Sonntag, 19. Dezember 2010


Ihr könnt euch alle mal...

...gehackt legen.

The transformation of waste
is perhaps the oldest
preoccupation of man.

(Patti Smith)

Badlands. Fahle Nachtstraßen, durch die nur der Geruch von toten Fischen fiel, der Schein einer gelben Straßenlaterne, ein glänzender Ölfilm auf dem Kopfsteinpflaster, dein gewispertes Versprechen, ein Hauseingang, in den ich dich zog.

Der Geschmack auf der Zunge, eine Erinnerung an Kerosin, ich sagte, laß uns ein Kunstwerk sein oder überhaupt gar nichts, dein Feuerzeug flammte auf, du sagtest, gut, los geht's und ich, also bitte, das war jetzt nur ein Gedankenspiel.

Die Feigheit der Männer, und wie die mit der schönen Stimme Jahre und Jahre später sagte, pff, du hast dich halt nicht getraut, und wir nicht einmal mehr über Freundschaft reden mußten, denn nach Abschied und Trennung geht das Eigentliche doch erst los. Und wie ich feststelle, daß ich am schönsten mit denen zusammen bin, mit denen ich längst nicht mehr zusammen bin. Weil man nur da unverwundbar lacht.

Wie über das Pflaster der Straße die zerbrochenen Splitter gestreut lagen, wie ein halber Mond über unsere Jugend schien, unser Heulen, unser Klagen, weil draußen ja immer mehr zu liegen schien als in unsere klammen, diebischen Hände paßte. Wie man nie genug einatmete.

Einmal versuchte ich, die Energie dort am Rand zu erklären, den Geruch von Schweiß und Ozon und Blut da vorne, wo es fast gefährlich wird. Wo die kräftig gebauten Männer sofort untergehen, weil sie an ihre eigene Stärke glauben und nicht eins werden können mit den Elementen, der Energie und der Hingabe.

Now I'm ready to close my eyes. Now I'm ready to close my mind. Wie man alles haben kann, wenn man sich erst traut, nichts und niemandem zu trauen. Wie die Asche zum Leben taugt. Wie die Schätze verschenkt werden. Ihr glaubt das nicht. Ihr habt die Demut nicht. Ihr habt die Lautstärke nicht richtig aufgedreht.


 


Dienstag, 7. Dezember 2010


#37 Turistas

Maybe I've forgotten
The name and the address
Of everyone I've ever known
It's nothing I regret

(New Order, "Regret")



Nur für den Fall, daß sich jemand fragt, welche Hausnummer dies hier war.

Dort, wo wir die Herzen zeichneten, uns Schnurrbärte malten. Dort, wo wir uns Hüte aufsetzten, durch dunkle Gassen flohen, die immergleichen Fragen nach dem "what's your name? where are you from?" mit immer wilderen Geschichten beantworteten. Wie wir uns einander als Touristen vorstellten, und ich vor lauter Zurechterfundenem irgendwann deinen wahren Namen nicht mehr wußte. Der Rost wird bleiben, die Narben auf der Wand. Ein paar Zahlen werden bleiben und Antworten, die ich mittlerweile weiß. Wo du damals herkamst, an diesem Tag im Café, wohin du gingst. Warum das Telefon drei Tage schwieg und was hinter der verborgenen Türe war. Das alles weiß ich. Sag nicht, daß da nichts gewesen sei.


 


Donnerstag, 21. Oktober 2010


1000 Km ohne Stereo



Kalte Tage. Irgendwo im Land fiel Schnee. Es wird lange dunkel sein und nur noch Musik, die aus einem winzigen Lautsprecher dringt.

Projektor | von kid37 um 12:36h | ein Zuspruch | Kondolieren | Link

 


Samstag, 9. Oktober 2010


Tick. Tick.

We can't help but feel
That something has been lost.

(Smashing Pumpkins, "Perfect")

Nicht wahr, ist doch so. Ticker, ticker, das neue System wird verkündet und einer fragt, wo bleiben die Schreibmaschinengeräusche. Wir sind doch so daran gewöhnt, wie die Affen, die das 37. Stück von Shakespeare schreiben. Ava.

You'll be a lover in my bed and a gun to my head. Ehrlich, das heißt so. Tick. Tick. Wenn die Verstärker nicht richtig geerdet sind, spürt man einen kleinen elektrischen Schlag, der von den Saiten springt. Das 50-Hz-Brummen, wenn man das Kabel einsteckt, das Kratzen der Regler, die viel zu lange nicht bewegt wurden. So müssen sich Gelenke anfühlen.

