Mittwoch, 12. Dezember 2007


C'est comme ça

Mais c'est la mort
Qui t'a assassinée Marcia
C'est la mort
Tu t'es consumée Marcia

(Les Rita Mitsouko, "Marcia Baïla." 1984.)

Im November schon. Und ich bekomme wieder nichts mit, völlig eingegraben in diesen Belangen und jenen. Den Namen kennt kaum einer mehr, Fred Chichin, ein schlaksiger, fast dünner Franzose, eine Art Gaston Lagaffe an der Gitarre. Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Catherine Ringer gründete er 1980 Les Rita Mitsouko, ein Pop-Duo, das auf sehr französische Art New Wave, Chanson, Röck'n'Röll-Theater, Jazz und Varieté vermischte und mit Liedern wie "Marcia Baïla" und "C'est Comme Ça" europaweite Hits landete. Ringer, die sich zuvor mit sogenannten Erwachsenenfilmen ihr Brot verdient und als Schauspielerin und Sängerin einen Namen in der Pariser Künstlerszene gemacht hatte, war die selbstbewußte Skandalnudel und schneidige Stimme für den eher schüchtern wirkenden Chichin. Zusammen waren sie bunt, laut, melodisch-erotisch, changierten schillernd zwischen teils rotziger Punkattitüde, schriller Mode und moderner Clip-Ästhetik, eher Gesamtkunstwerk als musikalisch "begnadet". Sie arbeiteten mit Thierry Mugler zusammen, mit Godard und Mondino und waren immer auch "Le Look" genauso wie Musik.

1993 oder '94 sah ich sie in Düsseldorf, da war der Furor früher Jahre schon verblaßt, die Band feierte eine Party, blieb aber oben auf der Bühne ein wenig für sich. Mlle Ringer mit einer merkwürdigen Strickmütze auf dem Kopf, Mr ChiChin sehr ernst an der irgendwie sehr groß wirkenden Gitarre.

Die aktuelle Tour ist unterbrochen. Fred Chichin, der dünne Gitarrist ist nun am 28. November gestorben, zwei Monate, nachdem er von seiner Krebserkrankung erfuhr. Er wurde 53 Jahre alt. C'est Comme Ça [Youtube]

>>> Webseite von Les Rita Mitsouko

Radau | von kid37 um 22:21h | 18 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Dienstag, 11. Dezember 2007


Und sonst?



Ich bin mir nie sicher, wie andere Menschen ihren Sonntagnachmittag verbringen. Ich jedenfalls setze mich dann an meinen schmalen Tisch, hole mir Schere und Kleber und die ganzen famosen Produktinformationen, die mir der freundliche mindestlohnbezahlte Mann von der Post in meinen Briefkasten steckt - und dann schneide ich akribisch die interessanten Angebote der Woche aus, um sie noch akribischer und mit einer gewissen interessierten Zärtlichkeit in mein Wochenplanbuch zu kleben.

Was dachtet ihr denn?

Es liegt darin eine meditative Ruhe, ein inneres harmonisches Schwingen, dem sich das Oszillieren der Preise und die Buntheit der Schweinebäuche unterordnet. Ich atme Angebote könnte man sagen, der Ort Supermarkt wird mir zum Lichtspielhaus, zum Haus der Träume, ein Orgienpalast des Alters. Ab Montag dann warten nicht nur Stangenspargel und Herren-Stringtangas aus Elasthan auf mich, Harzer Wurstwaren (29 Prozent runter) und Fusel ohne Alkohl (20 Cts. gespart), auch der Wahnsinn (gleich 15-teilig) und die "Tafelschokolade" (passend zu Tafelwasser und Tafelwein) sind echte Verlockungen, für die man ruhig auch mal eine Stunde früher beim Geschäft sein sollte. Wer weiß. Jahreszeitlich im Trend, wenn auch historisch irreführend ist vielleicht die "Weihnachtskrippe Villa" (14,99 €). Aber warum soll das Jesuskind dieses Jahr nicht einmal in einem schicken Nobelheim statt in einem kargen Stall liegen? Vielleicht hat der Josef, sonst hatte er ja nicht übermäßig viel zu tun, unterwegs Lotto gespielt und konnte es sich leisten. Oder es wurde ihm eine stattliche Herdprämie gewährt, weil er zunächst zu Hause blieb. Nächstes Jahr heißt es möglicherweise bereits "Weihnachtskrippe Prinzenpalais", wenn das mit dem Aufschwung so ungebremst weitergeht. Dann erhalten auch Zimmermänner den Mindestlohn.


 


Sonntag, 9. Dezember 2007


Keine Nieten

In Rummelplätzen, wo Athleten ringen,
Wird alles dunkler schon und ungenau.
Ein Leierkasten heult und Küchenmädchen singen.
Ein Mann zertrümmert eine morsche Frau.

