
Sonntag, 11. Juli 2010


Lange war das Wetter wechselhaft und unsicher wie die Lage am Hindukusch oder in den Herzen, nun aber kann man es langsam wagen, an Dinge im Draußen zu denken. Nachdem das Themometer in der ausgebauten alten Zisterne meines Leuchturms a.k.a meine Wohnung irgendetwas um die 45 Grad anzeigte, dachte ich daran, mit ein wenig häuslichem Inventar unter dem Arm ins Grüne zu gehen.
Nach einer Woche wie unter einer Hitzeglocke, viel zu vielen Stunden in der stickigen Werkhalle, nagt sich schwitzige Erschöpfung durchs Mark. Irgendwie liege ich platt wie ein Käfer auf dem Rücken, schaue lange dem schwindenden Abend hinterher in den Himmel und beobachte die Fledermäuse zwischen den Bäumen umherschwirren (warum eigentlich gibt es in Hamburg so viele Fledermäuse? Oder sind die alle nur um oder - schlimmer gar - in meinen Kopf?). Irgendwo in der Nähe sitzen junge Menschen, schrubben lagerfeuertypisch etwas unbeholfen stumpf auf der Gitarre Gassenhauer aus vier Jahrzehnten Pop-Geschichte herunter. Irgendwann kommt immer Heart Of Gold.

Donnerstag, 8. Juli 2010


Während sich auf der Hinfahrt Richtung Reeperbahn schon vorfelds siegestrunkene Germanen ("Schlaaaand!") ein wenig, nun ja, belästigend in der S-Bahn breitmachten, war die Rückfahrt tiefer in der Nacht von angenehm entsagender Ruhe. Auf und in ruhigen Bahnen rumpelte ich nach Haus, und ist in der Regel Lethargie entschieden abzulehnen, konnte ich so die letzten Grappa des italienisch-spanischen Wirts (da geht ja gastronomisch alles wild durcheinander) zirkulieren lassen, ein Gesöff, mit dem man sonst nur Rohre reinigt, das aber nach dem Ende aller Vierjahresträume für eine gewisse innere Stabilität auch sorgt. Vorbei, vorbei, alles vorbei (passenderweise zur Melodie von "Allein, allein" gesungen), man merkt ja, wer im Team noch spielen möchte und wem es bereits lästig ist, das Trikot einer bestimmten Mannschaft zu tragen.
Die blonde Kollegin neben mir entpuppt sich ausgerechnet als Fan der einzigen Mannschaft, die auf St. Pauli nicht sehr viele Freunde hat, aber da es ihre Heimatstadt ist, drücke ich für den Abend und im Sinne des gemeinsamen Teamgedankens ein Auge zu. Wie auf fremden Platz auch der Gesprächsverlauf über zwei mal 45 Minuten. Nicht einmal fiel das Wort Twitter oder Blogs oder Dingsbook, dafür kreisten wir um völlig normale Themen wie Schlagzeug spielen, das Hausboot des anderen Kollegen, Leben am Wasser generell, Urlaub in Masuren und wieso eigentlich Trochowski statt Kroos spielt.
Das verdiente Nullzueins nimmt man konsterniert zur Kenntnis und ahnt, daß die Spanier auch noch drei Stunden so weiterspielen könnten, ohne daß sich irgendetwas ändern würde. Man rennt und rennt und rennt und kommt keinen Schritt weiter. Dann muß man ein Ende machen, abpfeifen, unter die Dusche und am besten nicht allein.

