Federgeistchen



Einmal, vor Jahren, saßen mein Vater und ich noch lange in seiner Werkstatt unter dem Dach, er über technisches Gerät gebeugt, ich bereits übermüdet, es war einer dieser durchquatschten Nächte, bei denen nur ich kein Bier trank, als dieses Tier ins Zimmer geflogen kam. Wie ein kleines Gespenst taumelte es umher, segelte mit weißem Gefieder von Werkzeug zu Werkzeug und landete schließlich mit einer eleganten Unbekümmertheit auf dem großen Tisch. Mein Vater fing es in einem alten Glas, und wir beobachteten es, lange Zeit, entzückt, fasziniert, denn keiner von uns hatte so etwas je gesehen, selbst mein Vater nicht, der ja eigentlich vom Land herkam. Und so hockten Vater und Sohn über ihrem Beobachtungsglas, deuteten auf Details, sagten Ah und manchmal einfach Oh, wiesen auf Besonderheiten und wähnten sich am Rande einer ungeheuren Entdeckung. Ein Tier wie von Otto Lilienthal erdacht, ein Drache mit Federn, nur unglaublich klein. Wie schön, sagten wir, immer wieder, und wie aus einem Mund. Ein zarter Moment.

Homestory | 11:23h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
frl.deville - Mittwoch, 6. August 2008, 12:57
Was Sie immer alles erleben!
Schaurig schön, das Viecherl.

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kid37 - Mittwoch, 6. August 2008, 16:51
Wunderliche Menschen erleben wunderliche Dinge, meine Rede. Ich werde mir ein T-Shirt drucken lassen:

Ich habe ein Schlehenfedergeistchen gesehen.

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au lait - Donnerstag, 7. August 2008, 10:59
Es sind diese Momente, die bleiben. Und es sind diese Sprüche, die man viel zu selten auf T-Shirts liest.

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lac - Mittwoch, 6. August 2008, 13:15
die welt in ihren kleinen facetten ist doch wie noch eine welt und geht man mehr ins gucken dann noch eine...so habe ich das moos von nahem immer mehr wie einen dschungel sehen können ; und ihr bezauberndes tier ist dort wie ein riesenflugsaurier...
ist das eine wunderschöne erinnerung, mit ihrem vater, ein edelstein.

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kid37 - Mittwoch, 6. August 2008, 16:50
Sehr skurril, was die Natur, zumal gleich vor der Haustür, an Schönheiten zeigt. Man muß wirklich genau hinschauen, die kleinen Dinge achten, nicht nur das große Glitzern. Dann sind die Edelsteine überall.

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surety - Mittwoch, 6. August 2008, 14:01
Weder der Begriff Schlehenfedergeistchen noch der Anblick dieses grazilen Wesens ist mir bisher vergönnt gewesen.
Blieb es bei dieser einmaligen Begegnung oder hatten Sie uch später noch einmal das wundersame Glück einer solch zauberhaften Bekanntschaft?

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kid37 - Mittwoch, 6. August 2008, 16:47
Leider ist mir das Tier in natura nur dieses eine Mal begegnet. Damals, das ist bestimmmt 30 Jahre her, konnte man noch nicht ganz praktisch im Internet recherchieren, das Rätsel blieb also erst einmal ungelöst. Ich muß meinen Vater informieren, er erinnert sich bestimmt. Ein heiterer, spannender, langer Abend.

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surety - Mittwoch, 6. August 2008, 22:36
Sollten Sie erneut das Vergnügen haben, bitte ich Sie, viele, viele Aufnahmen zu machen :-)
Würde diesem geflügelten Zauberwesen auch zu gern mal begegnen ...

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kid37 - Mittwoch, 6. August 2008, 23:18
Nachjagen zwecklos. Ich halte es bei diesen zarten Wesen wie mit dem Glück und den Schmetterlingen: Es findet den Weg zu mir, wenn es bleiben will.

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fluechtig - Mittwoch, 6. August 2008, 14:33
Oh! Wie aus einem Märchen! Bezaubernd. Erstaunlich. Und wie schön, dass Sie sich an diesen zarten Moment erinnern durften. Manchmal entzaubern Erklärungen, Namen, Begriffe solche Momente, aber hier ist das nicht der Fall, hier ganz und gar nicht.

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kid37 - Mittwoch, 6. August 2008, 16:43
Nicht auszudenken, das Tier hätte sich als Schmierfiedriger Stinktaumler entpuppt. Mit Schein und Sein macht man ja so seine Erfahrungen.

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lac - Mittwoch, 6. August 2008, 17:32
.... stinktaumler hihihihi

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surety - Mittwoch, 6. August 2008, 22:36
*pruuust*

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fluechtig - Donnerstag, 7. August 2008, 13:17
Och, selbst wenn das Elfchen sich als Schmierfiedriger Stinktaumler entpuppt hätte - die Magie des Moments, das gemeinsame Staunen, das Gefühl, Besuch aus einer anderen Welt bekommen zu haben, das wäre es dennoch wert gewesen - und wohl auch trotz ernüchterndem Namen wertvoll geblieben.

Im übrigen gibt es Scheinsein, der bei Entpuppung positiv ist, hin und wieder. Manchmal. Naja. Vielleicht. Oder so.

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kid37 - Donnerstag, 7. August 2008, 14:54
Dieses Tier war ganz leise und machte nicht viel Aufheben um sich. Das war wirklich sympathisch. Und wie mein Vater damals zum Naturforscher wurde auch.

