Dienstag, 6. November 2012


Wohnen am Wasser



Das geht hier ja so: Alter Baubestand (und nicht nur der) in öffentlichem Besitz wird jahrelang sich selbst und den Vögeln überlassen, dann heißt es, oh, kaputt, müssen wir weghauen. So lange die alten Kapitänshäuschen in Oevelgönne stehenbleiben, schiet egol, der Rest kann weg. Im Nachbarviertel kamen letzte Woche engagierte Bürger in einer alten, leerstehenden Villa in städtischem Besitz zu Besuch, Tag des offenen Denkmals zu feiern. Aber irgendjemand hatte sich durch die Zeitumstellung im Kalender vertan, die Besucher vielleicht oder die Polizei, möglicherweise also war gar nicht Tag des offenen Denkmals. Immerhin aber kamen abends noch zwei Hundertschaften aus Sorge um die engagierten Bürger - denn wer weiß, wie man aus den wenig erschlossenen Gebieten im Osten Hamburgs abends wieder nach Hause kommt. Diese Stadt läßt einen nicht allein.

Ich kannte diese Villa zuvor gar nicht, sovieles, auch in uns, steht dieser Tage still und starr wie gefrorene Seen. Daher versuchte ich am Wochenende, weitere vergessene Objekte zu finden. Wie diese kleinen Backsteinschlößchen im schicken Industriecharme, die mitten im und am Wasser vor sich hinrotten. Wunderbare Studentenbuden könnten das sein: Lofts mit 8 qm Größe, idyllisch am Wasser gelegen, Wasaland mit Anleger, gleich nebenan ein Café und Toiletten. Ein gewisse Sanierungsrückstand muß eingeräumt werden, aber junge Leute sind oft erstaunlich begabt und engagiert und für Projekte zu begeistern. Spätestens die Ansichtskarten, die sie von dort in ihre Netzwerke schicken, werden die Kommilitonen in Neid versetzen und die Tanten im Ländle entzücken.

Ich habe alles kartographiert und dabei die eigene Reichweite vermessen. Acht Kilometer, dann ist ein Bänkchen ganz schön. Zum Entzücken genügt das nicht. Man muß dabei aber unverdrossen murmeln: Immerhin!


 


Freitag, 2. November 2012


Heiligenbildchen


Foto von Frank Egel

Und jetzt alle mal so: Ooooh! ♥♥Dolly Duschenka♥♥ für den Nachttisch. Dürft ihr mal schauen, aber nicht alles weggucken. Und nicht anfassen! So was bekommt man zum Geburtstag, wenn man das ganze Jahr brav war - und Freunde hat! Jetzt kann ich zur Nachtzeit jeden überstandenen Kampf Tag dem hl. Nummerngirl beichten, ein Fürbittgebet abringen, anschließend beseelt die Äuglein schließen und einem ruhigen Schlaf entgegendämmern.

Ausklang der Ruhewoche, die Nachrichtenlage gemischt, man hält den Kopf besser unten, steckt die Nase ins Buch. Ohne Karte langsam nach vorne tasten. Wer weiß, wo man rauskommt.


 


Mittwoch, 31. Oktober 2012


Merz/Bow, #36


Banksy-Halloween-Kostüm, via Haute Macabre

Jetzt habe ich eine neue Klingelanlage, aber bislang haben keine Monster hier geklingelt. Dabei hätte ich nach den Veränderungen hier im Quartier auf bettelnde Hipster im Banksy-Kostüm gewettet.

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Denen hätte ich hübsch was Saures rausgelegt. Der Musikfilm Der Taucher im Anorak mit Dackelblut und Jens Rachut ist online. Ich bin ja generell nicht so der Deutschpunk-Fan, aber für ehrliche Energieübertragung mache ich immer eine Ausnahme. Im Publikum ist auch die "Muse" aus Hamburg zu sehen. Wo ist die eigentlich abgeblieben? (Oder andersherum: Wo ich bin ich eigentlich abgeblieben?)

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Auch toll für Halloween: "Blondie"-Nipple-Badges von Julian Baker. Hervorstechend kleidsam. (Geht natürlich nicht bei jedem Bloggertreffen.)

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Schon mal überlegt, warum es keine neuen Alben von Tim & Struppi gibt? Na, weil der blonde Reporter seit Jahren in einer Band spielt und damit auch ganz gut um die Welt kommt.

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Es ist Herbst, da greift manchen das Emo-Frösteln an. Singles werden sicher Trost im oft sehr lustigen Tumblr My Friends are Married finden.

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Das ist sooo 80er. Ein Porno, ein "guter" Film, hieß der Deal damals. Eine betrübliche Serie über aufgelassene Videotheken. Vorbei, vorbei, es ist alles vorbei: Flavorwire.

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Achtung, Berlin. Am 5. November wird zum sechsten Mal der "Wollita"-Kulturpreis verliehen. Ausgerichtet von der großartigen und großartig-umstrittenen Häkelpuppe von der nicht minder großartigen Françoise Cactus ("Stereo Total"). In der Bar Marianne (In Berlin gibt's ne Bar?) findet die Verleihung statt, dazu eine Performance mit Wollita, Françoise Cactus, Wolfgang Müller und der ausgezeichneten Künstlerin Christine Sun Kim.

