Montag, 28. Mai 2012
Pfingsten, ein Fest für Geist und Bewegung, Davonstehlungs- und Selbstverfolgungsfahrten. Das Wetter verbietet den Übergangsmantel, man preise Vitamin D als neues Salz auf der Haut, setze sich also der Sonne aus, eine bleiche Winterklage auf zwei Rädern. Die alten Strecken allerdings verströmen langsam einen Geruch von Langeweile, wie abgestandene Sonnenmilch, die übrig blieb von einem zu lange zurückliegenden Urlaub.
Also einfach mal weiterfahren, immer weiterfahren, mal kurz den Rückweg vergessen, mal kurz unbekümmert tun, sollen die mich doch auflesen oder liegen lassen, ich bin jetzt Doom-Rock-Radler, ich zerdehne die Zeit in eine ganz andere Dimension. Mit lufterfrischten Reifen und derartigem philosophischen Unterbau geht's gewundene Deichstraßen an verwitterten Häuschen und Gärtnereien entlang, ich setze mir immer neue Etappenziele, die Sonne summt, das Tretlager läuft erstaunlich ruhig, nach Südosten weist die Nadel, bis nach 25 Km dann das Zollenspieker Fährhaus den Schlußpunkt markiert. Wieder einen weißen Fleck auf meiner Umgebungskarte ausgemalt.
Eine Motorradgruppe wartet auf die Fähre über die Elbe Richtung Winsen, ich setze mich in den Biergarten und trinke zum ersten Mal in meinem getränkeverseuchten Leben ein "Alster" (das ist "Radler" für euch da unten). Irgendwie dachte ich, warum auch immer, das sei Bier mit Wasser verdünnt, aber Himmel, das ist ja Limo drin! Bäh! Das kann man doch nicht trinken, wieso sagt mir das keiner? Der Inder neulich hatte mich ja schon vorgewarnt, aber daß ihr mich tatsächlich so ins offene Messer laufen laßt, hätte ich nicht erwartet. Unbekümmert wie ich war, hatte ich mir gleich ein Großes geben lassen, was in meiner sozialen Umgebung sicher zu nur noch mehr Gelächter führen wird. Ich lasse mir aber nichts anmerken, denn neben mir saß ein ganz in Orange gekleideter Pirat, und ich will mir nicht meine frei geäußerten Emotionen stehlen lassen. (Gibt es überhaupt ein emotionales Eigentum?)
Wie in einer Moselschänke sitzt man dort etwas erhöht, kann hinunter aufs Wasser und die Boote schauen, manchmal zieht ein Binnenschiff vorbei oder eine Erinnerung, ein halbverkokelter Traum, dann muß ich aber aufpassen, daß mir beim Notizbuchkritzeln nicht die Bleistiftmine zerbricht. Zurück dann über einen anderen Weg, links Naturschutzgebiet, rechts auch Naturschutzgebiet, es sieht eigentlich aus wie immer, wie das halt so ist hier im Norddeutschen. Wohin du auch fährst, es sieht aus wie immer, man sagt am besten "och jo" und gibt sich einfach weiter unbeeindruckt. Unten am Sperrwerk ist die Villa nun weggerissen. Das alte Spiel, erst vernachlässigen und dann erkennen, das alles unrettbar verloren ist. Kenne ich, ist mir auch schon passiert. Wat fott es, es fott, sagt man im Rheinischen, man kann Jammern oder es besser lassen.
Wie beim plörrig-süßen Alster richtig gerechnet, steht am Ende 52 auf dem Tacho. Das ist nach den deprimierenden Erfahrungen von vor ein paar Wochen ein ziemlich guter Wert. Man weiß ja nicht, was später ist. 52 Km, das ist ganz gut. Das muß ich mal festhalten. Wenn man mal jammert, kann man zurückblicken und sagen, Mensch, 2012 war aber auch das Jahr, als du noch 52 schafftest. Erinnert mich daran.