Sonntag, 28. Oktober 2012


37 Konfetti für die große Stadt (abgezählt)



Wie der ein oder andere in den letzten Monaten wie nebenbei mitbekommen hat, habe ich die US-amerikanische TV-Dokumentationsreihe Akte X noch einmal genauer studiert (dazu später mehr). Seit einigen Jahren und aus Gründen mißtrauisch geworden, lasse ich mir ja von neuen Bekannten erst einmal den Dienstausweis zeigen, um Dienstgrad und Geburtsdaten zu überprüfen. Das Geburtsdatum von Dana Scully ist auch korrekt. Fox Mulders Ausweis indes mußte ich gleich beschlagnahmen. Dort wird behauptet, er habe am 13. Oktober Geburtstag. Das habe ich, arglos wie ich in solchen Dingen bin, immer hingenommen. Ich sah darin sogar etwas Praktisches, denn auf diese Weise konnte ich mir auch den Geburtstag von Mütterchen Kid merken.

Denkt man aber ein wenig darüber nach, wird klar, daß jemand, der so obsessiv besessen und mit Hang zu ebenso verqueren wie beharrlich verfolgten Theorien obskuren Interessen nachhängt, wohl eher zehn oder 15 Tage später Geburtstag haben muß. So wie die große Stadt, die 1237 das erste Mal erwähnt wurde, genau heute Jubiläum feiert und ebenfalls immer mal für überraschende und irrsinnige ungewöhnliche Ideen gut ist. Hallo Berlin! Auch wenn du oft nervst, wir lieben dich trotzdem. Ein bißchen.

Astrologyzone sagt übrigens, daß Berlin die nächsten drei Jahre sehr auf die Gesundheit achten muß. Saturnwende, strenge Prüfung; also nicht länger wie ein Hypochonder einen auf leidend machen, sondern mal zum Arzt und morgens ein gesundes Frühstück, nicht immer nur Molle mit Korn.

Macht aber letztlich nichts. Wer wie ich die US-amerikanische TV-Romcom Akte-X gesehen hat, weiß, was am 21.12.2012 passieren wird. Ich verrate aber nichts, ich muß mein Wissen für mich behalten, um euch die letzten Wochen nicht zu versauen. Ich sage mal so: Trinkt ruhig mal einen über den Durst, probiert was Ungewöhnliches aus, wenn es sein muß auch Sex, fangt keine allzu langen Bücher mehr an, geht mit euren Partnern tanzen und nicht immer nur mit anderen Männern, macht euch nochmal die Haare schön, überall, lacht den Riestermännern frei ins Gesicht, dreht die Verstärker ab und an auf zehn. Also im Grunde wie immer. Immer weitermachen.


 


Dienstag, 23. Oktober 2012


Blog auf Lunge

In meiner Zeit als Trash-Art-Filmer reüssierte ich mit Werken wie Die Melancholie der zarten Kannibalin, in stelzenhafter Eleganz ausdeklamierte philosophische Selbstbespiegelungen (entlarvender dann nur noch in meinem zweiten Film Bauchnabel der Bohème) mit grobkörnigem Sex und falschfarbenen Splatterszenen. Das kam im Uni-Filmclub vor anderen verklemmten Studenten und auf sogenannten Schalbierpartys zwischen welken Erdnußflips und abgestandenem Haarspray gut an. Wir haben sowieso viel gelacht.

Es war so die Zeit. Große Kunst, großes Leid, dann noch mehr Stuß und ein Spritzer Verachtung. Trümmerliteratur der Post-Boom-Jahre, zusammengedacht in schlecht gelüfteten Räumen, unbeheizten Kellerateliers, die möbliert waren mit alten Fischkonservendosen, die nun als Aschenbecher dienten. Manchmal waren auch Mädchen da, damals, als man noch nach Blättchen fragte. Aber nicht so oft, wie heute getan wird von Pete oder Mike oder Tom oder wie die damals so hießen.

So alle. Anders als heute war das Leben noch nicht ständig rot unterkringelt, das war alles noch sehr richtig dekliniert und wenn nicht, dann fiel das keinem auf. Die Kannibalin zum Beispiel. Ich sagte "Geh mal von links nach rechts" oder "Schau mal melancholisch aus dem Fenster", während ihr wegen der Scheinwerfer überdick aufgetragenes Make-up eben auch wegen der Scheinwerfer zu einem schwarzen Schlotz zerlief. eine zarte Kannibalin unter 2 mal 1000-Watt-Halogen. Das war dann schon auch Arbeit. Das war nicht nur einfach so. Gar nicht einfach so.


 


Montag, 22. Oktober 2012


Herbstlese



Liverpooler Beatbands hatten den Cavern Club, Hamburger Blogger haben die Kaschemme. Wer also am Donnerstag dabei ist, hat in 50 Jahren was zu erzählen! ("Ich habe sie alle gekannt!" oder ähnlich.)


