | 12 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 12. Januar 2013


Stille, #2

Ich habe die Kommentare jetzt mal abgeschaltet. Das ist kein Chatsystem hier.

| von kid37 um 16:47h | | Link

 


Mittwoch, 9. Januar 2013


Stille

Politics change with fashion,
but the laws of nature do not.

(M. Milgrom, Still Life.)


So still. Aber ein Blog schreibt sich manchmal fast wie von allein, da kann ich mich still zurückziehen und endlich ein paar Bücher weiterlesen, die ich im letzten Jahr begonnen hatte, aber zur Seite legen mußte, weil mir ab und an so still dunkel wurde.

So wie Still Life von Melissa Milgrom, eine ganz wunderbare und spannende Reise in die Welt der Tierpräparation. Die US-amerikanische Journalistin Milgrom tastet sich von erster Neugier getrieben insgesamt recht furchtlos von aktiven Meistern des Fachs zu den in den USA recht verbreiteten Conventions und Wettbewerben vor und stellt die Pioniere der Kunst und großen Namen der Museumstaxidermisten vor. Das beginnt bei den berühmten Schwendemans, die ihr geduldig die aufwendigen und komplizierten Methoden des Sezierens, Aufbereitens und Nachbildens erklären, denn "Ausstopfen" ist nur etwas für Stümper. Der Titel bedeutet im Grunde auch "still alive", denn ein guter Präparator läßt sein Tier weiterleben, auferstehen und einen realistischen Eindruck von Natur vermitteln. So auch der Anspruch der Überväter der Taxidermie, die handwerkliche Grundlagen bildeten für jüngste Arbeiten, in denen lange ausgestorben Tiere anhand von DNA-Spuren akribisch nachgebildet werden.

In den insgesamt sehr waffen- und jagdbegeisterten USA wird auch die Taxidermie viel selbstverständlicher wahrgenommen. Die geschossenen Eichhörnchen und Rehe und Stinktiere wollen gezeigt werden, denkt der Jäger. Die engagiertesten zeigen ihre Geschöpfe auf Wettbewerben, dort werden dann auch präparierte "Pandas" gezeigt, die natürlich nicht echt sind. Humor gehört dazu: "A man in a PETA shirt caused a stir until people realized the acronym stood for People Eating Tasty Animals." Am Ende gewinnt den Wettbewerb ein Deutscher mit einem verblüffend lebensechten Ensemble Spatzen. Da kann man mal sehen, daß es nicht immer einen Säbelzahntiger braucht, um im Leben zu punkten.

Carl Akeley hingegen jagte Anfang des 20. Jahrhunderts seltene Tiere in Afrika (man muß ihn sich als eine Figur Hemingways vorstellen), aber aus einem wissenschaftlichen Interesse. Seine Expeditionen begleiteten Maler, die später die Hintergründe für aufwendige Dioramen anfertigten, vor denen Elefanten und Affen wie aus ihrem Alltag herauskristallisiert präsentiert wurden. Diese Arbeiten waren bestimmt für das American Museum of Natural History und zu ihrer Zeit eine Sensation für Publikum und Wissenschaftler. Interessant sind auch die vielen kritischen Einschübe. Etwa, als das Smithsonian umbaute und die wertvolle Sammlung teilweise auf dem Müll landete oder - wie der Blauwal, der dem Abrißunternehmer zufiel - auf eBay. Ein kompletter Blauwal auf eBay! Das Smithsonian ersetzte die wissenschaftliche Sammlung durch eine Art Disneyland mit toten Tieren, in dem digitale Effekte für Dschungelgeräusche, Tag- und Nachtwechsel, Regen und Sonnenschein sorgen. Was nicht nur Milgrom befremdet.

