Fragt ruhig, es gibt Die Antwoord

Der Name geisterte ja schon ein zeitlang herum, ich aber hatte das Phänomen aus dem Augenwinkel heraus voreilig als eine bloß weitere lustige Schenkelklopfer-Gaudi aus dem Internet eingeschätzt. Ihr wißt schon, wo Menschen wie Ponys tanzen. Und als Herr Vert letztes Jahr in Sachen Die Antwoord ausführlicher wurde, war ich gerade nicht so in der Lage, diesen Dingen mental zu folgen.

Nun aber erfuhr ich vor wenigen Wochen erst, daß Fotograf Roger Ballen, über den ich hier einmal geschrieben habe und der zuletzt im April in Wien gezeigt wurde, mit Die Antwoord zusammenarbeitet. Sie haben zwei, drei Videos gedreht, die die quietschbunte Albinowelt des südafrikanischen White-Trash-Dubstep-HipHop-Paares mit den teils beklemmenden Studien Ballens über die weiße Unterschicht des ehemaligen Apartheid-Staates zusammenbringt: I Fink U Freeky. (But I like you a lot.)

Die stolze Umwertung dieser niveaufernen Bodensatzwelt einer vergessenen Schicht ist natürlich über den bloßen Schock-Moment hinaus ziemlich sophisticated. Der Afrikaans-Künstlerkosmos aus dem Platteland erinnert damit ein wenig an HGich.T, den kunstanarchischen Technorabauken aus dem norddeutschen Flachland. Betrachte ich das Zusammenspiel aus Musik und Stümmel-Sprach-Parolen, aber auch Film, Mode und Kunst, begreife ich erstmals, welche Faszination und Definitionskraft von dieser Uffta-uffta-Plastikkultur ausgeht. Wie sich eine verachtete Welt an sozialem Dünkel und Kultursnobismus vorbei unbekümmert zu einer Szene erhebt, neue Codes schafft und ein Selbstbewußtsein. Gefährlich ist und voll böser Selbstironie und Spielerei mit Trashkultur-Klischees: Baby's On Fire. Gegenkultur ist tot? He, pikierte Bio-Banausen, hier kommen die Kik-Kombatanten. Yo-Landi von Die Antwoord beschreibt den Zef-Stil so: "It's associated with people who soup their cars up and rock gold and shit. Zef is, you're poor but you're fancy. You're poor but you're sexy, you've got style." (Wikipedia)

Ein verblüffender Trip ist auch der Kurzfilm Umshini Wam ("which is a popular Zulu struggle song meaning 'bring me my machine gun'", Wikipedia) von Harmony Korine. Das ist der US-Regisseur, der den unverstellt schrägen Gummo machte, der Film mit dem kleinen Jungen mit den Hasenohren. Und noch ein paar andere, noch konsequentere Sachen. Oder zuletzt Spring Breakers. Ihr kennt den alle auch als Drehbuchautoren von Kids und Ken Park. Harmony Korine. Genau. Umshini Wam jedenfalls kommt mit dem Refrain "I'm old enough to bleed, I'm old enough to breed, old enough to crack a brick into your teeth while you sleep" daher, ein Schlummersong an den Lagerfeuern der Wohnsilo-Vorstädte. Ein aggressiv-komisches Inbred Fokfest.

Aber eben nicht ohne politisches Bewußtsein. Bei aller Provokation dezidiert anti-rassistisch, anti-homophob und abseits nickelbrillenhafter Gedanken- und Sprachkontrolle, anti-anti vielleicht, geht es Die Antwoord auch darum, Südafrika "auf die Karte zu bringen". (In einem Video heißt es: The History of South Africa is: 1. Nelson Mandela 2. District 9 3. Die Antwoord). Dazu paßt, sich rotzfrech über "kulturimperialistische" Konstrukte wie Lady Gaga, die Black Eyed Peas oder Kirsten Stewart lustig zu machen. This Is Why I'm Hot.

Gut, der Beitrag kommt ein gutes Jahr zu spät. Dauert manchmal lange, bis der Groschen fällt hier im platten Land.

Radau | 13:37h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
vert - Freitag, 17. Mai 2013, 14:32
rrright.
diese rotzige bösartigkeit, mit der zum beispiel gegen das produkt lady gaga ausgeteilt wird, beglückt mich ja sehr. hier, also in unseren kreisen, muss man ja immer erst den gesamten popkulturellen komplex reflektieren, bevor man - fundiert natürlich - ausgewogen kritik äußern darf. drauf geschissen. wie man so sagt, wo ich halt auch wechkomm. #platteland

über die beiden herzchen selber ist ja erstaunlich wenig information zu bekommen. interessant wie hier auch das internet nur mäßig weiterhilft und an den klippen interkontinentaler kommunikation scheitert. die ganzen infos aus zuid africa scheitern nicht an mangelnden kenntnissen in englisch oder afrikaans, sondern schlichtweg daran, dass es unmöglich ist, infos aus "watkykjy" zu verifizieren. eine fortschreibung mündlicher überlieferung.
(und sollte es stimmen, dass yo-landis vater ein hohes tier in der nederduitse gereformeerde kerk ist, dann ist der vorspann in "baby's on fire" even more evil.)

weiter mit musik

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kid37 - Freitag, 17. Mai 2013, 17:20
Dieser andere Typ ist mir etwas zu Borat-folkloristisch. Warten wir mal ein Jahr ab, vielleicht komme ich noch drauf. immerhin singt er in dem Vuvuzela-Song über Apfelbei und -strudel, das kann so falsch nicht sein.

