Dienstag, 8. Januar 2008


Im Kino gewesen. Nicht geweint

Heute morgen wollte ich meinen inneren Frühaufsteher entdecken und schlich noch schnell in die Pressevorführung des neuen Films von Wong Kar-wai My Blueberry Nights. Schöne Bilder, elegische Musik und tragische, unerfüllte oder besser noch erfüllte Liebe hatte ich erwartet, ein Paket Papiertaschentücher in Griffweite, durchaus bereit, mich von diesem Film rühren zu lassen wie von einem Messer, das sich in der Nähe des Herzens in den Körper bohrt und dann langsam umdreht.

Stilisierte Bilder, oft bereits über der Grenze zum Kitsch (Kamera nicht Christopher Doyle, sondern Dariius Khondij), akzeptabler Soundtrack (u.a. Cat Power, die auch eine kleine Nebenrolle hat), das Versprechen einer großen Liebesgeschichte - nur leider funktionierte es für mich nicht.

Wie es manchmal so ist, begibt sich eine junge Frau (Norah Jones, keine Schauspielerin), nachdem ihre Liebe zerbrochen ist, auf eine lange Selbstfindungsreise. Kenn ich auch, aber eines hat sie mir voraus: Sie schreibt regelmäßig Karten an ihre Zufallsbekanntschaft, einen Barkeeper (Jude Law, muß man mögen). Dazwischen werden "Gespräche" geführt - und das war die Enttäuschung - die aus theaterhaften, gestelzten Dialogen bestanden, die unangenehm an Glückskekssprüche erinnerten.

Türen, so heißt es, solle man nicht für immer zumachen. Ich bin dafür und wünschte hart, meine wäre beizeiten offener gewesen (Charakterfehler, also ich jetzt). "Aber manchmal kann man die Türen nicht mehr aufmachen, auch wenn man die Schlüssel dafür noch hat oder?" fragt eine alte Liebe des Barkeepers. Der den nächsten Glückskeks nachreicht: "Selbst wenn die Tür offen ist, ist der Mensch, den Du suchst, möglicherweise nicht da."

Oh ja. Das ist dem Leben abgeschaut. Denn die alten Philosophen lehrten bekanntlich bereits: "Du schreitest niemals zweimal durch dieselbe Tür." Denn alles ändert sich! Man holt Atem, taucht unter, ist ein Arschloch, zwei Monate, drei Tage und sieben Stunden verschwunden - und will sich noch wundern? Daß Türen geschlossen, Menschen verschwunden, Schlösser ausgetauscht sind? Nein, da gibt es nichts zu wundern. Jude Law jedenfalls hat ein ganzes großes Glas voller verlorener und weggeworfener Schlüssel auf seinem Tresen stehen. Doch, halt, die alten Philosophen gingen weiter. Wer aber den Mut hat, sich selbst zu ändern, sich selbst zum Schlüssel zu machen, darf es wagen, in die veränderten Räume zu treten. Wachsen, neue Türen finden und Mut für die alten haben. Den Mut haben, zu klopfen, die Klinke zu drücken. Und bleibt sie trotz allem geschlossen, dann steht man Ende eines Weges, aber vielleicht nicht aller. (Nur daß es leider genau dann so aussieht und sich, das weiß ich genau, auch so anfühlt.) Dann aber besser nicht so machen, wie ich von Zeit zu Zeit, sondern wie Gregory Peck in Ein Herz und eine Krone (auch ein super Film): Alles mit den Augenbrauen! Haltung, Mann! (ein Lehrauftrag)

Von alledem erfährt man aber nichts im neuen Film von Wong Kar-wai. Denn das habe ich ja so ausgedacht. Nur eine, dafür sehr wahre Erkenntnis gibt es: "Ich wollte nur, daß er mich losläßt. Und jetzt, wo er es getan hat, verletzt es mich mehr als alles andere auf der Welt."

Da hätte sie losgehen können, die weitere Wahrheit, das Beispiel, das zeigt, wie es von dort aus weitergeht. Doch nichts davon, keine Ratschläge, keine Hilfereichung. Mein Taschentuch blieb trocken, und ich ahnte wieder einmal, daß Kino zwar das Leben, das Leben aber nicht das Kino imitiert. Schade, denn am Ende, dem vom Film, immerhin, - gab es einen Kuß.

Wong Kar-Wai. My Blueberry Nights. (HK, China, F, 2007.)

Super 8 | von kid37 um 16:45h | 10 mal Zuspruch | Kondolieren | Link