Ein schöner Seitenblick ist der Besuch bei der "Anti-Taxidermistin" Emily Mayer in England. Die benutzt eine von ihr verfeinerte spezielle Methode und steht etwas außerhalb der Szene. Sie arbeitet mit Damien Hirst zusammen, der nun keine Ersatz-Tigerhaie mehr für seine Glasbehälter besorgen muß, weil Mayers Methode ihren dauerhaften Erhalt garantieren. Am Ende von Milgroms Reise geht es ans Sachen machen Eingemachte: Unterstützt von den Schwendemans macht sie sich fluchend, zögernd und fleißig an ihr erstes Eichhörnchen. Beruhigenderweise ging es ihr dabei wie uns allen: "I wasn't sure I had the stomach for taxidermy. [...] I could barely watch Julia Child filet a fish on TV."

Ein Handbuch des praktischen Hauswissens, möchte man meinen. Denn es ist - bei deutschen Verlagen fast undenkbar - lobenswerterweise mit einem umfangreichen kommentierten Fußnoten- und Quellenanhang versehen.

(Melisssa Milgrom. Still Life: Adventures in Taxidermy. New York, 2010.)


 


Donnerstag, 3. Januar 2013


Die subtile Traurigkeit der Frauen

Ich treffe beruflich öfter auf kinderlose Frauen jenseits der 40. In meinem natürlich subjektivem Empfinden sehe ich etwas, das all diese Frauen gemeinsam haben.
Es ist eine gewisse Leere in ihrem Blick, eine subtile Traurigkeit, ein Ausdruck fehlender Erfüllung.
[Q]

Wir wissen nicht um den Beruf des Guten, aber privat trifft er offenbar andere Frauen. Frauen, in deren Bauch und Blick Fülle und Freude herrscht. Möglicherweise mehr als nur subtil. Bei Spon wird heftig über den Geburtenrückgang diskutiert. Wer aber meint, Gleichberechtigung sei in Deutschland längst etabliert, kann sich zur Erhellung durch eimerweise Haß, 30er-Jahre-Familienbilder und klebrige Stammtische wühlen. Ich merke, ich habe bislang in einer Enklave mit anderen, möglicherweise auch nur scheinbaren Selbstverständlichkeiten gelebt. Ich möchte da draußen nicht sein. Da draußen tobt offenbar eine verbitterte, sich von "Kinderlosen" und "Emanzen" und "Selbstverwirklichern" bedroht fühlende Parallelwelt, die sich nicht integrieren mag.

Ich selbst habe sicher eigene Defizite. So kenne ich Frauen praktisch nur aus dem Internet, in dem ich mich aus beruflichen Gründen häufig bewege. Und so basiert mein eigenes, möglicherweise mangelhaftes Wissen über Frauen auf zwei eigentümlichen, aber offenbar offenbaren Wahrheiten: Frauen können nicht aus Flaschen trinken. Frauen müssen lachen, wenn sie Salat essen, selbst wenn sie kinderlos sind.

Jetzt erzähle mir keiner, die Welt sei im Grunde anders. Voller Toleranz und ein wenig Salattraurigkeit.


 


Montag, 31. Dezember 2012


Auskehr



Dann also wieder alles zum Ende bringen. Sich selbst, also das alte Selbst, gleich mit zum Altpapier. Zusammen mit den Bilanzen und Rechnungspapieren. Fein säuberlich alles aufliniert, die Menschen, die dieses Jahr gingen, manche überraschend, manche weniger, die Menschen, die dieses Jahr kamen, manche überraschend, manche - auch. Zu wenig Musik aber war da nach meinem Geschmack. Vom schönen Ödland-Konzert abgesehen, wo man später sagen können wird: Die habe ich mal in einem ganz kleinen finnischen Club gesehen! Wie das überhaupt so ein schöner Abend war, einer von diesen überraschenden, zwanglosen. Und es mir ja richtig gut ging, was ich aber erst später wissen würde.

Zu wenig Filme auch, Bücher sowieso kaum, und zuviel Kunst ausgelassen. Wirklich zuviel. Wirklich zu viele Krankenhäuser auch, das wird sich 2013 doch wohl besser organisieren lassen. Hoffe ich. Die Krankenkasse nämlich knickte (vorerst) ein. Nach meiner freundlichen, aber vorschlagsfreudigen eMail entließ man mich (vorerst) aus dem eCard-Programm. Ein kleiner Erfolg (vorerst), der am Ende eher doch nichts bringen wird. Die Kasse schickt einen Brief, man würde mich (vorerst) nicht mehr behelligen, aber mit einem deutlichen "ich würde schon sehen, was ich davon hätte"-Unterton. Die Kanzlerin indes schwört uns auf Trockenbrotjahre ein.