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Pathos seit 3237 Tagen.

MerzBow | von kid37 um 20:22h | 13 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Sonntag, 28. Oktober 2012


37 Konfetti für die große Stadt (abgezählt)



Wie der ein oder andere in den letzten Monaten wie nebenbei mitbekommen hat, habe ich die US-amerikanische TV-Dokumentationsreihe Akte X noch einmal genauer studiert (dazu später mehr). Seit einigen Jahren und aus Gründen mißtrauisch geworden, lasse ich mir ja von neuen Bekannten erst einmal den Dienstausweis zeigen, um Dienstgrad und Geburtsdaten zu überprüfen. Das Geburtsdatum von Dana Scully ist auch korrekt. Fox Mulders Ausweis indes mußte ich gleich beschlagnahmen. Dort wird behauptet, er habe am 13. Oktober Geburtstag. Das habe ich, arglos wie ich in solchen Dingen bin, immer hingenommen. Ich sah darin sogar etwas Praktisches, denn auf diese Weise konnte ich mir auch den Geburtstag von Mütterchen Kid merken.

Denkt man aber ein wenig darüber nach, wird klar, daß jemand, der so obsessiv besessen und mit Hang zu ebenso verqueren wie beharrlich verfolgten Theorien obskuren Interessen nachhängt, wohl eher zehn oder 15 Tage später Geburtstag haben muß. So wie die große Stadt, die 1237 das erste Mal erwähnt wurde, genau heute Jubiläum feiert und ebenfalls immer mal für überraschende und irrsinnige ungewöhnliche Ideen gut ist. Hallo Berlin! Auch wenn du oft nervst, wir lieben dich trotzdem. Ein bißchen.

Astrologyzone sagt übrigens, daß Berlin die nächsten drei Jahre sehr auf die Gesundheit achten muß. Saturnwende, strenge Prüfung; also nicht länger wie ein Hypochonder einen auf leidend machen, sondern mal zum Arzt und morgens ein gesundes Frühstück, nicht immer nur Molle mit Korn.

Macht aber letztlich nichts. Wer wie ich die US-amerikanische TV-Romcom Akte-X gesehen hat, weiß, was am 21.12.2012 passieren wird. Ich verrate aber nichts, ich muß mein Wissen für mich behalten, um euch die letzten Wochen nicht zu versauen. Ich sage mal so: Trinkt ruhig mal einen über den Durst, probiert was Ungewöhnliches aus, wenn es sein muß auch Sex, fangt keine allzu langen Bücher mehr an, geht mit euren Partnern tanzen und nicht immer nur mit anderen Männern, macht euch nochmal die Haare schön, überall, lacht den Riestermännern frei ins Gesicht, dreht die Verstärker ab und an auf zehn. Also im Grunde wie immer. Immer weitermachen.


 


Dienstag, 23. Oktober 2012


Blog auf Lunge

In meiner Zeit als Trash-Art-Filmer reüssierte ich mit Werken wie Die Melancholie der zarten Kannibalin, in stelzenhafter Eleganz ausdeklamierte philosophische Selbstbespiegelungen (entlarvender dann nur noch in meinem zweiten Film Bauchnabel der Bohème) mit grobkörnigem Sex und falschfarbenen Splatterszenen. Das kam im Uni-Filmclub vor anderen verklemmten Studenten und auf sogenannten Schalbierpartys zwischen welken Erdnußflips und abgestandenem Haarspray gut an. Wir haben sowieso viel gelacht.

Es war so die Zeit. Große Kunst, großes Leid, dann noch mehr Stuß und ein Spritzer Verachtung. Trümmerliteratur der Post-Boom-Jahre, zusammengedacht in schlecht gelüfteten Räumen, unbeheizten Kellerateliers, die möbliert waren mit alten Fischkonservendosen, die nun als Aschenbecher dienten. Manchmal waren auch Mädchen da, damals, als man noch nach Blättchen fragte. Aber nicht so oft, wie heute getan wird von Pete oder Mike oder Tom oder wie die damals so hießen.

So alle. Anders als heute war das Leben noch nicht ständig rot unterkringelt, das war alles noch sehr richtig dekliniert und wenn nicht, dann fiel das keinem auf. Die Kannibalin zum Beispiel. Ich sagte "Geh mal von links nach rechts" oder "Schau mal melancholisch aus dem Fenster", während ihr wegen der Scheinwerfer überdick aufgetragenes Make-up eben auch wegen der Scheinwerfer zu einem schwarzen Schlotz zerlief. eine zarte Kannibalin unter 2 mal 1000-Watt-Halogen. Das war dann schon auch Arbeit. Das war nicht nur einfach so. Gar nicht einfach so.


 


Montag, 22. Oktober 2012


Herbstlese



Liverpooler Beatbands hatten den Cavern Club, Hamburger Blogger haben die Kaschemme. Wer also am Donnerstag dabei ist, hat in 50 Jahren was zu erzählen! ("Ich habe sie alle gekannt!" oder ähnlich.)


