Samstag, 9. Mai 2020
Während viele wahlweise wegen frühzeitiger Hitze oder allgegenwärtigem Virenunheil im Heimkontor Kreise in den Teppich laufen, habe ich in den letzten Tagen ganz munter gewerkt und geschraubt und auch gesägt und fand dabei eine weitere kleine Kiste alter Familienfotos. Darunter auch ein recht schlecht erhaltenes (aber wer kann schon anderes von sich behaupten?) Bild von Urgroßonkel Ladislav.
Ein Flugbegeisterter, der Anfang des 20. Jahrhunderts, glaubt man den Erzählungen in der Familie, wohl den Kopf in den Wolken trug. Aber in jeder freien Minute neben der Landarbeit (manche meinen, er sei Schuster gewesen, was sein technisches Geschick erklären könnte), fleißig dabei, in einer alten Scheune allerlei Fluggeräte aus Latten und Gelumpe zusamenzuschrauben. Mit erstaunlichem Erfolg: Bald war es in seinem kleinen Dorf irgendwo in Westpreußen ein gewohntes Bild, daß er als wagemutiger Pilot ("A daring young man!" sagten spätere britische Weggefährten über ihn) mit knatterndem Motor über die Felder schwirrte wie eine betrunkene Fliege.
Wacklig oder nicht - seine Konstruktionen verschafften ihm frühen Ruhm bis in die nahe Kreisstadt. Mit seinem Modell Nummer 37 (ein lustiger Zufall, wie ich finde) ließ er sich, ein bißchen arg stolz vielleicht, aber mit beeindruckendem, irgendwie weltläufigen Schnäuzer im Photostudio porträtieren. (Beachtlich auch, ganz nebenbei bemerkt, daß dort ein ganzes Flugzeug hineinpasste.)
Sein Traum war wohl, da war sich Urgroßtante Wablonka in den wenigen ihrer überlieferten Briefe sicher, den Atlantik zu überqueren. Von Danzig über Paris zur Küste und dann gegen den Westwind wie der (verschollene) französische Kollege Charles Nungesser gen Nordamerika. Dazu kam es aber nicht. Er überquerte den Atlantik in den 20er-Jahren schließlich auf einem Frachter, sein Flugzeug Nr. 37 im Laderaum, und landete in Südamerika. Von seinem Leben dort ist nicht viel bekannt. Angeblich zog er zunächst als Kunstflieger mit einem Jahrmarkt von Brasilien aus bis nach Chile, scheiterte mit einer eigenen Flugschule und wurde schließlich Postflieger in der Andenregion. Dort soll er auch, ein braver Briefträger der Lüfte, 1929 abgestürzt sein. Bis heute hat man aber weder eine Spur von Urgroßonkel Ladislav noch von den Trümmern seiner Maschine gefunden.
Bisherige Folgen: 1 und 2