 


Samstag, 20. Oktober 2012


Der Wochenbericht, die Wetterlage



Ab 18. Es geschieht in meinem Alter ja nicht mehr häufig, daß eine Frau verlangt, ich möge bitte meine Hose ausziehen. Mich sogar verschwörerisch weiterwinkt, ich solle ihr ins nächste Zimmer folgen. Allein deshalb sind regelmäßige Arztbesuche auch ein Akt sozialer Teilhabe, berührend im Wortsinne und allemal informativ. Ärztekantinen und Trinkverhalten stand diesmal auf dem Lehrplan. Macht euch aber keine Sorgen, da ist alles vorbildlich. Zwei Liter am Tag.

Ab 16. Haben wir also gelacht und augengezwinkert, so ging das überhaupt durch die Woche, in der ich als Gute-Nacht-Geschichte die restlichen Folgen der Addams Family gesehen habe. Die alte TV-Serie aus den 60ern wohlgemerkt, diese herzergreifend schlichte Familienschau mit ihren Pappbauten und Augsburger-Puppenkiste-Tricks. Das Schöne ist ja, daß dieser Verwandtschaftsverbund schräger Außenseiter so herzlich miteinander umgeht und völlig ohne Arg und Häme ist. Während die "normalen" Bürger, wenn sie denn zu Besuch kommen, meistens Spott, Abneigung oder eine finstere Absicht mit einer Hingabe hegen, wie sonst nur Morticia ihre fleischfressenden Pflanzen. Auch das Eheleben: vorbildlich! Zwei Kinder, aber kaum sagt Morticia etwas auf Französisch, möchte Gomez sofort ins Schlafgemach oder in die Fledermaushöhle und küßt zum Vorspiel ihre Arme. Man vergleiche mal die Doris-Day-Filme dieser Zeit. Überhaupt verbringen sie eine schöne Zeit miteinander, da wird getanzt (ganz wichtig), gefochten (auch) oder mit Peitschen (aber züchtig) hantiert.

Ab 12. Während Morticia malt oder strickt oder die Piranhas füttert, hält sich Gomez ja mit ausgetüftelten Zen-Yogi-Übungen fit, etwas, das einem jeden von uns zur Nachahmung empfohlen sei. Fitneß in Kopf und Körper wappnet einen gegen des Lebens Ungemach. Eine Folge ist topaktuell: das Haus der Addams soll gesprengt werden ("War das Onkel Fester?"), weil durch das Grundstück und die angrenzenden Sümpfe eine Straße gebaut werden soll. Der Bürgermeister ist aber nur solange berauscht von seinem Plan, bis die Addams verkünden, mittlerweile sein Nachbargrundstück gekauft zu haben. Nun planen sie, mitsamt ihres viktorianisch-verrotteten Hauses dorthin zu ziehen und dahinter neue Sümpfe anzulegen. Da kann man sehen, wie schnell diese Straßenbaupläne plötzlich vom Tisch sind. Wie bei zwei von drei Dingen im Leben funktioniert das natürlich nur über Geld, von der die Gruselfamilie überreichlich besitzt. Vielleicht kann man aber trotzdem diese Taktik imitieren und durch Crowdfunding Mittel auftreiben, Nachbargrundstücke von Entscheidungsträgern aufkaufen und Projekte verkünden: Sümpfe anlegen, Behelfsheime, auch Kitas gelten in Hamburg als lupenreine Drohkulisse (und werden in besseren Lagen gerichtlich oft verboten). Der hanseatische Dünkel ist sein eigenes Lindenblatt.

Ab 6. So heute die ältere urhamburgische Hamburgerin, die auf dem Flohmarkt zwei jungen Österreicherinnen die Welt Hansestadt erklären wollte. Unbedingt mit dem Rad nach Oevelgönne müßten sie, da wo das schöne Hamburg so schön sei. "Fahrt's einfach mit der Fähre den Fluß entlang, das geht sich wunderbar aus und ihr könnt das Millionengrab sehen", flitschte ich aber, ungefragt natürlich, der an ihrer Stadt berauschten Hanseatin in die Parade und dachte, eigentlich sollten die Touristen sich mal die schönen künstlerischen und sozialen Projekte im schönen Hamburg anschauen und nicht die kapitänsbehauste schöne Puppenstubenwelt. Stippvisite also (ohne Österreicherinnen, so schnell sind die auch nicht dabei) bei den Menschen, die nicht nur reden und Fantastereien urschön ausmalen, sondern wirklich etwas tun. Zum Dreijährigen lädt die Initiative Recht auf Stadt zur Debatte de luxe. Die Hoffnung sieht gut aus und ist nicht verloren.