So müssen sich alte Gefühle anfühlen, die man in neue Richtungen lenkt. Die Woche über glaube ich, wieder in der Pathologie zu arbeiten, wie damals im Nebenjob im Studium. Wie die Ärzte über ihren Präparaten hockten, fasziniert von Epithelien, Kongo-Rot-Färbungen und Zellabstrichen, die längst nichts mehr mit Menschen zu tun hatten. Meine Kollegen sezieren, pathologisieren, suchen nach Schwachpunkten, prüfen, ob mit genügend Sicherheitsabstand im Gesunden geschnitten wurde, breiten die einzelnen Präparate vor sich auf den Untersuchungstischen aus, bis sie das Ganze nicht mehr sehen. Freitags stehle ich mich hinaus und gehe hinüber zur Geburtsstation, zähle die Zehen, die kleinen Fehler, höre das Geschrei und wünsche allen, wenigstens 33 zu werden und dann noch vier.

Was wir für eine Zeit hatten. Die einzelnen Momente, die wie Früchte vor uns hingen. Wie wir uns manchmal nicht trauten zu essen, wie wir manchmal aßen wie die Tiere, nackt, wie manchmal so viel Dunkelheit war. Wie wir unsere Tätowierungen leckten, verschwitzte T-Shirts und Unterarme, auf denen die Härchen senkrecht standen.

Wie keine Hilfe kam. Die Stille der blauen Lichter in der Nacht, der Geruch von Ozon und zerborstenem Metall und das Mädchen, das weinte.

Wie ich aus dem Auto stieg, unter Tränen, und du sagtest, ich dich auch. Wie meine Knie weich waren wie die ganz dicken Turnmatten und die Matten hart wie Beton. Wie man immer hinfiel. Voller Trotz.

Wie ich nie weiß, wie ich es zu Ende bringen soll. Wie ich nicht mehr weiß, ob die Puzzleteile, die ich streute, noch aus einem einzigen Spiel stammen.

>>> Geräusch des Tages: Smashing Pumpkins, Stand Inside Your Love


 


Donnerstag, 15. Juli 2010


Die Sommer sind nicht mehr endlos, alles andere auch nicht

Stück für Stück wie Laub von den Bäumen gestohlen, wie eine falsche Jahreszeit, die zu früh mit gefallenen Kastanien spielt, streifenweise eine stachelige Haut entblößt, Worte übereinanderstapelt, die mir ver- beginnen: wie vergilbt, verbrannt und vergeblich. Die letzten Gedanken zum Schattenspenden verwertet, sich die Kühle der anderen zum sommerlichen Trost gegen Hitze und Schwitzen und krebsrote Köpfe genommen. Sich an fremde Haut lehnen oder einen Laternenpfahl, einen aus fremden Taschen gestohlenen Kühlakku, atmen, heiser auf die Nacht warten, auf den Wind und das Kreischen der Gartentüren in ihren rostigen Angeln.

Heute nur, nur heute wollen wir von der Trauer lassen.


 


Dienstag, 2. März 2010


Menschen, die in Türen träumen

In meinem neuen Roman Menschen, die in Türen träumen geht es um das moderne Leben in der Großstadt, hingetupft zwischen flüchtigen Begegnungen und dem unversehens wiederkehrenden Gefühl von Einsamkeit in der Masse. Rolltreppenbummler K. verbringt seine Tage in Kaufhäusern und U-Bahnstationen, geht dort dem Werk nach, am Ende von Rolltreppen einfach stehenzubleiben, den Fluß zu hemmen und sich von Herumeilern beschimpfen zu lassen. Die Arbeit, die zu den niederen zählt, ist gering nur bezahlt, ermöglicht K. aber ein Auskommen knapp über dem Regelsatz. Er ist es zufrieden, denn Ziele und Ansprüche hat er kaum, seine Tage verlaufen gleichförmig im steten treppauf, treppab. Eines Tages aber begegnet er der jungen Türträumerin L, die manchmal im selben Kaufhaus wie K. beschäftigt ist. Sie steht dort in Schwingtüren und Eingängen herum, vielleicht schwankt sie dabei ein wenig von links nach rechts und dann wieder zurück, wenn die Türen besonders breit sind. Aber meist steht sie nur dort im engen Weg und träumt.

K. findet Gefallen an der jungen Frau und bietet ihr seinen Rucksack an, mit dem sich die Zugänge noch viel einfacher versperren lassen. Zum Dank weiht L. ihn ein in die Geheimnisse ihres Geschäfts. Gemeinsam nun stehen sie da, ein wie miteinander verschmolzenes Paar, eine undurchdringliche Barriere und Deichbau gegen die wütenden Wogen von drängenden Leibern. Unbeirrt sind sie nur sich und ganz dort, sind ein Körper, ein Rucksack, ein Gedanke. Sie stehen in Türen und träumen.