Dienstag, 6. Juli 2010
Gestern abend dann wirlich nur leicht angetüdelt mit dem Rad nach Hause gerauscht, vor mir nur mein funzliges Vorderlicht und zerfurchte Radwege, vor mir nur einen plötzlichen Gedankenblitz. Es sind die Erkenntnisse, die einen plagen, manchmal sind es die Erinnerungen, die einen plagen wie Mücken, die sich um freigelegte Beine legen, um die Handgelenke und auf den Unterarm. Schütteln, emporheben, zurückholen auf schwankenden Boden. Hüpfend, schleudernd, in einer Nacht ohne Nacht, wie man dann steht vor einer Ampel, wartend in einem Regen. Und mitten im Wald.
Dein Atem, das Lachen, die Zweige, die knackten unter den Narben, der Stoff deines Kleides zwischen den Fingern. Das muß doch möglich sei, das muß doch wirklich noch möglich sein, sich den Sommer zum Freund machen, eine Flasche füllen mit einer wichtigen Botschaft, sich zusammen mit ihr ins Meer werfen, in den Staub werfen und daraus davonmachen, ein Herz stehlen und sich bestehlen lassen, ein Bild mitnehmen und im Stillen denken, Mensch, Polly Jean hat wirklich schöne Füße.

Sonntag, 4. Juli 2010





Vom Vortag klingt mir das Kriegsgetöse aus dem grünüberwucherten Ruinenviertel und Scheppern von Geschirr noch im Ohr, und allgemein scheinen derzeit einige nicht halt zu machen, ehe nicht alles in Scherben liegt. Das muß der Sommer sein, denke ich, die einzige Zeit, in der Rotwein zu kühlen und mit einem Eiswürfel näher liiert zu sein ein echter Gewinn ist. Da ist alles ein wenig bunter und lauter, eine Fiesta fürs Leben. In kurzen Hosen (Wenn mich jemand sieht, bin ich tot, denkend) und dem mutmachenden Lied "My Rifle, My Pony And Me" auf den Lippen, wage ich mich aufs Rad, dem einzigen wackligen Halt, der einem Mann ohne Verein so bleibt. Selbst der Fahrtwind aber ist widerlich warm, die Pause am Elbufer keine Wohltat. Junge Männer mit amerikanischem Akzent machen splitternackt Faxen auf dem Anleger, einer pißt ins Wasser, dann springen alle hinein. Auf einer Picknickdecke in Hörweite diskutieren zwei junge Frauen über ihnen von ihren Freunden zugekommene genitale Befriedigung, sie drücken es ein wenig anders, aber nicht viel charmanter aus und lachen mit einer unangenehm schlandigen Stimme, so als seien sie auf einem Fanfest und feuerten sich gegenseitig an. Der Mensch, ich muß es sagen, ist mir an diesem Tag ein wenig fremd. "Das Haus ihrer Abneigung war bescheiden mit Zärtlichkeit möbliert", lese ich bei Capote, hier draußen im freien Wildwest jedoch ist der einzige Anblick von Ausstattung der von eher kurzläufigen Flinten.
Wie platt ist mein Frosch, denke ich später im Naturschutzgebiet. Kaum vorzeigbar der Geselle, der siegestrunken wohl hüpfte, die Beine so bleich und dürr wie Caipirinha-Strohhalme, ehe ihn ein Auto erwischte und Thorax und Kopf in ebenjenen somm'rigen Zustand versetzte, von dem es heißt, man fühle sich vor Hitze im Schädel wie Matsche. Nichts von all euren Versprechen wird den Herbst noch erleben.
>>> Geräusch des Tages: Martha & The Vandellas, Heatwave

Donnerstag, 1. Juli 2010
Den ballsportfreien Abend genutzt, um noch einmal Das Mädchen aus der Streichholzfabrik zu sehen, Filme, die eher selten großen Zuspruch bei einem Public Viewing finden, dabei heißt es doch, die Wahrheit liege auf dem Platz. Zu diesem Anlaß feierlich den zerschlissenen Anzug angelegt, Vodka, Wasser und ein Notizbuch bereitgelegt, um die Lebensweisheiten alle fein mitzuschreiben. So also verbrachte ich einen wunderbar trübsinnigen Abend unter dem funzligen Schein einer sogenannten Energiesparbirne, die ich extra zu diesem Behufe in die Fassung meiner verrosteten Stehlampe eingeschraubt hatte. Es gibt da diese Szene, in der Kati Outinen aus den Augen heraus spielt, unbeweglich, stumm. Und furchtbar entschlossen, ihr Leben aufzuräumen. Die Momente also, wenn Kino einem ganz nahe kommt, mit so einem unangenehmen, rasselnden Atem und klebrig-klammen Fingern, die einem hinten im Kragen rumwühlen.