 


Samstag, 20. Oktober 2012


Der Wochenbericht, die Wetterlage



Ab 18. Es geschieht in meinem Alter ja nicht mehr häufig, daß eine Frau verlangt, ich möge bitte meine Hose ausziehen. Mich sogar verschwörerisch weiterwinkt, ich solle ihr ins nächste Zimmer folgen. Allein deshalb sind regelmäßige Arztbesuche auch ein Akt sozialer Teilhabe, berührend im Wortsinne und allemal informativ. Ärztekantinen und Trinkverhalten stand diesmal auf dem Lehrplan. Macht euch aber keine Sorgen, da ist alles vorbildlich. Zwei Liter am Tag.

Ab 16. Haben wir also gelacht und augengezwinkert, so ging das überhaupt durch die Woche, in der ich als Gute-Nacht-Geschichte die restlichen Folgen der Addams Family gesehen habe. Die alte TV-Serie aus den 60ern wohlgemerkt, diese herzergreifend schlichte Familienschau mit ihren Pappbauten und Augsburger-Puppenkiste-Tricks. Das Schöne ist ja, daß dieser Verwandtschaftsverbund schräger Außenseiter so herzlich miteinander umgeht und völlig ohne Arg und Häme ist. Während die "normalen" Bürger, wenn sie denn zu Besuch kommen, meistens Spott, Abneigung oder eine finstere Absicht mit einer Hingabe hegen, wie sonst nur Morticia ihre fleischfressenden Pflanzen. Auch das Eheleben: vorbildlich! Zwei Kinder, aber kaum sagt Morticia etwas auf Französisch, möchte Gomez sofort ins Schlafgemach oder in die Fledermaushöhle und küßt zum Vorspiel ihre Arme. Man vergleiche mal die Doris-Day-Filme dieser Zeit. Überhaupt verbringen sie eine schöne Zeit miteinander, da wird getanzt (ganz wichtig), gefochten (auch) oder mit Peitschen (aber züchtig) hantiert.

Ab 12. Während Morticia malt oder strickt oder die Piranhas füttert, hält sich Gomez ja mit ausgetüftelten Zen-Yogi-Übungen fit, etwas, das einem jeden von uns zur Nachahmung empfohlen sei. Fitneß in Kopf und Körper wappnet einen gegen des Lebens Ungemach. Eine Folge ist topaktuell: das Haus der Addams soll gesprengt werden ("War das Onkel Fester?"), weil durch das Grundstück und die angrenzenden Sümpfe eine Straße gebaut werden soll. Der Bürgermeister ist aber nur solange berauscht von seinem Plan, bis die Addams verkünden, mittlerweile sein Nachbargrundstück gekauft zu haben. Nun planen sie, mitsamt ihres viktorianisch-verrotteten Hauses dorthin zu ziehen und dahinter neue Sümpfe anzulegen. Da kann man sehen, wie schnell diese Straßenbaupläne plötzlich vom Tisch sind. Wie bei zwei von drei Dingen im Leben funktioniert das natürlich nur über Geld, von der die Gruselfamilie überreichlich besitzt. Vielleicht kann man aber trotzdem diese Taktik imitieren und durch Crowdfunding Mittel auftreiben, Nachbargrundstücke von Entscheidungsträgern aufkaufen und Projekte verkünden: Sümpfe anlegen, Behelfsheime, auch Kitas gelten in Hamburg als lupenreine Drohkulisse (und werden in besseren Lagen gerichtlich oft verboten). Der hanseatische Dünkel ist sein eigenes Lindenblatt.

Ab 6. So heute die ältere urhamburgische Hamburgerin, die auf dem Flohmarkt zwei jungen Österreicherinnen die Welt Hansestadt erklären wollte. Unbedingt mit dem Rad nach Oevelgönne müßten sie, da wo das schöne Hamburg so schön sei. "Fahrt's einfach mit der Fähre den Fluß entlang, das geht sich wunderbar aus und ihr könnt das Millionengrab sehen", flitschte ich aber, ungefragt natürlich, der an ihrer Stadt berauschten Hanseatin in die Parade und dachte, eigentlich sollten die Touristen sich mal die schönen künstlerischen und sozialen Projekte im schönen Hamburg anschauen und nicht die kapitänsbehauste schöne Puppenstubenwelt. Stippvisite also (ohne Österreicherinnen, so schnell sind die auch nicht dabei) bei den Menschen, die nicht nur reden und Fantastereien urschön ausmalen, sondern wirklich etwas tun. Zum Dreijährigen lädt die Initiative Recht auf Stadt zur Debatte de luxe. Die Hoffnung sieht gut aus und ist nicht verloren.

Ab 0. 20 Grad, alle Mann an Deck, die Frauen sind wie immer mitgemeint. Auf dem Flohmarkt Gewusel als hätte man den Stein über einer Insektenkolonie gehoben. Ich hielt ein Schild hoch: "Jetzt alle mal durchatmen!" Der Winter wird diesmal lang.