Dienstag, 9. November 2010
Nach dem langen Blick auf zerklüftete Plateaus und gewundene Flüsse legt sich das Flugzeug im Anflug auf Istanbul mit schönem Schwung in die Kurve, dippt erst die eine, dann die andere Tragfläche, ein Fliegergruß, wie das Links-Rechts-Blinken der Brummis auf der Autobahn. Alles, was ich übers Fliegen weiß, habe ich hier gelernt: Kontrolliertes Trudeln, Steil- und Sinkflüge, Navigation auf Sicht - wir hatten ja nichts. Sicherlich, so mußte ich mich schon des öfteren Belehren lassen, hat sich die Technik mittlerweile weiterentwickelt. Aber wenn die Maschine stalled ist es egal, wie alt sie ist. Im schönen Schwung also über die Vorstadt, die gestaffelten Hochhäuser der Wohngebiete sehen aus wie bei Sim City, ich klebe mit der Nase am Fenster, die Stadt scheint sich endlos weit zu erstrecken und irgendwo, mittendrin, wird die Landebahn sein.
Vom Flughafen aus geht es wenig kompliziert mit der U-Bahn weiter, wenn man mal kleinlaut unterschlägt, wie unbeholfen ich mich mit Koffer und Tasche und wenig Orientierung am Drehkreuz angestellt habe. Ein nochmaliger Dank an den Bediensteten des Istanbuler ÖPNV, der ohne weiteren Kommentar für mich die Sperre öffnete. Schweigen wir bitte, alles gut. Anders als in einer Doku bei Arte gesehen, in der der Korrespondent der Süddeutschen ein Bild des Schreckens über den Umsteigepunkt in die Straßenbahn malte, ist das Umsteigen in die Straßenbahn so einfach und bequem, daß selbst ich es schaffte. Man steigt natürlich, ein Blick auf die Karte erklärt das von selbst, zudem weist eine Durchsage darauf hin, in Zeytinburnu um und eher nicht in Aksaray - aber dann macht es in einer Doku über die wuselige Rush Hour natürlich nicht so viel her.
Die Tram hält praktischerweise fast in meinem Hotelzimmer, was aber kein großes Problem darstellt, denn sie fährt nur die halbe Nacht. Man lebt, der Orient ist nah, hier nach der Sonne. In dem Zimmer war zuvor David Lynch zu Gast, jedenfalls erinnert es mich an Lost Highway. Der Schrank ist so klein, es wohnt garantiert ein Zwerg darin.
Ich folge dem Geruch des Wassers zu den Fähren hinunter. Restmilde liegt noch in der Luft, so eine Art Katzenwärme, man streckt sich, atmet, dreht die Gelenke nach außen und in die herbstlichen Sonnenstrahlen, die vom Wasser reflektiert werden, das selbst hier vom Ufer her aussieht wie ein Paar sehr grüne Augen. Die Geräusche schreibt man sich besser schnell in eine Partitur, das Hupen der Autos, das Tuten der Fähren, das Rufen des Muezzins, dem von den sieben Hügeln der Stadt herunter geantwortet wird. Da bin ich also, denke ich, während ich aber schon angesprochen werde, keine halbe Stunde in der Stadt. Man wird dort, das weiß ich nun, eigentlich ständig angesprochen, von jungen Leuten oft, manche sind auch geschäftlich unterwegs, dann gibt es die Koberer, die vor den Restaurants warten, die alten Männer, die Schuhe putzen oder wertvolle, handgeknüpfte Dinge für den Haushalt verkaufen. Am Anfang aber habe ich noch keine Kamera um den Hals hängen, sondern mich wie Schulze & Schultze in Landestracht geworfen.
Ein junger Mann möchte von mir mit seinem Mobiltelefon fotografiert werden, er spricht mich auf Türkisch an, erklärt mir, welche Tasten ich drücken muß, wir kontrollieren das Bild, ich mache gleich noch eins, dann stellen wir lachend fest, daß ich gar kein Türkisch spreche. Er feiert gerade seinen Ausstand, wir reden nun Englisch, er hat seinen Militärdienst beendet und verbringt ein paar Tage in Istanbul. Ich auch, meine ich, während er ein wenig erschrocken fragt, was mit meinem Haar geschehen sei. Es ist grau, sage ich. Ich sei ein alter Mann. Er tut so - und diese Freundlichkeit muß man den Türken lassen - als glaube er mir kein Wort und lädt mich ein, ihn und seinen Freund ins Kneipenviertel am Galata-Turm zu begleiten, was ich ebenso freundlich - so viel muss man mir lassen - ablehne.
Ich muß jetzt nämlich erst einmal eines dieser Fischbrötchen essen, Balik Ekmek, die von gefährlich schwankenden, bunt beleuchteten Booten herunter verkauft werden. Bratfisch, Salat, Zwiebeln zwischen zwei Brothälften, dazu Salz und Zitrone und schon könnte man glatt sein Käsebrot vergessen. Man geht dort also nicht unter und verhungert auch nicht. Das zuallerletzt.