Bin schon da

Meine Mutter hat mir ein Osterpäckchen geschickt. Ich habe meiner Mutter auch ein Osterpäckchen geschickt. Leider hat es der Hase weder auf dem einen, noch auf dem anderen Weg rechtzeitig geschafft. Nächstes Mal machen wir es wie die Igel, behalten unsere jeweiligen Päckchen und rufen feist: "Bin schon da!"

Die Hasen von der Post hatten mein Päckchen aber heute im Körbchen. Liebevoll verpackt allerhand Süßkram, den ich ja eigentlich nicht essen wollte, ein Päckchen Tempo-Taschentücher (rührend. Oder soll das heißen, flenn mal nicht immer so rum?!?), und ein Exemplar, der wichtigsten unbekannten Wochenzeitung der Welt: die Wuppertaler Rundschau (Ausgabe Ost).

Manche rümpfen vielleicht die Nase und sagen, ach, so ein Anzeigenblättchen. Na, das gibt es doch in Hamburg auch. Papperlapapp. Da leg ich doch das Feuilleton der FAZ beiseite und falte die Süddeutsche ganz klein. Die Wuppertaler Rundschau ist meine Nabelschnur zur skurillen Denke, für die dieses Tal an der Wupper so berüchtigt ist.

"Kreuzigung auf der Hardt" - "Hardt wird wieder zum Ölberg". (Die "Hardt" ist ein Parkgelände im Westen der Stadt)
So die Titelschlagzeile. Ein Bericht über die Karfreitagsprozession der italienischen Gemeinde. Als ich letztes Jahr im heimischen Hamburger Kreis davon berichtete, wollte man mir ja nicht so recht glauben.
"Bundesweit die größte Veranstaltung ihrer Art". Das wiederum wußte ich nicht. Der Jesus kommt dieses Jahr aus dem Barmer Stadtteil Wichlinghausen, in dem nicht nur Rita Süßmuth, sondern auch ich geboren wurde. Völlige Begeisterung! Jesus' Arbeitsplatz ist genau gegenüber meiner alten Wohnung. Großgroßartig! 15.000 Zuschauer waren letztes Jahr zugegen, bedauerlicherweise habe ich es dieses Jahr vergessen.

Was gibt es sonst Neues? Ein alter Geschichtslehrer meiner Schule und begnadeter Handballschiedsrichter ist gestorben. Leider verschweigt die "WR" pietätvoll sein Alter.
"Zentara mochte Menschen, schämte sich auch seiner Tränen nicht, die nicht selten flossen". Hat mal jemand "Der Krieger und die Kaiserin" gesehen? Tom Tykwer kommt ja auch aus Wuppertal und muß es wissen. "Ich weine leicht, das ist erblich bedingt", heißt es da sinngemäß. Damals erklärte ich meiner damaligen Herzdame: Das liegt entweder am Trinkwasser oder ist tatsächlich ein "Bergisches Land Gen". Ich hab das, Zentara auch.
Klaus Zentara. Auch schon tot.

Dann natürlich ausführlich der WSV. Ist ja jetzt Tabellenführer. Super, WSV! 20.000 Zuschauer beim Regionalliga-Derby Rotweiß Essen gegen den WSV. 20.000 Leute! Regionalliga! 20.000 Zuschauer.

Im Innenteil das "Langerfelder Geflüster". Fachhändler des kleinen Stadtteils stellen sich vor. Schön, daß man bei "Tinte Plus" in der Schwelmer Straße einen Euro Nachlass bekommt, wenn man die Anzeige - die ich nun habe - vorlegt. Und der kleine Florian aus der 4b ist der "Lesekönig" in der Engelbert Grundschule. Brav, Florian. Ganz toll hast Du das gemacht!

In der "Bandfabrik" stellen elf Künstler aus. Im "HSV-Museum" in der AOL-Arena gibt es Beiträge aus Wuppertal. Ja, Wuppertal ist überall. Neulich hörte ich, daß Wuppertaler Radwanderer die Gegend um Aurich unsicher machen. Als Jugendlicher war ich da ja auch oft.

Auffällig, wie viele Berichte über kirchliche Veranstaltungen hier enthalten sind. Ich muß das mal mit dem örtlichen Anzeigenblättchen vergleichen. Aber angeblich glaubt der Hamburger ja nur an den Pfeffersack.

Ich habe Frieden mit meiner Heimatstadt geschlossen. Aber ich bin ja auch selten da. Diese Karfreitagprozession aber hätte ich gerne einmal wieder gesehen. Die ist wirklich sehr ergreifend.