 


Sonntag, 28. Februar 2010


Endlich wieder Herbst

It's been winter for a whole year
But you couldn't hurt me if you tried

(New Order, "Primitive Notion")

Wie schön es draußen taut. Plusgrade in der Hafenstadt, der Hof bietet dem anstoßenden Auge ein von Silvesterböllern übersätes Bild. Die weiße Decke über Nacht weggezogen, splitt- und sandgeschunden zeigt der Asphalt frische Narben, Töne von Grau, herzwarmes Anthrazit, gekrümmte Hundehaufen - womöglich noch vom letzten Jahr.

Beim Tätowierer sitzen farberfrischte erste Menschen und lassen sich die Seepferdchen nachstechen. Nadelklappern, ein erdolchtes Herz aus Blut gestrickt. Vorm Lokal "Zur welken Rose" stellt der Wirt vergilbte Monoblocks nach draußen, gleich ist Ostern, dann schon wieder Herbst.

Im Segelschlußverkauf alte Hoffnungen im Dreierpack. Mir eine vorgefertigte Jahresbilanz, zehn Stück mit Steuersparrabatt. Mit verbrühten Händen zählt ein alter Mann sein Geld, über ältere Narben legt sich ein weiteres Geflecht.

Die Nacht dann, später, voller Mond und nur ein trunkener Hund, der heult. Im Ohr 1963, man kann die Tage langsam runterzählen. Eine verblichene Kreidezeichnung, Reste aus dem Sediment geschält, das Eis auf dem Kanal pumpt und ächzt, ein Grollen hebt sich aus der Tiefe. There were too many ways that you could kill someone/Like in a love affair, when the love has gone. Damals in der D-Jugend sangen wir noch frech und matschverschmiert "Wir sind doch nicht aus Limonade". Als das Spiel dann vorbei war.


 


Sonntag, 10. Januar 2010


Nicht genug Winter

You held at arms length.
You so afraid.
You by the waterfront.

(The Black Heart Procession, "Waterfront".)

Die Rüge der Freundin, die Mahnung. Die Erinnerung, als man noch betrunken bloggen konnte wie ein wettergegerbter Fischer aus Kanada, der nicht weiter als bis zu seinen Stiefeln spuckt. Ohne Mütze, Hut und Mantel, und ohne Rahmengeflecht. Morgens zieht die Bahn ihr verwischtes Bild am Fenster. Schnee im Hafen, Grau unter Grau, gegenüber kichert eine Gruppe Mädchen, die fröhlich die Schule schwänzen. An den Landungsbrücken stolpern sie hinaus mit ihren sternenbeklebten Schuh'n. Schnuppen im Schnee, stapfende Waisen, und irgendwann so bald schon eine weitere verfrorene Erinnerung. Ich erinnere nichts, male jeden Raum neu, mit schleppendem Gesang, die Wände, die Decken, schleife die frostigen Böden ab. "But memories can walk." (Rowland S. Howard, "Marry Me")

Es sind die Momentaufnahmen, die anatomischen Splitter, strukturlos, keine Reise, auf die man jemanden mitnimmt. Die schönen blonden Russinnen hier in der U-Bahn, wie man immer gleich "Mafia" mitdenkt, wie man selbst nur ein Moment in der Nacht ist.

Leidenschaft (Beta Version), dazu die Ratgeberseite "Lachen ohne Führerschein". Das letzte Bild, der letzte Satz, den man veröffentlicht, wenn die Bombe fällt. Weißt du ihn? Ach ja, weißt du ihn? Alles ist tragbar. Die Musik ist tragbar. Das Telefon ist tragbar. Der Kaffee ist tragbar. Nur die Liebe nicht. Die ist nicht tragbar. Die will ihren Platz.


>>> Geräusch des Tages: The Black Heart Procession, Waterfront


 


Donnerstag, 12. November 2009


Die Stadt & das Meer



Mein Vater hat mir immer gesagt, nichts hat Bedeutung, wenn man es nicht veröffentlichen kann. Aber die Dinge hatten sich geändert. Vince hatte bei unserem ersten Gespräch gesagt, es sei in Mode, sich selbst in die Story mit einzubauen. Allmählich stellte sich die Frage, wie weit ich gehen wollte.

(aus: Wahre Lügen. Regie: Atom Egoyan. Kan./GB 2005.)

#

Does she ever feel she exposes too much of herself? "You have to, otherwise the work isn't honest," she says. Die BBC über Tracey Emin.

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This is kind of about you.
This is kind of about me.
We just kind of lost our way.