(Alfred Lichtenstein, "Sonntagnachmittag". 1912.)



Eigentlich ging ich nur hin, um mir am Schießstand selbst etwas zu schießen. Eine Pfauenfeder vielleicht oder ein Schwammkopf©®™-Kissen. Es hatte nur wenig geregnet und auf dem nassen Pflaster spiegelten sich farbige Lichter. Von vielen Seiten ertönte Musik. An einem Stand verzehrte jemand eine Bratwurst. Neben mir standen zwei, die haben gelacht. Auf dem Winterdom gibt es die Wasserrutsche nicht. Die Leute sind sehr laut und geben sich vergnügt, wenn sie durch die Gischt rasen. Aber sie tun das nur im Sommer. Die Autoscooteranlage bietet an, seinen Geburtstag dort zu feiern. Wenn ich Geburtstag habe, ist in Hamburg keine Kirmes.

"Für unsere Gäste nur das Beste". An einem Fahrgeschäft schrieb ich mir die Sprüche des Ansagers auf. Vielleicht kann ich sie zitieren, wenn ich einmal eingeladen bin. Ich habe dann noch ein wenig zugeschaut und ging ohne das Kissen nach Hause. Na ja. Hat man halt was erlebt.






 


Samstag, 8. Dezember 2007


Und heute, ja...

...bereue ich es, daß ich damals den Kommentar gelöscht habe, wenn es auch gute Gründe dafür gab. Und heute lese ich noch einmal in alten eMails nach und lese, daß er mich wohl gerne kennengelernt hätte. Und heute wissen wir, daß es nicht mehr möglich sein wird. In dieser Welt.

Es steht mir nicht zu. Nur unbekannterweise. Alle Vorwürfe waren damals richtig. Und letzten Endes mag ich es, wenn Leute Rückgrat zeigen. Bussibussi gibt es genug. He, Punkrocker, danke, daß du mir auf die Schnauze gehauen hast. Denn du hattest recht.

Rock on. Woimmer du bist.

The Mercy Seat | von kid37 um 03:08h | | Link

 


Samstag, 8. Dezember 2007


Ein Glücksfall fürs Marketing

Klar ist die talentiert. Das sagen die Fans von Joe Cocker über den Mann aus Sheffield allerdings auch. Und natürlich liebt jeder "uns Amy". Schon aus Beschützerinstinkt. Sie tut schließlich niemandem weh, höchstens sich selbst. Andererseits wird es in jedem zweiten US-amerikanischen Kirchenchor eine ebenso talentierte geben. Oder hier, in Hamburg. Nur nicht ganz so schwer tätowiert und als "huch, verrucht" vermarktbar.

Ich hatte übrigens zu Weihnachten einen Pet-Shop-Boy-Remix von "Rehab" erwartet. Schon wieder so eine Enttäuschung.

Die können es schließlich. 'Cause they were never being boring. Das Lied, das die 80er beendete und für die Erinnerung öffnete. Auf die allerschönste Weise. Denn eins waren wir nie: langweilig. Und ja, manchmal denke ich, du sitzt hier neben mir. Wie wir es uns ausgemalt hatten.

Damals.

Radau | von kid37 um 00:59h | 18 mal Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Donnerstag, 6. Dezember 2007


Rotmützenalarm

Weder brav noch böse, dieses Jahr bin ich gar nicht gewesen. Deshalb stand kein Jakobiner vor der Tür (alter Studentenbewegungswitz) und noch nicht einmal ein Nikolaus. Den gab es immerhin in der Fabrik. Sehr gerührt gewesen, hätte nur noch gefehlt, daß ein kleiner Posaunenchor unten im Hof "Nun danket alle Gott" gespielt hätte. Derweil möchte meine Mutter wissen, ob ich etwas zu Weihnachten geschenkt haben möchte und verwies auf die tollen Angebote eines großen Kaffeerösters.

Beim Blättern fiel mir ein Hilfsmittel ins Auge, bei dem ich mich sofort fragte, wie ich bislang ohne es auskommen konnte: das elektrische Krawattenkarussell - sogar mit Beleuchtung (aber ebenfalls ohne Musik). Lieber hätte ich deshalb das Karaoke-Einstiegsset mit sogenannter Party-DVD. Wie ich hörte, soll das Menschen Freude machen. Zusammen mit meiner noch zu erwerbenden trübselig wild blinkenden Heimlichtorgel, werde ich 2008 der coolste Typ Hamburgs sein. Ach was, Hamburg. Man muß in größeren Dimensionen denken! Ich jedenfalls lade mich dann ein.


 


Mittwoch, 5. Dezember 2007


Aus den Augen

They come - and they go
It's a passing of time

(Siouxsie and the Banshees, "Monitor". 1981.)

Menschenkino, ein steter Fluß von Reizen mit wechselndem Programm.

Ich glaube, ich muß mich gleich übergeben.