Donnerstag, 12. Juni 2008
Heute morgen, sehr früh, hieß es wieder Frohe Miene, böses Spiel. Kein Kaffee, aber Blut und zehn Euro bitte. Ich bin da ja nicht so für. Diese bei manchen ja offenbar schwer beliebte Extremsportart "Frühaufstehen" (die U-Bahn war voll von solchen Fanatikern) hat nur einen einzigen mir ersichtlichen Vorteil: Ich schaffe es im Anschluß auffallend zeitig ins Herz der Finsternis Gartenzwergfabrik. Kollegen, der Chef, alle entzückt oder erstaunt, Herr Kid, so früh! oder Brav, Kollege, brav! schallt es durch den langen Flur, ganz im Stil der alten Comics aufgesagt: "Super, Herr Gaston!"
Vorher war aber Aderlaß. Leider saugte diesmal nicht die interessante Emo-Punkette an meiner Ellenbeuge. Doch war es auch so sehr schön, denn auch zwischen der ebenfalls sehr charmanten Laborantin und mir paßt allenfalls ein Latexhandschuh. Danach endlich hinein ins Sprechzimmer - zu ihr.
Na, fragt sie. Wie geht es ihnen denn mittlerweile. Besser als beim letzten Mal? Ich mache einen auf norddeutsch und sage "och-jo" und "muß ja" und außerdem sei "Fußball", das lenke ab vom Kardiologischen. Sie findet das schön, ich denke, denkste. Die Werte seien auch viel besser, sozusagen top. Sie strahlt mich fröhlich an dabei, und ich bin wieder gleich entzückt. Betasten will sie mich heute nicht, lieber reden. Ohne Kaffee fällt mir das morgens schwer. Ob ich nicht trotzdem noch einen Kollegen aufsuchen wolle? Nein, sage ich. Ehrlich gesagt (und wann ist man das schon, so beim ersten oder zweiten Treffen?), könne ich keine weißen Kittel mehr sehen. Sie schaut kurz an ihrem herab, lacht dann aber erneut und meint, das könne sie gut verstehen. (Kurz denke ich, tun wir doch leger, ziehen das Ding aus, ich hole einen Kaffee und dann reden wir noch... ein bißchen. Aber für zehn Euro bleibt dafür keine Zeit.)
Mir sei mehr nach Insel, setze ich nach. Da wird sie aufmerksam. Hiddensee, sage ich knapp, als sei damit alles gesagt. Sie kennt die Insel nicht, hat aber viel davon gehört. Und gleich hört sie noch ein wenig mehr: Ich lobe den Landstrich, die Menschen und das Klima, die Ruhe. Die Ruhe vor allem. Oh, meint sie und schaut schmerzlich. Ruhe tue bestimmt gut. "Nur ein Internetcafé!" trumpfe ich auf. Über ihre schönen Augen legt sich ein Hauch von Sehnsucht. Es würden ja viele Künstler dorthinfahren, habe sie gehört. "Ich, zum Beispiel", nicke ich. Manchmal liefen Menschen Gedichte deklamierend am Strand entlang. "Und abends sitzen alle im Wieseneck." Ob es so sei wie auf Sylt, will sie wissen. Ich protestierte, bin entsetzt. Kein SchauSchau und kein SchiSchi. Keine Leute, die tagsüber schauspielern und abends nicht damit aufhören. Mit denen hätte ich schon beruflich genug zu tun. Alles ganz bodenständig. "Perfekt für ein Projekt", sinniert sie.
"Kommen Sie mit", schlage ich vor. "Wir könnten gemeinsam das Drehbuch für eine originelle Arztserie entwickeln." Wir lachen und glucksen entzückt, beschließen, den Kontakt nicht abbrechen zu lassen und verabreden uns für das nächste Quartal - während sich surrend die Blutdruckmanschette um meinen Oberarm schnürt. Rrrrrrrr.
Anschließend bin ich zu wilden Experimenten bereit: Zum ersten Mal in meinem Leben kaufe ich so einen Kaffee zum Mitnehmen. Das ist, sollte ich vielleicht besser erklären, ein Pappbecher mit Kaffee, darüber kommt ein Plastikdeckel, der ein wenig an eine Schnabeltasse erinnert, und das kann man dann kaufen und mitnehmen und unterwegs trinken. Sehr modern, gibt es sicher bald überall.
Draußen vor dem Café, der Pulsschlag hat sich beruhigt, zeigt der Himmel eine scharf getrennte Wetterfront: links Sonne, rechts eine dunkle Wolkenformation. Ich zögere keinen Moment und gehe in eine Richtung los. Muß ja.