Dienstag, 18. September 2012
Seit Tagen geht mir ein Schlager aus den 80er Jahren nicht aus dem Kopf. "Eins kann mir keiner", lallt es da in den Hohlräumen meines schrumpfenden Hirns. "Eins kann mir keiner nehmen", geht das gröhlend weiter wie ein Geier im Sturzflug: "und das ist die pure Lust am Leben". Yeah, sage ich dann, halb gebückt an der Schreibtischkante aufgestützt. Und nochmal: "Yeah!" Denn wie sagte man mir neulich so schön: "Wer will, der kann auch."
Folgsam trat ich mir heute sozusagen selbst in die Kniekehle, ein derber Spaß, nur zur Ermunterung, was sonst, und wankte gen Deichtorhallen. Dortselbst zu sehen die ärztlich nicht weiter betreuten Visionen des Albert Watson. Darauf hatte ich mich ursprünglich seit Anfang des Jahres, als ich erstmals von diesem Projekt hörte, gefreut. Vor fünfzehn Jahren oder so habe ich eine Ausstellung seiner Fotos in Düsseldorf gesehen oder Köln, ich erinnere mich nicht mehr genau. Damals begann ich selbst gerade verstärkt im Mittelformat zu fotografieren und lebte eine Zeit lang quasi nur in der Dunkelkammer, was mich nicht recht weiter, aber immerhin von der Straße wegbrachte. Es war also auch eine technische Begeisterung dabei, die großformatigen sepiagetönten Abzüge Watsons zu sehen, allesamt atemberaubend akribisch ausgefleckt, wo ich beim Vergrößern mit Staub und Flusen kämpfte.
Ja gut. Und es waren die Neunziger. Da gab es noch die Max und den Stern (ach so, höre gerade, den gibt es ja immer noch). Und Stars und Supermodels, und die Frauen waren alle nackt. Also auf den Fotos von Albert Watson. Der hatte 1975 Alfred Hitchcock mit einer toten Gans (das Tier meine ich) fotografiert, hatte damit laut Selbstaussage seinen "Durchbruch" geschafft, wohin, weiß ich nicht, denn die meisten ikonografischen Fotos von Watson stammen eben aus den Neunzigern. Nun ist das alles vorbei.
Ja, es gibt den Stern tatsächlich noch, die von Watson häufig fotografierte Sängerin Sade macht ab und an Musik, sogar die Max erscheint als eine Art Zombiemagazin immer wieder mal am Kiosk und kündet trotzig von einer Zeit, die heute fürchterlich fremd und befremdend erscheint.
Wer will heutzutage noch ernsthaft Porträts von Mick Jagger und David Bowie sehen? Oder cross-entwickelte Glossy-Pics von LackLederLatex-Damen in der Wüste bei Las Vegas? Diese Welt, sollte es sie jemals gegeben haben, ist so tot wie die plattgefahrenen Frösche, die Watson zwischendurch auch immer mal wieder fotografiert hat - in so einer sterilen Studio- und Leuchttischfotografie, Schattenlosigkeit, Hohlkehle mon amour, ästhetisch-technische Spielereien, die ein Hinweis darauf sind, wie einem der Instagram-Dreck in zehn, zwanzig Jahren vorkommen wird.
Fotografie sollte ja im besten Fall ein Fenster sein zu einer Welt, die man so nicht kennt. Weil einem als Betrachter der Zugang fehlt. Und natürlich habe ich keinen Umgang mit Mick Jagger (muß jetzt auch nicht mehr anrufen), daher ist es schön, den Mick Jagger dann mal sehen zu können, aber, und das ist der zweite entscheidende Punkt für gute Fotografie, da ist noch die Frage der Haltung. Man will ja was erfahren, was man nicht schon weiß, über den Jagger zum Beispiel - und da macht es wenig Sinn, ein durchästhetisierte Abbild eines bereits durchästhetisierten "Image" zu fotografieren, auf eine Weise, mit der man für gewöhnlich auch Autos oder Waschpulver oder nackte Körper fotografiert.
Weshalb einem Fotos ja auch Geschichten erzählen sollen. Authentizität war dafür mal ein Begriff (gilt ja auch schon wieder als überholt), weshalb man sich im Sog von direkten, persönlichen Zugriffen auf sehr, sehr eigene Welten wie bei Larry Clark, Nan Goldin und Wolfgang Tillmans dann eben den ganz normalen Leuten und Nachbarn und Freunden auf Flickr zuwendete, ihre Geschichten und Eindrücken verfolgte - und es einem auch scheißegal war, wo die Schärfeverläufe lagen oder ob Lichtsäume und Reflexionen durchs Bild schossen. Die Helsinki Schule machte daraus für die Kunstfotografie eine eigene Richtung, die Max wurde visuell folgerichtig durch Vice und Strecken voller trashiger Kotz- und Partybilder abgelöst. Ein Fenster zu eigenen oder fremden Welten, je nach eigener Lebenswirklichkeit. "Denn eins kann mir keiner..." Schön zu sehen auch im Niedergang der Pornoindustrie, den zu beklagen auch nur Leuten einfallen kann, die meinen, armselige Pseudo-Glamourveranstaltungen wie die Venus und Plauderstündchen mit Dolly und Gina seien der Inbegriff eines auch nur ansatzweise relevanten Gesellschaftslebens. Die Welle der Amateurpornografie in den letzten zig Jahren war dabei möglicherweise emanzipatorischer als die ganze Bloggerbewegung. Jedenfalls bei allem, was man auch dagegen einwenden könnte, ein gelungenes Beispiel für Kill Your FUCKING Idols, mach es selbst. Bauchfalte statt grimassierender Schauspielschule. Könnte man auch mal kuratieren und von der Straße ins Museum holen.
So. Ich bin ein bißchen vom Wege abgekommen, ich wollte ja in die Deichtorhallen. Dort hat man die Werkschau, damit der Anachronismus nicht ganz so augenfällig wird, erweitert ("featuring") durch eines von Watsons aktuellen sozial engagierten "Projekten": Cotton Made in Africa nennt sich das und soll aufmerksam machen. Wozu dann die Leiterin der betreuenden Hilfsorganisation was dichtet vom "Medium der Kunst" und dann geht es nachhaltig weiter mit Bewußtsein und... während man etwas ratlos vor den Porträts steht, die Watson in Benin gemacht hat. Ich weiß nichts von Benin und erfahre auch nicht viel, aber die Menschen dort tragen bunte Sonnenbrillen und Trainingsanzüge und traditionelle Kleidung und stehen vor pittoresken Hintergründen und halten sogar einmal freundlich lächelnd Baumwolle in die Kamera und sehen dabei aus wie Models in einer Modestrecke. "Wirklichkeitssplitter aus dem Leben der afrikanischen Baumwollbauern" (Zitat) sollen das sein, und das ist glücklicherweise offenbar alles sehr schön und gefällig. Und paßt damit ja auch super nach Hamburg.
("Albert Watson: Visions. Feat. Cotton Made in Africa". Deichtorhallen, Hamburg. Bis 6. Januar 2013)