Montag, 5. April 2004
Manche meinen ja, sie hätten alles schon gesehen. Stierhatz in Pamplona, anonymer Gruppensex mit Umschülern, Menschen, die sich Fleischerhaken durch Vor- und Rückenhaut schieben und an der Decke aufhängen oder die Teilnahme an der Jim Rose Circusshow. Wer dieses alles als Höhepunkte seiner Wanderungen durch die Labyrinthe der Subkulturen hielt, der hat das Schönste noch vor sich.
Denn ich war heute auf einer Meerschweinchenausstellung. [sic!]
Für 1,50 Euro Eintritt (Kinder die Hälfte) gibt es in dieser Stadt keine amüsanteren käuflichen Sonntagnachmittag-
vergnügen. Dachten sich wohl auch die Veranstalter und bewiesen Humor, in dem sie das Ereignis in einer Schule in der Meerweinstraße [sic! sic!] abhielten. Gleich zu Beginn wartete ein Spalier aus Ständen mit Informationsmaterial des "Meerschwe*nchen-H*bby-Club e.V. Hamburg", Heimtierbedarf und Merchandising, die Tischdeckchen mit aufgestickten Nagern, Einkaufsbeutel mit aufgestickten Nagern und Gästehandtücher mit aufgestickten Nagern anboten. Eine Vitrine aber gab Rätsel auf. Was soll das sein? Die Jahresschau des Kunstleistungskurses 11/2? Eine Nagelschlagfalle für entlaufene Kleinheimtiere?
Im Saal dann aber die preisgekrönten Ausstellungstiere. Wer das gemeine Meerschweinchen bislang für ordinäre Nager der Gattung Caviidae hielt, konnte hier etwas erleben. Gleich im ersten Käfig zitterte mich ein verängstiges braunlockiges, durch den Wind geschossenes Haarteil an. Es folgten knopfäugige Handfeger mit Puschelperücke und langmähnige Hippie-Nager der Neigung "Let your Schamhaar grow". Dazwischen hin und wieder frech-starrende pantherfarbene Kurzhaarfreggels mit weißem Irokesenkämmchen auf dem Kopf. Man war geneigt, in der Tasche nervös nach "'nem Euro" zu suchen. Nur der Käfig eines laut Züchterzettel korrekt so bezeichneten "Rosettenbocks" war leer. Der trieb sich wahrscheinlich gerade in einem Darkroom auf der Reeperbahn herum, der alte Rosettenbock. Na, der hat aber was verpaßt!
Leider mochte ich der versammelten Rodentia nicht ins Gehege blitzen. Die armen Tiere standen sowieso schon unter verschärftem Beobachtungsstreß. Zudem hielten ironieresistente Züchter ("Taugen die eigentlich auch als Schlangenfutter?") eifersüchtig Wache über ihre den Augen des Mobs preisgegebene Brut. So ist die Fotoausbeute leider sehr gering.
Das Publikum war übrigens sehr gemischt. Neben der von mir auch erwarteten Fraktion der mit Anti-Schielbrille und Zahnspangen bewehrten Vorschulkinder und ihren jeweiligen geduldig-genervten Erziehungsberechtigten gab es durchaus erwachsen wirkende Menschen, die sich der Sache mit auffälligem Ernst widmeten. Ältere Damen wie immer ausgenommen, aber mittelalte Herren vom Typ biederer-Nachbar-der sich-später-als Serienmörder-entpuppt können auch schon mal verdächtig wirken.
Auf der nächsten Ausstellung bin ich übrigens wieder da. Ich muß doch wissen, ob mein Favorit, Nummer 48 (die Nummer 37 war übrigens langweilig), gewonnen hat.
Nach einem berufsfördernden Tag auf der Fotoagenturmesse in den Deichtorhallen kann es kaum einen schöneren Ausklang geben, als sich einer gepflegten Ausstellungsbegießung hinzugeben. Der Heliumcowboy feierte das Einjährige. Grund genug, für eine Aufwartung. Die Kunst - modern, die Gäste - erlesen. Kitty 2000 aus Berlin spielte "traurige Liebeslieder" zur einsamen Gitarre. Andere tanzten woanders, ich aber war nun mal ebendort.
AxelK war ebenfalls anwesen und Lyssa mit einem T-Shirt, bei dem jeder sofort anfangen möchte, ergebnisorientiertes Html zu erlernen. Ich versuchte, Wäscheaufhängen gegen Kuchenbacken bei ihr auszuhandeln, aber das Ergebnis ist irgendwie offen geblieben. Sie weiß vielleicht noch nicht, daß ich nichts vergessen kann. Das Angebot steht also noch.
Kuchenbackende Frauen waren sowieso der große Hit an dem Abend. Auch Mequito outete sich bei dieser Gelegenheit als Freund feiner Backwaren. Als berufliche Perspektive - und das geht jetzt an den anderen Herrn - würde ich das aber noch einmal überdenken.
Die Backqualitäten habe ich auch immer geschätzt. Ich glaube, kuchenbackende Frauen mit schnellen Autos sind das allergrößte. Ich selber bin ja ein wenig geschwindigkeitsscheu. Man muß eben genießen können.
So wie diesen Abend. Sonntag geht es zu einer gänzlich anders gearteten, grandiosen Ausstellung, für die schon eine beachtliche Erwartungshaltung erzeugt werden konnte.
Ich hoffe, ein paar Bilder liefern zu können.
Ausstellung "Strange Sofa" von Alex Diamond im heliumcowboy artspace bis 1. Mai 2004.