(PJ Harvey, "We Float")

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An die Diebstähle denken. Die Bücher, die Schallplatten, die Gedanken und Ideen. Was hat man sich nicht alles angeeignet, in dem einen oder anderen brotlosen Jahr. Alkohol von irgendwelchen Partys mitgenommen, grußlos gegangen, raus in eine andere Kälte, irgendetwas albernes getan, einen fremden Namen in den Schnee gepinkelt, ein sorgloses Leben gestohlen, eine adaptierte Biografie. Am Ende sogar mit allen Lügen, die ich übernahm und dabei nicht einmal verstand. Oben auf dem Hang stehen, hinunterschauen auf die Lichter der Stadt, die schmerzenden Beine ausstrecken, weil man so schnell gelaufen war. Die schmerzenden Arme herunterhängen lassen, weil man einander so lange festgehalten hatte.

Diebe wie wir also. Mit gestohlener Zeit und Vorstellungen, die sich aus Büchern nährten, Kinofilmen, banalen Schlagern. Sonnenbrillen, die man unbedingt nachts tragen mußte, halbverdaute Zitate auf den Lippen, seltsame Zigaretten, die man teilte, in der Mitte brach, dabei blind blieb in voller Absicht, eine Witterung aufnahm, aber nicht weiterging. Wie wir eine zeitlang warteten, schweigend, und dann beschlossen weiterzugehen.

Im Dunkeln tasteten wir uns den Abhang wieder hinunter, den Lichtern entgegen und einer Ahnung von der nächsten Straße. Durch Buschwerk hindurch, erst kichernd, dann nervöser, es war ja kein Ende zu sehen, keine Hand mehr zu fühlen. Ich sagte, Amerika liegt dort drüben, zeigte dabei irgendwohin, deine Antwort konnte ich nicht hören oder habe sie nicht verstanden. Vielleicht hast du auch schon nicht mehr mit mir gesprochen.

Wenn man sich irgendwann kein neues Leben mehr stehlen kann, muß man wohl sein eigenes leben. Was fehlt, mieten sich die einen stundenweise, vermieten die, die es übrig haben, manchmal zieht man es sterbend noch an Land, von irgendwelchen Ufern, entkorkt sich und diesen Gestrandeten eine Flasche Wein, singt eines dieser alten Lieder, kippt sich die Neige einer weiteren Zukunft beinahe über den Kragen, einer steht auf, kräht, "immer weitermachen", ich rufe, "Maul halten oder Straßenkampf", alle lachen, man streicht ein paar Sätze prostet sich zu, und ich lausche, inhaliere, merke mir alles - Geduld, Geduld - und schreibe es irgendwann auf.

Aber nicht hier.

>>> Geräusch des Tages: PJ Harvey, We Float.


 


Mittwoch, 21. Oktober 2009


Can't Explain



Mod-Explosion, trop cool. Hin und wieder fragt man sich, ob in dieser Stadt manches nicht vielleicht auch ein Stück zu zuckersüß ist. Immerhin zieht ein munter ironisch bis sarkastischer Humor wie ein Kettfaden durch scharf geschnittene Anzüge, kaum blogbar diese warmherzige Schuftigkeit, die immerhin als einzige feststellte, wieviel traurige Liebe selbst im Kugelhagel manchmal steckt. Don't cry/Don't raise your eye/It's only Teenage Wasteland (The Who, "Baba O'Riley").

"Zu subtil", schrieb ich an andere Adresse. Aber wie laut hätte es sein können, wie laut die Frage, die Klage, die Ohrfeige, drei Tage kaum hörbar hinter dem klimpernden Glasperlenvorhang. Ohne Antworten bleibt manches undurchschaubar wie die Türpolitik zu einem angesagten Club. Can't Explain.

[...]

Die ungeschriebenen, gelöschten, ge-offten, gestrichenen, zerknüllten und verworfenen Sätze. Die aufgebrauchten Erinnerungen, die man glücklich zurücklassen muß, weil die eigene Kammer, der Kragen, das alte Leben zu klein geworden sind, man schlicht - und vor sich selbst fast unbemerkt - tatsächlich umgezogen ist. Auf Zweitaktern nämlich, kleinen pochenden Motoren; diese putzige Unbeholfenheit, die einen in Fahrt bringt, umstandslos und mit dem sorglosen Mut zur Peinlichkeit. Wenn man nicht heimlich mit anderen tanzen geht und nichts, aber auch nichts in Anführungszeichen setzen will. Die Idee vom Resonanzraum schließlich. Die Echokammer, in der manches nur widerhallt und anderes nimmer.

Wie ich verblüfft aus einem Fieberschlaf erwachte, bloß um wie im Fieber zu sein. Dieses Nachdenken plötzlich. Über Ausrufezeichen. Très cool.

>>> Geräusch des Tages: The High Numbers, Gotta Dance To Keep From Cryin'