Tagebuch #2

You don't feel like mine anymore
This night i wrestle with pride on the floor
That's cos you don't look back like i look back
That's cos you don't look back like i look back

(The Duke Spirit, "My Sunken Treasure")



Regelmäßiger vorbeischauen, hieß es zuletzt. Berlin in kleinen Dosen, quasi mal vorbeipaddeln, Elbe und Spree, ein Boot führen und nicht nur Gast sein. Eigene Orte schaffen, neue Erinnerungen, die den Blick durch zerkratzte S-Bahn-Scheiben überlagern, wenn draußen wehmütig bekannte Stationennamen vorbeiwischen.



Museum für Kommunikation also, viel Andrang, Gläser klirren, ziehen Menschen an wie eine Lockrufpfeife. Nachdenken über Distanz und Distanzlosigkeit, soziale Scharaden und Dos and Don'ts auf dem Gesellschaftsparkett. Oder besser nicht. Das ist mein Abend, denke ich, beiße mir auf die Zunge, als im Treppenhaus ein Satz an mich gerichtet wird, zu dem ich gleichzeitig "Ja, natürlich, sehe ich genau so" und "Nein, das ist doch nur ein Bild für etwas anderes" sagen möchte. Aber falscher Ort, falscher Anlaß, falsches Gegenüber für so etwas verquer Zerrissenes, Mißverständliches gilt es auszuhalten - und den Springteufel lassen wir an diesem Abend besser im Kästchen. Zumal der Haken bedrohlich geöffnet wurde. Schweigen also im Museum für Kommunikation, ich betrachte die Wände, vor die man gemeinhin die Sachen fährt.






Eigentlich ist der Abend ein Bloggertreffen, dabei gehe ich gar nicht mehr zu so etwas. Wie sich das anhört. Als seien Menschen aus Papier. Mek, Miss Monolog, Kinky und Frau Kopffüßler sehe ich, Frau Casino hat es zu meiner Freude noch geschafft, sagt mir etwas für mit auf den Nachhauseweg, Frau Gaga macht sich leichtbestrumpft davon, das hingegen wird ein Nachspiel haben.

Fliesensuchen, eng bekritzelte Tagebücher aus echtem Papier bestaunen, dann das Holzklotzdiarium von Anke Gröners Opa. Das ist wirklich wunderbar. Sehr faszinierende kleine Details überall, aber ich bin zu hibbelig, ich bin zu aufgebracht, ich bin zu aufgedreht, ich würde gerne allen am Ärmel zupfen, eine Rauchen, einen unglaublich geistreichen Witz reißen, der das toll illuminierte Glasdach aus dem Lichthof sprengt. Oder etwas ganz anderes.

Es gibt schlimmeres, sage ich mal mit hanseatischer Nüchternheit, als zwischen Madame Modeste und Anousch zu sitzen und darüber nachzudenken, ob Nüchternheit wirklich eine Option ist. Während das Gespräch auf nautische Themen kommt, entwickeln Wortschnittchen und 40Something die Idee einer Blogger-Kommune im noch näher zu definierenden Osten. (Ich bleibe dabei, es muß Wasser in der Nähe sein.) Wo aber werden wir unsere Leichen verscharren?

Den Abend über versuche ich, ein Bonmot zu formulieren, das sich um das Produkt dreht, daß Anouschs und meine Heimatstädte verbindet: die Rauhfaser. Irgendwas mit wie etwas in verschiedenen Farben daherkommen kann, aussieht wie eine grobverputzte Wand. Und darunter doch nur, na ja, Papier. Ein Bild nämlich über etwas Zerrissenes. Es klingt albern, es klingt falsch. Berlin ist immer noch nicht richtig, und vielleicht sind an diesem Abend die Menschen einfach zu nett zu mir. Ich möchte Madame Modeste sagen, wie toll sie aussieht, ich möchte schreien, ich möchte laut rufen "Entschuldigung" (kann man ab und zu mal tun), sagen, daß es weh tat, ich möchte etwas in mein Tagebuch schreiben, eine Frage formulieren. Wie oft wohl kann man sein Herz verlieren?

"Der Rest", heißt es bei PeterLicht, "ist Hobby."

("@bsolut Privat!?". Museum Für Kommunikation, Berlin. Bis zum 30. August 2009.)

Flanieren | 14:37h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
gaga - Samstag, 21. März 2009, 15:37
(...) sagen, daß es weh tat, ich möchte etwas in mein Tagebuch schreiben, eine Frage formulieren. Wie oft wohl kann man sein Herz verlieren?


weil du so ein Zeug schreibst, muss ich davon backups machen.