Ab 0. 20 Grad, alle Mann an Deck, die Frauen sind wie immer mitgemeint. Auf dem Flohmarkt Gewusel als hätte man den Stein über einer Insektenkolonie gehoben. Ich hielt ein Schild hoch: "Jetzt alle mal durchatmen!" Der Winter wird diesmal lang.


 


Samstag, 13. Oktober 2012


Ausfliehen


Der Horizont steht auch schon schief

Die Gerüchte gab es ja schon lange. Die Schwarzgrünen wollten breits die Kleingärtner enteignen, mochten sich dann aber doch nicht recht mit der ureigenen Klientel anlegen. Dann kam die Finanzkrise, und die Sparkasse, die angeblich das Grundstück erworben hatte, wurde es nicht los. Stand dann da so rum, begrünt, bebaumt, benistet von vielen, ach was: unzähligen Wasservögeln. Zum Beispiel vom weltdööfsten Bläßhuhnpaar, das Jahr um Jahr und unverdrossen sein Nest in der Kurve am Rande der Fahrrinne baute. Immer, wenn etwas Größeres oder Schnelleres durch den Kanal schipperte, wühlte ein kleiner Tsunami durch deren Haus, das manchmal hielt, manchmal absoff. Dann großes Gepiepe, nervöses Getue, empörtes Herumgeschwimme. Und was macht der Bläßhuhnblödmann dann? Baut das Nest unbeirrt an derselben Stelle wieder auf.

Manche Jahre ging es auch gut, aber nun wurde innerhalb einer Woche das ganze Gelände abgeholzt, freigesägt, abgeschabt und kleingeschreddert. Wo früher Enten nervten, rumpeln jetzt Motoren. Schön, daß die schwerreiche Stadt Hamburg im Frühjahr noch den Uferbereich sorgsam beschnitten und gelichtet hat, Büsche raus, ein paar alte Bäume gefällt. Hat der Investor jetzt nicht ganz so viel zu tun.

Ich also am Wochenende meine Rentnermütze aufgesetzt, Hosenträger gespannt, das Rad bestiegen und gleich mal rüber zur Großbaustelle gefahren. Dort neben dem Bauzaun, der die Geröllstrecke nun vor Campingfreunden und Anglern schützt, eine Eichhörnchenfamilie mit klopfenden Herzen angetroffen. Ihre Bäume seien weg, keuchen sie empört. Und zwar alle! Tja, sage ich. Und meine Aussicht erst. In Hamburg fehlen Wohnungen, sicher. Gut, daß die gebaut werden. ABER DOCH BITTE NICHT IN MEINEM HINTERHOF! Entschlossen überreichen sie mir ihre NIMBY-Visitenkarten für den Fall, daß wir eine Wutbürgerinitiative gründen wollen. Ich studiere die Angaben am Bauzaun, betrachte die Entwurfskizzen, die im Stile de Chiricos eine naturfreundliche, wassernahe und menschenleere Eigentumsidylle zeichnen. Irgendwo auf dem Bild ist ein Rad geparkt.

Im Prospekt lese ich, daß 30 Millionen Euro dort verbaut werden. In einem wenig bekannten, aber zentral gelegenen Stadtteil (das hätte auch gern so bleiben können) entstünde "Wohnen am Wasser", in direktem Umfeld kultureller Keimzellen wie dem hermetischen Café (Poesielesung jeden Abend, fünfvoracht). 100 ETW sind hier geplant, dazu 30 Mietwohnungen (wohl nach Norden raus). Überschlägt man kurz den Durchschnittspreis, wird auch ohne meinen Nachbarn ins Portemonnaie geschaut zu haben klar, daß dieses Projekt sich nicht an Menschen richtet, die hier bereits im Viertel leben.

Regen setzt ein. Mit dem Tempo eines Leonard-Cohen-Songs radel ich durch Brache und Gewerbegebiet bis hinunter zum Deich. Dort, malerisch zwischen Müllverbrennung und Kraftwerk ausgelegt, die letzten Atmungsorte. Zwischen den Schauern neuer Regen, es braut sich was zusammen, aufgescheucht durch starken Wind, der von Westen kommt. Viel Kraft habe ich nicht.

Mit Puddingbeinen dann zurück zum Haus, mühsam die Stufen zum Leuchtturm hinauf. Bis oben sieht man mir nichts an. Dann aber Päuschen auf der eigenen Fußmatte. Erst einmal setzen, befinde ich. Türe im Sitzen öffnen. Dann krieche auf allen Vieren hinein. Darf man auch keinem erzählen. Aber ihr haltet ja dicht.


