Freitag, 28. März 2008


Verweht. Alles.

On the edge of a dream that you have
Has anybody ever told you
It's not coming true?

(The Kills, "Black Balloon")

Rasch fällt mir auf, warum ich lieber den Abendzug nehme. Der IC ist vollgepackt mit jungen Familien, quengelnden Kindern und Menschen mit obszönen Mengen an Gepäck. In der Reihe vor mir sitzt eine schöne junge Japanerin. Neben mir sitzt das nervigste Kleinkind des ganzen Waggons.

Während ringsum bildhübsche, wohlerzogene Kinder in ihren Pixibüchern blättern oder interessiert im Gang auf- und abtollen, zeigt Little Miss, wo sie in zwanzig Jahren sein wird: Eine egozentrische kleine Prinzessin, die ihre Sachen achtlos zu Boden werfen und augenblicklich ein Geschrei beginnen wird, reicht ihr nicht jemand augenblicklich alles zurück. Innerhalb einer halben Stunde ist der halbe Großraumwagen von ihrem Getue entnervt. Sie fordert alle Aufmerksamkeit für sich, die jungen Eltern kommen dem gerne nach. "Papa", schreit sie und langt nach dem jungen Mann, der neben der schönen Japanerin sitzt. Die blättert gelangweilt in der Bedienungsanleitung ihrer kleinen Digitalkamera. Der junge Mann vermißt sein altes Leben und schaut auf dem Notebook beim Nachbarn schräg vor ihm eine bekannte deutsche Kifferkomödie. Sofort aber kümmert er sich um Little Princess, die weint, strampelt und zudem, man muss es leider sagen, recht häßlich ist. Wie von mir im Stillen vorausgesagt, schreit sie sofort "Mama", kaum daß der Papa sie auf dem Schoß hat. Mama schnappt sie sich zurück, mit empörtem Seitenblick auf den nunmehr düpierten Papa, der sich wieder der Kifferkomödie zuwendet. Die schöne Japanerin blättert ungerührt in der Bedienungsanleitung.

Ein paar Reihen vor mir sitzt ein Mädchen mit rotschwarz gestreifter Ringelmütze und dazu passendem Sweater. Sie fällt mir auf, weil sie sich mit lässiger Kraft an der Gepäckablage entlanghangelt, um etwas aus ihrer Reisetasche zu holen. Dabei rutscht das Ringelhemd hoch, und sie präsentiert unbekümmert ihren Bauchnabel, den ich, wie ich gerne bekunde, sehr apart finde. Über Bauchnabel könnte man auch einmal ein schönes Buch schreiben. Die kleine Kreischkönigin spielt nun mit ihrem Stofftier und einem Taschentuch Schlafengehen und Zudecken. Weil die Taschentuchbettdecke über dem Schmusegefährten Falten wirft, schlägt sie mit flacher Hand und voller Kraft darauf ein. Nach einem kurzen Blick erkläre ich den Teddybär für tot. Ich träume mich aus dem Fenster hinaus. Bald, denke ich, wird die Zeit des ersten Mals kommen. Bald wird es das erste Mal sein, daß ein Luftballon aus der Hand gleitet, vom Wind vertrieben und vom Wetter umhergeworfen wird, und keiner, der ihn zurückbringt. Nicht um alles Geschrei dieser Welt. Festhalten, wird es dann heißen. Nicht Klagen.

Die schöne Japanerin hat begonnen, sich selbst zu fotografieren. Im Player stöhnt Chris Isaak "Baby did a bad, bad thing". Ich versuche zu schlafen, in meinen Traum zurückzusinken und das Wetter zu beobachten. Lebwohl, mein schwarzer Ballon.