Heute nacht besuchte ich den alten Kapitän. Er war lange Jahre Kommandant eines U-Boots gewesen und wußte, was es heißt, ein Leben im Untergrund führen zu müssen.
Er bot mir Tee und einen alten Keks. Im Radio liefen sozialistische Friedenslieder. "Katjuscha". Ich fragte ihn, wie man entkommen kann. Wenn ich aus meinem Fenster blickte, sehe ich nämlich, daß die Drachenboote schon wieder auf Kaperfahrt gingen.
Im Radio lief nun The Jam. "Going Underground". Das war doch aber auch früher. "And the public gets what the public wants/But I want nothing this society's got/I'm going underground"... ha, und früher hieß jünger.
Der alte Kapitän lächelte. Er meinte, er sei von Osten nach Westen gefahren und einmal sogar unter dem Eis hindurch über den Nordpol. Die Antworten, die er dort fand, waren nicht die Antworten, die er erwartet hatte. Aus Feinden konnten Freunde werden, und aus Freunden Feinde. Mittlerweile hatte er eine Flasche Wodka aus dem kleinen Kajütschrank geholt und vor sich auf das schmale Tischchen mit der kleinen, erhabenen Umrandung gestellt. Fast hätte ich gesagt, "Trrrrink, Brrriderchen", als mir einfiel, wie unhöflich es ist, fremde Dialekte nachahmen zu wollen.
"Trrrink, Brrriderchen", sagte er zu mir und konnte sich mein Lächeln nicht erklären. "Weißt", meinte er. Ihr im Westen, ihr denkt zuviel nach. Ihr träumt vom Wind. Und wenn kommt Sturm, dann ihr habt Angst.
Gut, meinte ich. Mit einem U-Boot kann man abtauchen. Da ist leicht reden.
Ach, meinte er und machte eine abwertende Bewegung mit seiner Hand. "Roboti, roboti, alles Arbeit." Unter Wasser gäbe es Stürme, die seien schlimmer als alles, was unter dem Himmel passierte. "Man muß wissen, wo sein Heimat", meinte der alte Kapitän. "Heimat sein Herrrz, sein Selle."
"Und wenn es keine Heimat mehr gibt? Wenn man eines Tages aufwacht, und alles ist weg?"
Der alte Kapitän schaute in sein Glas und dachte nach. "Darüber Seeleute njet sprechen", stieß er schließlich grimmig aus. Dann wurde er unruhig und nahm die angebrochene Flasche vom Tisch. "Dawai. Du jetzt mussen gehen."
Ich verließ das U-Boot. Schade, ich hatte mich auf eine Tauchfahrt gefreut. Aber ich mußte oben bleiben.
Sie schreiben seltsam anrührend.
Ich kenne "Going Underground" nur in der Version von Manfred Mann; scheint ich habe wieder mal verpasst, nach den Originalen zu forschen.