Sonntag, 10. Oktober 2004


Spaziergang im Schutt

Mein Lieblingsflohmarkt, auf dem ich heute nach längerer Zeit mal wieder war, hat sich weiter verändert. Mehr Stände, mehr Kinderwagen, mehr Gewusel. Mehr "Szene-Pärchen" aber auch. Anscheinend kommen nun nicht mehr nur frühmorgens die Profihändler, um die interessantesten Stücke günstig abzugreifen und auf den Szene-Flohmärkten auf der anderen Uferseite der Alster feilzubieten.
Nun folgt ihnen wie die Junkies dem Dealer bereits deren Kundschaft in die sogenannten unmöglichen Stadtteile.
Ein Umstand, auf den mich neulich bereits ein aufmerksamer Kollege aus der Klebstoffschnüffler-Selbsthilfegruppe hinwies.

Eigentlich suchte ich ein Geschenk für Mütterchen Kid, aber so richtig was passendes wollte mir nicht ins Auge springen. Eine Beinprothese, recht schwer und gar nicht so unansehnlich, ließ ich dann doch stehen. Zu sehr wog noch der Schmerz, daß mir neulich auf einem anderen Flohmarkt eine wirklich sehr schöne, lederbesetzte Handprothese vor der Nase weggekauft wurde. Selten hat es ein eleganteres Dekostück für nur 12 Euro gegeben. Eine dritte Hand! Was ich damit alles hätte anstellen können. Immerhin gab es dann für 2 Euro noch "Resident Evil". Allerdings als Geburtstagsgeschenk für Mütterchen Kid eher weniger geeignet.

Ansonsten viel Krempel und noch mehr Gewühl. Meditative Ruhe fand ich erst auf dem Ohlsdorfer Friedhof. Der reicht zwar vom Charme nicht an den Wiener Zentralfriedhof heran, aber man soll im Leben nicht immer vergleichen.
Der Herbst ist ja die schönste Zeit für einen Spaziergang an solcherlei Orten. Unter den Füßen knacken die Bucheckern, Laub färbt sich rot, wenn man es nur scharf genug ins Auge faßt. Zweige, wie die Unterleibe einer Hexe geformt, werfen sich einem in den Weg. Phallische Pilze recken keck ihren Hut. Ich erinnerte mich, daß ich mal mit einer Frau, die mir nach langem Werben endlich nachgegeben hatte, die Zukunftsplanung bei einem Spaziergang auf dem Ohlsdorfer Friedhof begonnen hatte. Das hätte einem eigentlich schon zu denken geben müssen. Aber man ist zu solchen Gelegenheiten für schlechte Omen ja völlig unempfänglich.

Ich habe daraus gelernt. Auf dem Friedhof landet alles früh genug. Solange man aber noch einen Arm oder ein Bein hat, findet man geeignetere Orte. Die nächste Zukunftsplanung halte ich besser in einem Keller ab. In der Wuppertaler Schwebebahn. Oder auf dem Wiener Naschmarkt. Oder gleich im Kölner Dom.