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fluechtig - Donnerstag, 7. August 2008, 14:57
Sehen Sie, ein leises, stilles Tier, das bezaubert hat. Ach, wie neidisch mich das gerade macht. Ich gönne es Ihnen aber. Sehr.

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creezy - Mittwoch, 6. August 2008, 22:00
Oh so ein Zauberwesen dürfte mich auch einmal besuchen. Ich glaube, danach würde es einem ein paar Tage lang gut gehen – fast so wie im Schlaraffenland.

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kid37 - Mittwoch, 6. August 2008, 23:19
Heute klären sich dank Internet viele Rätsel ganz schnell. Ich fand es damals so schön und so spannend, daß es so geheimnisvoll blieb. Ich meine, ein Tier, das nicht einmal mein Vater kannte! Der große, vielerfahrene Mann.

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vert - Mittwoch, 6. August 2008, 23:27
38
...geister? one more than the kid.

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kid37 - Donnerstag, 7. August 2008, 02:41
+1 auf der Gästeliste.

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gheist - Donnerstag, 7. August 2008, 10:20
Man kennt das. Ein Federgeistchen weht zum Fenster herein und spricht "Drei Wünsche hast du frei". Und man ist entzückt, erstaunt und zögert jedoch:
"Darf ich mir wünschen, keinen schlechten Wunsch zu haben?" "Nein," spricht das Federgeistchen "das darfst du nicht."
"Darf ich mir einen verunglückten Wunsch ungeschehen wünschen?"
"Aber nein."
"Darf ich eine schlimme Bemerkung zurücknehmen?"
"Wenn du das ehrlich meinst."
"Darf ich mir wünschen, dass du bleibst?"
"Aber nein."
"Darf ich mir deinen Rat wünschen?"
"Weise bin ich nicht" spricht es.
"Darf ich mir Aufschub erbitten?"
"Nein."
Man steht wie gebannt.
"Dann wünsche ich mir, dass du eines Tages wiederkommen mögest."
"Leb wohl," spricht es und steigt auf einem warmen Luftzug in den Tag zurück.
Bald schon ist man 38 und weiss seine Wünsche nicht auswendig, kennt weder Kraut noch Schlehe.

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kid37 - Donnerstag, 7. August 2008, 10:56
Sie sind ein Federgheist!

(Meine Wünsche verrate ich nicht, sie wurden verraten.)

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c17h19no3 - Mittwoch, 6. August 2008, 23:43
wir haben große grüne und manchmal auch schwarze tiere in unserer küche. es muss sich um eine kreuzung aus heuschrecke und fliege handeln. zunächst verängstigt, begannen wir, die tiere irgendwann "jochen" zu taufen. wenn zwei gleichzeitig da waren, auch "jochen und igitte". jochen ist ein treues maskottchen. manchmal hört er sogar, wenn wir ihn rufen. fast. nur dass er mit der spinne aus der ecke flirtet, ist uns suspekt, vor allem, als die spinne dann eines tages viele kleine spinnen produzierte.
egal. wir haben uns an jochen und manchmal auch igitte gewöhnt. sie sind nicht schön, aber man fühlt sich nicht mehr einsam in einer so belebten wohnung. der augenblickliche jochen hat seinen lieblingsplatz hinter dem schneidbrett über dem herd. auch insekten haben also gewohnheiten.

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kid37 - Donnerstag, 7. August 2008, 02:43
Und haben Sie Jochen identifizieren können? Ein Wasserläufer vielleicht? Bei mir ist neulich eine Spinne in der Küche verhungert. Das fand ich einerseits beruhigend, andererseits auch bedauerlich. Ich möchte meine Gäste wenigstens ansatzweise nett behandeln.

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c17h19no3 - Donnerstag, 7. August 2008, 14:04
das ist nicht gut. im biounterricht fanden wir heraus, dass spinnen auf nahrungsentzug sich nicht mehr fortpflanzen, weil die priorität der nahrungssuche gilt. sie haben die spinne also sexuell UND kulinarisch unbefriedigt verhungern lassen. das ist schon fast ein grund, den bund naturschutz zu rufen.
also hüten sie sich, sie sind jetzt erpressbar. ;)
vielleicht ist jochen wasserläufer, das ist möglich. jesus! wir sollten den wasser-zu-wein-test machen.

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kid37 - Donnerstag, 7. August 2008, 15:04
Hier wird ja nicht mehr gewischt, dennoch scheint es kein Paradies für nachtaktive Spinnen zu werden. Liebe geht also auch bei den Achtbeinern durch den Magen, aber ich dachte, die fressen ihre Männchen. Solchen Fallstricken möchte ich lieber entgehen, ich habe schließlich noch was vor im Leben.

Achten Sie mir auf Jochen. Nachher betreibt er bloß Mimikry und kündet doch die Apokalypse an!

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c17h19no3 - Donnerstag, 7. August 2008, 22:46
mist. eben hypnotisierte ich jochen mit tomatensauce-resten, schwenkte das wasserglas und flüsterte "wasser zu wein... wasser zu wein..." - und der himmel verdunkelte sich jäh, es begann zu blitzen und zu stürmen. verdammt, das war dann doch eher apokalypse. man sollte vorsichtig sein mit dem christlichen zauber. der liebe gott sieht das nicht gern, wenn man ihm in die schöpfung pfuscht.

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