Dienstag, 20. Juni 2017


To the Max



Erstaunliche Dinge geschehen manchmal ganz unerwartet. Man kennt das ja aus dem astrophysikalischen Tageskalender. Wie aus den unendlichen Weiten des Weltraums ein Komet seine Bahn zieht, der nur alle paar Jahre sichtbar wird, irgendwo reinkracht, zu Verwerfungen auf der Erde führt, Sturmfluten, Erdbeben, Versinken in Rotwein. Man sitzt da wohlmöglich nachlässig gekeidet hingehockt vor seinem Teleskop, sieht ein heranrauschendes Objekt aus dem All und denkt literaturnobelpreisverdächtig "something is happening, but I don't know what it is". Mehr prognostische Klarsicht hatte einst Frau Gaga, die machte uns von ihrer Sternwarte aus vor Jahren bereits aufeinander aufmerksam, so daß wir uns auf gewisse Weise schon kannten, obwohl wir uns aus diesem oder jenem Grund und einem anderen nie getroffen hatten. Da könnte man mal ein Buch darüber schreiben.

Komplizierte, elliptische Flugbahnen also führten Komet Max dann doch aus dem blauen Sternenhimmel heraus nach Hamburg. Ihre Freundin Tania Jacobi hat hier gerade eine Ausstellung, sie selbst dort einen Auftritt, ich ging zur Eröffnung, wir erkannten uns gleich, der Rest ist Kunstgeschichte. Kann man mal ein Buch darüber schreiben.

Manchmal, selten, macht es ja gleich Klick. Da geht es nicht nur darum, wer die dreckigeren Witze reißen kann oder welche Art von Musik und Kunst man bevorzugt, wie man Dinge politisch betracht oder Dinge, die man essen kann. Am Ende ist es der Grad von Selbstverständlichkeit, mit der man miteinander umgeht. Dann läuft man gemeinsam auf einem Crashlanding-Kometenkurs durch die Stadt, wühlt sich begeistert durch Bücher über Taxidermie und Low-brow-Art, tauscht Lebensgeschichten und Einblicke, Gemeinsamkeiten. Pattern recognition. Irgendwann sitzt man gemeinsam in der Garderobe auf einer Art Therapiecouch und ißt ein Eis, irgendwann war ich als Bühnentechniker angeheuert. So beginnen Freundschaften. Da wird sicher mal jemand ein Buch darüber schreiben.

"I came to fuck up your mind", wurde zum überzeugend selbstbewußt vorgetragenen Motto der letzten Tage über einer in meiner Küche herbeigekochten Suppe, ein gutes Stück Therapiearbeit und freundschaftlicher Tritt in den Hintern, damit ein bißchen dieser ansonsten für Deutsche so gefährlichen Zugluft für frischen Wind im Hause sorgt. Nach den zurückliegenden anstrengenden und manchmal auch leicht beängstigenden Jahren die Energie wieder fokussieren, seinen Kram neu ordnen und den Blick wieder auf die Horizontlinie richten. Ich konnte mich immerhin mit einem kleinen Deutschkurs revanchieren und erläutere, wie man fehlerfrei "Du Opfer" sagt. Kulturaustausch ist so eine bedeutende Sache! Möchte mal jemand ein Buch darüber schreiben?

Ein transitionskraftverstärkender Vollmond hängt fett am Himmel, als wir am Knust vorbeigehen. Ein Chor steht vor dem Haus und singt "Bye-bye, Junimond". Das wird kein gutes Ende nehmen, sage ich. Neulich hätte ich zum ersten Mal die ISS gesehen. Sechs Minuten lang zieht die Raumstation ihre Bahn als leuchtender Punkt über den Himmel, ein sehr helles Objekt in einer eigentlich unfassbaren Entfernung. Dann ist sie wieder verschwunden. Sei kein Pessimist, höre ich. Drüben im Restaurant sind tatsächlich noch Tische frei. Man muß immer den ganzen Weg gehen. Aber wir sind etwas müde vom Tag. Wir haben uns so lange nicht gekannt.

Darüber sollte mal jemand ein Buch schreiben.

>>> Geräusch des Tages: Bob Dylan, Ballad Of A Thin Man