Warum auch nicht, nach all den schicken, scharf-gewürzten Suppen der Nachwendezeit und den Eisbeinjahren der Bonner Republik. Wat fott is, is fott, vorerst gescheitert, haha, das muß man alles immer ganz nüchtern sehen. Auch wenn das manchen heute um Mitternacht sicher schwer fallen wird. Die Bilanz fischt schon einer rechtzeitig aus dem Container. Bis dahin, vorerst wie immer.

Immer weitermachen.

Stoßt mit dem Richtigen an. Nicht einfach so in die Menge.

>>>Geräusch des Tages: Der Mann ohne Vergangenheit


 


Montag, 24. Dezember 2012


Schlucken, Wiedergeben, Konservieren



Ach, Weihnachten, traditionell das Fest der over-indulgence. Wie zur Warnung und zum Genuß dieses ganz wunderbare Buch The Swallowing Plates von Lisa Wood.

Die ist Expertin für faux tableaux und bastelt, wenn nicht mit Insekten, dann mit pseudo-viktorianischen Fundobjekten hübsche und meist auch lehrreiche Dioramen. Hier hat sie sich der Wunderwelt der Laryngologen zugewandt, eine Profession, die mancher an Festtagen zu schätzen wissen wird, sollte eine Karpfengräte oder ein Gänseknorpel quer liegen. Falsch und schlecht Verschlucktes war nämlich auch die Leidenschaft des besessenen Spezialisten Dr. Chevalier Jackson (1865-1958). Der trug über 2000 bestimmungsfremde Fundstücke aus Luft- und Speiseröhre zusammen, Haare, Knochen, Nägel, Schlüssel und andere Metallteile, Knöpfe... all so was eben.

Inspiriert und beseelt vom Instinkt der Transformation of Waste hat Wood, die eigentlich Schmuckdesignerin ist, über 30 Assemblagen angefertigt, poetische Fallstudien mit Fehler, denn leider sind sie erfunden. Hier kann man durchs Buch blättern, wenn man gerade nicht an meinem Gabentisch sitzt. Mehr schön Absonderliches gibt es auf Woods leider noch nicht ganz fertigen Webseite zu sehen.

Übertragen ließe sich das Ganze natürlich auf Blogs, dieses Schlucken und Wiedergeben nämlich. Diese Dinger, auf denen man all das, was einem auf langen Ausflügen links und rechts der Wege so auffällt und hängenbleibt, ausstopft und lebendig hält. Heute übrigens schon neun Jahre an dieser Stelle. Mal schauen, wie es weitergeht.

Frohes Fest!


 


Samstag, 22. Dezember 2012


Federweich



Nur kurz, ich habe keine Zeit, es ist Zeit für die Weihnachtsvorbereitungen. Heute Vormittag durch den frischgefallenen Schnee zum auch biologisch erzeugte und in Marken gehüllte Produkte veräußernden Süper Ü um die Ecke gestapft. Auch dort sind sie bereits da: Ein junges NeonNido-Pärchen nebst mitgeführtem in handgeflochtenem Freies-Wendland-Weiden-Maxicosi gebetteten Säugling, er so mit platzeinnehmendem Rucksack und Beanie-Mütze, das Klitzekind mit Beanie-Mützchen, sie so mit Einkaufswagen-im-Weg, und alle blockierend am Gemüsestand. "Sollen wir das mitnehmen oder lieber das?" säuselten die tiefenentspannten Gespräche, während unwirsche Arbeiterviertelrentner, die nun wiederum an einem Samstag auch nicht gerade einkaufen gehen müssen, versuchten, um das Kleinfamilienensemble zu kurven. "Ach, weißt du, was wir machen: wir nehmen was von dem hier mit, das kann man voll schön überbacken!" Entzücktes Jauchzen, ob dieser spontanen Idee, während ich gleichfalls spontan und aber auch entspannt, denn ich habe ja alle Zeit der Welt, versuchte, ebenso entschlossen wie einer dieser Arbeiterviertelrentner, aber mit Berechtigung am Samstag einzukaufen, um das Paar zu kurven. "Sollen wir nicht auch sowas hier reintun, für mehr Konsistenz?" wurde aber erst einmal raumgreifend weitere Essenspläne diskutiert, so daß Die Blockade am Gemüsestand (wie ich mein daraus entstehendes nächstes Buch nennen werde) anhielt.