Dienstag, 29. Juni 2010
Man muß jetzt die Engländer freundlich unterstützen, sich selbst aber auch, und nun sieht es so aus, als hätte ich mein nächstes Reiseziel gefunden: Das ehemals hochherrschaftliche Calke Abbey hat zwar keine Burleske-Tänzerinnen als Hauspersonal, aber ansonsten alles, was ein Mensch braucht: Frieden, Ruhe, tote Tiere.
Oh. Mein. Gott.
Hier gibt es noch mehr Bilder.
Oh. Mein. Gott.
Calke is a 3D map of mild psychosis, from the collections of Henry Harpur (1789), the baronet with "an unhealthy taste for solitude" who married a lady’s maid, to the christening present bought by Richard Harpur Crewe (1880) for his nephew, a silver-mounted ostrich egg with decorative boars' tusks. [Q]
Der rührige National Trust hat lobenswerterweise hier die Hände stillgehalten. Konservieren statt sanieren, heißt die Losung im Falle dieses verlorenen Heimes, weshalb schwäbische Hausfrauen hier auch keinen Zutritt haben. In die Ferne reisen, um wie zu Hause zu sein, ein Konzept, das sonst nur Wohnmobilisten verfolgen, ein Paket Kaffee muß man vielleicht noch mitbringen, ansonsten ist alles bezugsfertig parat, im Keller ließe sich sicher schnell eine Behelfsdunkelkammer einrichten. Oder ein Sektionsraum. Hitchcock Blonde sagt: "Go to Calke in five inch heels and no knickers, and celebrate ancestral insanity with apocalyptic abandon." [Q] Man kann dort sicher still im Garten sitzen with no knickers, einen selbstgeschossenen Fasan ausstopfen, ein Tagebuch befüllen oder ein Erinnerungsgefäß. Dazu leise Musik, und das einzige, was geschieht ist, daß es irgendwann Abend wird. Vielleicht schreibe ich dir eine SMS mit "Wish you were here", wandere dann um das Grundstück und spanne die Tellereisen auf.
Alternative? Keine Hier. Oder halt das Schiff.

Montag, 28. Juni 2010


Mechanische Wochenabhake, wie man vielleicht im lockeren Ton des Fluppen-Deutschs daherschlenzen könnte. Viel zu viel Geld ausgegeben, ein bißchen Frust-Shoppen war auch im Spiel, monetär erworbenes "Das bißchen besser" (Die Sterne). Keine Manolo-Blahnik-Schuhe, eher technisches Spielzeug, allerdings keine multimediale Schiefertafel, über die neuerdings so viel geredet wird. Eine solche hatte ich aber auch in Hand, von den Vorbespielern schon ordentlich verschmiert. Sich so betatscht fühlen, manchmal. Die fettfleckmattierte Hochglanzflunder löst Schrift nicht wirklich scharf auf, so mein Eindruck. Ein Gerät zum Verschwimmen, zum Danebenlesen. Dafür einen prima Stuhl erstanden, der aussieht "wie aus der Anstalt", so ein Kommentar. Ich denke, seine in abgewetzter Patina verlorengegangene Herkunft hat einen anderen Ursprung, finde aber, ich habe offenbar richtig gekauft.
Auf dem Flohmarkt eine kleines emailliertes Schild erworben, nun kann ich auch endlich die Hausnummer an mein Blog schrauben. Falls jemand vorbeikommt, sieht der gleich, wer hier womöglich wohnt. Manchmal hat man sich ja Gedanken gemacht. Grundlos.
Zum Radfahren, stellte ich auf dem Rad fest, war es am Sonntag viel zu heiß. Am östlichen Himmel gaben mir Signalraketen und Feuerwerkskörper den Spielstand an. Ein weiteres Zeichensystem, Sprache kann so vielfältig sein, das Gesagte oft schüchtern verhüllt. Die Menschen schauen fern, Klagenfurt vielleicht, auf den flirrenden Straßen des Gewerbegebiets bin ich ganz allein. Staubige Stille. "You never wanted me anyway." (PJ Harvey).