 


Montag, 8. Oktober 2012


Back in Seven Minutes



Bei Feinkunst Krüger gab es am Samstag den großen Wurf zu sehen. Sozusagen ein grafisches Erntedankfest zum Herbstbeginn. Als glorreiche Sieben zeigen Matt Lock, Patrick Farzar, 4000, Stefan Marx, Ken Kagami, Ingo Giezendanner und Anton Engel Grafiken und Objekte verschiedener Formate. Ein mittlerer Rausch dfer Fülle, sowohl in der Hängung als auch in den Themen der Bilder: Superhelden mit Rumms, Supergeschlechtsteile mit Wumms (paritätisch gegendert), superfiligrane Ausgestaltungen und grobes Nach-Hause-Hämmern sorgten folglich auch beim Publikum für angenehm gelockerte Stimmung.

Die tätowierte Knarre von Patrick Fazar hängt an dünnen Fäden als Mittel zwischen Kolonialisierungsbeihilfe und einer pulvergefüllten Metapher für "austherapiert". Der Künstler wird es anders sehen, selten jedenfalls schienen Kerben auf dem Kolben hübscher. Munteres Plaudern also zwischen Phalli und Wonder-Women, ich war da ganz angetan und völlig neben der Uhr, als es halb zwei ans Auskehren ging.

Entspannte Heimfahrt in den Wandelstadtteil. Wo früher nur russische Schlägerbanden mitfuhren, jetzt ein Gewusel von Szenejugendlichen an den Stationen. Es geht etwas vor im Niemandsland. Ich aber muß vor der Revolution erst ein bißchen Schlafen.

("Back In Seven Minutes". Feinkunst Krüger, Hamburg. Bis 27. Oktober 2012.)


 


Samstag, 6. Oktober 2012


On The Road



Marlen Mueller, genau, das ist die Schwester der großartigen Anousch, die ihr Blog ja leider vernachlässigt und den meisten nur noch als Twitterin bekannt ist. Wir erinnern uns an das Seufzen, das gestern Blogs und Twitter freudig (und in vielen Herzen auch trauernd) durchwehte. Die ist also weg, ihre Schwester aber auch - und zwar auf den Spuren von Jack Kerouac und seinem Roman On the Road. Quer durch die USA von New York nach San Francisco ging es für vier junge Leute aus unterschiedlichen Ländern, viele unverbrauchte Bilder fielen dabei ab, die man noch nicht aus tausend anderen Dokus und Filmen kennt, nicht alle eine echte Entdeckung vielleicht, aber mal ein anderer Ansatz.

Das Ganze ist ein Experiment, ein Wagnis, das eben auch nicht immer gelingt. Vieles bleibt leider flüchtig, viele Momente sind nicht auf den Punkt, so wie die Musikauswahl, die gelingt, wenn ein Beatgedicht mit dem passenden Bob-Dylan-Song unterlegt wird und man merkt, wo sich der Meister mal wieder bedient hat. So kenntnisreich geht es nicht immer zu, was Pink Floyd auf dieser Strecke zu suchen haben, bleibt mir ein Geheimnis. Eine Bereicherung sind auch die Zeitzeugen und Memorials, die anfangs besucht werden und die Spurensuche mit Bildern, Gedanken und Eindrücken füttern. Ab der Mitte aber läßt die Regie die Vier spürbar im Stich. Die Strecke verläuft durchs Irgendwo, und leider füllen die Protagonisten die great wide open nicht so recht, hängen etwas hilflos in der Luft. Wir sehen eine Klassenreise, da sind Leute lustig, albern, führen zwei, drei Sätze "ernsthaftes Gespräch", aber wirklich nahe kommen sie einem nicht.

Ich hätte die meisten ja nach hundert Kilometern schon aus dem Auto geworfen. Bis auf die Fotografin Marlen Mueller, die offen zugibt, das erste Mal in den USA zu sein (die anderen natürlich po.ly.glott) und sich im besten Sinne naiv zeigt, im Sinne von bei sich und offen genug, sich von dem, was sie sieht, beeindrucken zu lassen, statt immerfort nur sich selbst auszustellen oder affektiert durchs Haar zu streichen. Vielleicht wäre es besser gewesen die einzelnen auch einmal stärker einzeln vor die Kamera zu holen, erzählen zu lassen, näher ranzugehen. Uns bleiben Bruchstücke, Fragmente, Stümmelsätze.

Hinreißend bleiben Besuche wie die bei City Lights in San Francisco, einen Laden, dessen Beduetung für die US-Literatur nicht zu überschätzen ist - was man aber auch nicht erfährt. Während es für die vier Reisenden also um eine großartige Erfahrung und erinnerungswürdiges Abenteuer gehandelt haben dürfte, bleibt man als Zuschauer etwas zwiegespalten zurück. Unbedingt wiederholen, sage ich, beim nächsten Mal möchte ich aber bitte das Casting machen.

>>> On Jack's Road, Arte-Mediathek, Teil 1, Teil 2 (Nur noch heute!)

Super 8 | von kid37 um 16:22h | 10 mal Zuspruch | Kondolieren | Link