Bei der Gelegenheit: Arte zeigt am 4.6. Weißes Blut, eine beklemmende Doku über ein wenig bekanntes "Projekt". 1948 wurden Kinder aus Deutschland, Kriegswaisen zumeist, nach Südafrika kinderhilfsverfrachtet. An die Sonne, ins Glück. Dahinter steckte aber die Idee, die Burenminderheit mit "arischem" Blut aufzufrischen.

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mark793 - Freitag, 17. Mai 2013, 15:15
Speziell zu dieser Anti-Lady-Gaga-Geschichte kursieren ein paar konspirologische Deutungen, die bei Agent Scully einiges skeptisches Strinrunzeln auslösen dürften. ;-)

Als popkulturelles Phänomen finde ich Die Antwoord im Übrigen durchaus faszinierend, obschon mich diese Art von Musik völlig nervt eher weniger bis nahezu gar nicht anspricht.

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vert - Freitag, 17. Mai 2013, 16:32
"illuminati", "satan's eternal rebellion"
haha! super! die menschheit ist allzeit verrückter als ich zu erwarten bereit bin.

"we're not trash" - "we are on fire"
"conceptual art? [...] we are a rap group. from south africa. [X!]"

(das video heißt "interview gone wrong"- was mal richtiger quatsch ist.)
unsere kategorien von "fake" und "credibility" funktionieren hier halt mal nicht. wenn man das erstmal akzeptiert, hat man mehr spaß, möglicherweise.

die ikonografischen bilder sind schon auch wichtig - ich bin mir gar nicht so sicher, ob ich sie unbedingt live sehen müsste

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kid37 - Freitag, 17. Mai 2013, 17:14
Jetzt habe ich mir grad bei kik so ein paar verschissene Sportklamotten gekauft, damit ich aufs nächste Konzert gehe - aber Sie haben recht. Die ausgefuchsten Codes der Videos sind schon wichtig. Da paßt es auch, daß ein extrem angepisstes Lady-Gaga-Umfeld auf Twitter irgendwas von "Blackfacing" murmelte, weil Jolanda Yo-Landi im "Fatty Boom-Boom"-Clip dieses koloniale Negerpüppi-Klischee aufgreift. Das habe ich übrigens nicht gesagt. Da sieht man, wie doof da manche auf der Gegenseite sind.

Die Cleverness bei Die Antwoord mag wirklich verdächtig wirken. Ich mag ja dieses Interview, wo ein paar grundsätzliche Dinge beantwortet werden.

Wir sind ja nun alle bis ins Mißtrauen hinein sehr geschult darin, überall Verschwörungen zu wittern, aber ob sich das wirklich so steuern läßt? Akte-X, die Serie zu der ich, wie nur wenige wissen, eine herznahe Beziehung unterhalte, hätte sicher eine Folge mit denen gemacht. Irgendein ein Fall um einen mysteriösen Kult in Südafrika, zu dem das FBI hinzugezogen wird. Agent Scully und Yo-Landi ermitteln gemeinsam, weil Mulder mit Ninja verschwunden ist.

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vert - Freitag, 17. Mai 2013, 18:24
ja! bitte eine akte-x- folge mit dem tokoloshe!
die antwoord sind en passant auch noch sensible ethnographen und botschafter der versatilen kultur ihres landes.

"...my fokken supermansuit, i'm in it to win it. [...] if you can't handle it, it's not my fokken problem. poes!"

an dem link müssten sie noch mal bei;-)

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kid37 - Freitag, 17. Mai 2013, 19:20
"it's like horror movies... but real." Huuuuu, da ist die Folge ja fast schon gedreht. Die Wahrheit liegt irgendwo da draußen im Staub vor einem Township.

"The only real things in life are the unexpected things. Everything else is an illusion." (Ninja)

(Repariert. Danke.)

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novesia - Samstag, 18. Mai 2013, 15:03
Ich hatte einen ähnlich verzögerten Crush und habe daraufhin tatsächlich mal einen längeren Blick auf Südafrika (zum ersten Mal seit der Schulzeit, eigentlich beschämend) geworfen. Hat sich sehr gelohnt (in meinem Fall vor allem, was Bücher angeht). Schon allein deshalb bin ich der Truppe zu Dank verpflichtet.

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maphisti - Sonntag, 19. Mai 2013, 01:27
Lingual betrachtet ist dieser Meinungsaustausch äußerst aufschlussreich, irgendwie so vom Charakter her stark maskulin gefärbt. Nun ja, Vatertag war ja auch erst gestern.

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kid37 - Sonntag, 19. Mai 2013, 03:18
Wir sind eben freeky.

@Novesia: Das ging mir ähnlich. Mir hatte die Ausstellung von Roger Ballen schon ein wenig die Augen geöffnet. Mir fielen neben "Nelson Mandela" und "District 9" sonst nur die vielen TV-Produktionen ein, die angeblich in Cornwall spielen.

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