Es ist eben Fest der allgemeinen Teilhabe. Warum vorher alles besprechen, Zettel machen, alle Dings zackzack in den Wagen und Platz machen, wenn man die essentiellen Dinge des Leben auch just in time vor allen Leuten zum Gemeinschaftserlebnis machen kann. Das wird noch hübsch werden mit diesen Gentrifizierern, die hier nach und nach einströmen und bald Klage führen werden, daß hier ja nix sei, während Alteinwohner wie ich am Stehtisch vor "Moni's Imbiss" ("Frühstück ab 5") mißmutige Blicke werfen werden. Muß man elastisch bleiben.

Daheim dann in Cary-Grant-Hausjacke geworfen und beschlossen, eine Schallplatte mit Weihnachtsliedern abzuspielen, um endlich mal feierliche Stimmung anzuleiern. Das ist ja ein Klassiker am Weihnachtsfest, Mann in Cary-Grant-Hausjacke, Frau sagt, ach, spiel doch mal die schöne Platte, dann wird grummelnd im Schallplattenstapel gesucht nach den "20 Greatest Christmas Hits" mit Bing und Mahalia und nach einem Jahr Betriebspause der Schallplattenspieler angeschaltet. Und immer und immer wieder kommt die erstaunte Klage (meist an Heiligabend, aber ich bin organisiert, ich teste das vorher schon): "Er geht nicht!" Wie. Ja, er geht nicht. Wie. Der Plattenspieler. Er geht nicht. Aber wir wollten doch die schöne Platte hören. Ja-ha, aber er geht nicht. Wie. (brummel, brummel, Mann rappelt am Gerät, betätigt Schalter und bewegliche Teile) Komisch, das ging doch neulich noch. Letztes Jahr. Ja, letztes Jahr.

Aber das ist oft im Leben so. Was vor einem Jahr noch ging, geht dann eben nicht mehr. Wer wüßte das besser als ich. Also die Ärmel der Cary-Grant-Hausjacke hochgekrempelt, das Feinwerkzeug geholt, den Plattenspieler ausgebaut, die Explosionszeichnungen, die ich vor Jahren mal aus diesem Internet heruntergeladen habe, (Ein Jingle für das Internet!) studiert und den kleinen über eine ausgefuchste Hebelmechanik bestätigten Ein-/Ausschalter am Motor nachgefettet. Schon lief er wieder an. Wieder alles zusammengebaut. Läuft. Oh, er geht nicht mehr aus. Round an around läuft der Teller... never, never, never stop (Bunnymen).

Also noch mal ausgebaut, die komplizierten Hebelläufe studiert. Offenbar eine Zugfeder, die entspannt wie eine Bilderbuch-Nidofamilie keinen ordentlichen Zug mehr drauf hat. Also mit der Sezierpinzette ("Schwester...") die Feder ausgebaut. [gekürz. Fssg.] Feder wiedergefunden und zum OP-Tisch getragen. Etwas gekürzt, nachgebogen. Wieder eingebaut [gekürz. Fssg.]. Läuft. Na ja, noch nicht so richtig, aber schon. Ich meine, der Tonarm hebt jetzt nicht mehr automatisch ab. Da muß ich noch mal in die Explosionszeichnung schauen. Könnte ein größeres Projekt werden, ideal zum Beispiel für stille Weihnachtstage, wenn man sonst nichts anderes (z.B. eine Eisenbahn) aufbauen muß. Oder sich selber.

Jetzt mal schön CD hören.