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40something - Samstag, 21. März 2009, 23:07
Oh, dachte ich's mir doch. Mindestens drei Blogger gar nicht wahrgenommen (weil ich sie nicht kannte) und so auch nicht kennengelernt. Das nächste Mal bist Du bitte etwas sozialer.

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kid37 - Montag, 23. März 2009, 13:20
Ha! Nicht nur daß ich Berlinern erklären muß, wo man abends hingeht, jetzt muß ich auch noch die Berliner miteinander bekannt machen ;-) Dabei habe ich doch brav versucht, alle vorzustellen, Damen zuerst.

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fluechtig - Sonntag, 22. März 2009, 00:41
Oft. Oft kann man sein Herz verlieren. Und sogar an das Echo noch, wenn die Melodie längst verklungen ist. Doch jedes weitere Mal fällt schwerer und ist von mehr Fragen umgeben als das davor.

Berlin war auch mir nicht richtig, obwohl die richtigen Menschen um mich waren. Ich glaube, Berlin muss in den Genen liegen, sonst wird das keine echte Liebe.

Sie tun mit diesem Text weh... aber manchmal muss es einfach weh tun. Ja.

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kid37 - Montag, 23. März 2009, 13:18
Berlin erfordert eine gewisse Mentalität, sonst hält man es wohl nicht aus. Manches spricht, anderes spricht nicht zu mir. Aber ich bleibe einfach dran. Es sind am Ende die Menschen, die einen Ort ausmachen. Man muß nur welche finden, denen nicht alles eine Mühe ist, dann ist es überall leicht.

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casino - Sonntag, 22. März 2009, 13:12
Man soll sein Herz lieber gar nicht verlieren, lieber wird man komplett genommen, mit Kopf, Körper und allem, aber hey, das kann dauern, ich spreche da aus Erfahrung.
Das war ein besonderer Abend, obwohl Herr Krug ebensogut weniger hätte lesen können, der hat die Geduld meiner Kinder total überfordert, auf ihrem dritten Bild sieht man meinen Großen im Stuhl hängen, den Ärmsten. Über Frau Modeste, die wir schon vor dem Museum getroffen haben, hat er gesagt: "Mama, die Frau sieht aber sehr schön aus!" (hab ich vergessen, ihr zu erzählen gestern, beim Bloggerkaffee.)

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kid37 - Montag, 23. März 2009, 12:36
Herz verlieren ist blöd, wenn man es hinterher nicht wiederfindet. Ja, Sie haben recht, ganz und gar oder lieber gar nicht. Auf Viertelstellen bewerbe ich mich nicht mehr.

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modeste - Sonntag, 22. März 2009, 15:07
Die Nüchternheit, die stets aufs Neue unzutreffend vortäuscht, die tatsächlich schwebenden, vibrierenden Dinge wären gleichsam fest in die Realität geschraubt.

(Und danke. Mir ging es nicht allzu gut, umso angenehmer, dann wenigstens nicht so mitgenommen auszusehen, wie man sich fühlt.)

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kid37 - Montag, 23. März 2009, 12:35
(Wir waren alle fasziniert.)

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engl - Sonntag, 22. März 2009, 23:40
oh, schön. warum hat mir niemand bescheid gesagt?

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kid37 - Montag, 23. März 2009, 12:34
Oh je, das tut mir leid. In meinem Bild von Berlin sind dort ja alle unheimlich vernetzt und heiß verdrahtet. Ich denke da immer an ein großes Blogger-Pow-Wow. Schade, hätte Sie gern gesehen.

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sunny5 - Montag, 23. März 2009, 14:39
ich wusste auch nicht bescheid ... naja, der trost bleibt, dass die ausstellung noch ne weile läuft.

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kid37 - Montag, 23. März 2009, 17:18
Und das Beste ist: Wem die Ausstellung nicht so gefällt, kann sich am hübschen Gebäude erfreuen.

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sunny5 - Montag, 23. März 2009, 17:32
was ich ja schon kenne. :)

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la-mamma - Sonntag, 29. März 2009, 21:10
erst unlängst
hab ich gehört, dass es einerseits abertausende lieder über die liebe, und andererseits noch kein einziges über rauhfasertapeten gibt. dabei halten die doch manchmal wesentlich länger ...

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kid37 - Sonntag, 29. März 2009, 23:31
Richtig. Zumal ich aus der Stadt der Qualitätsrauhfaser stamme, da läßt man auf solche Werkstoffe nichts kommen. Selten gelingt es hingegen, eine alte Liebe zu überstreichen und zu neuem Glanz zu verhelfen.

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