Homestory | 18:13h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
mequito - Mittwoch, 14. April 2004, 20:40
grossartig
Ich mochte Wuppertal ja immer schon gerne (ich kenne es nur von der Bahn aus), die geographische Lage, die niedlichen Haeuser, die gewaltige Schwebebahn, und nicht zu vergessen ist, dass man da fuer 300EUR eine 80 quadratmeter Wohnung mieten kann. Diese Zeitung macht die Stadt nur noch interessanter. Warum gehen wir nicht alle dahin wohnen?

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kid37 - Mittwoch, 14. April 2004, 22:55
Über Wuppertal wird viel gelacht. Wegen des Namens, wegen des Loriot-Sketches und weil es so viele Autobahnabfahrten gibt. Wer dort lebt und jung ist, hasst es meistens und will dort weg. Wuppertal ist 1943 stark zerbombt worden, was ein gewisses Trauma über die Stadt gelegt hat, ähnlich dem, was Hamburg spürt. (Und mittlerweile glaube ich, genau das ist der Hintergrund, weshalb die Hamburger so nach Rückversicherung gieren: "Und? Ist schön hier, nicht wahr?" Einfach, weil so viel von der Pracht zerstört worden ist.)

Der Wiederaufbau und der städtebauliche GAU in den 60ern/70ern hat Wuppertals Zentren so häßlich gemacht. In den Seitenstraßen aber gibt es erstaunlich viel abwechslungsreiche, sehr schöne alte Bausubstanz.

Und ja: Die Mieten sind ein Witz, verglichen mit Großstädten wie Hamburg oder München. Und 35.000 Wohnungen stehen leer! Wir könnten sofort eine WG aufmachen, im "Katzengold", im "Café du Congo" oder im "Köhlerliesl" gepflegte Getränke zu uns nehmen und Fluxus-kunst- und punkhistorische Orte aufsuchen.

Und nach Düsseldorf oder Köln ist es nicht weit. Oder ins Ruhrgebiet. ;-)

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ella - Mittwoch, 14. April 2004, 23:59
Das würde Wuppertal durchaus gut tun, wenn wir alle dorthin gehen, dort wohnen würden, denn wie ich heute im Radio hörte schrumpft Wuppertal, ebenso wie Hagen.

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kid37 - Donnerstag, 15. April 2004, 00:55
Schrumpft in Deutschland nicht alles ein wenig? Bei mir ist das ja altersbedingt ;-) Mecklenburg schrumpft auch. Da hätten wir mehr Platz, und die Mieten sind noch günstiger. Aber die Atheisten dort kreuzigen sich nur gegenseitig, das ist nicht so schön. So eine Blogger-WG hätte schon was. Wir wären quasi immer online.

Ein alter Freund von mir aus Wuppertal ist nach Wien gezogen und glücklich geworden. Ich glaube, das mache ich auch. Ich bin da gerade sehr exaltiert. Heute sind alle sehr, sehr nett zu mir.

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monolog - Mittwoch, 14. April 2004, 22:03
Hätte ich das gewusst, wäre ich doch glatt für Sie hingegangen, zu dieser Prozession, und hätte ein paar Bilder gemacht oder einen kleinen Film, leider ohne Ton, gedreht. Erinnern Sie mich doch nächstes Jahr dran ;)
Schön zu erfahren, dass man mit dieser Stadt seinen Frieden schließen kann, mir gelingt es leider nicht. Aber ich arbeite auch nur dort.
Auf die Hardt fahren übrigens ganz entzückend kleine Busse, weil die großen WSW-Busse zu dick sind und dort steckenbleiben würden. Just heute wollte ich einen schnappschussen - leider kam mir Volk dazwischen, das meinte mich in meiner, wie ich fand verdienten, Mittagspause mit Arbeitskram belästigen zu müssen. Aber: demnächst bei mir ein Stück Heimat für Sie :o)

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kid37 - Mittwoch, 14. April 2004, 22:43
Jetzt haben Sie mich sehr gerührt. Ich habe mir diese Prozession früher gerne angeschaut. Nun wohne ich seit bald acht Jahren in Hamburg. Das scheint sich zu einem wahren Spektakel entwickelt zu haben. Als ich das zum ersten Mal entdeckte, war es purer Zufall. Ich wanderte durch Elberfeld und traf plötzlich auf einen kleinen Trupp von Römern, die einen Mann mit einem großen Kreuz drangsalierten.

Glücklicherweise habe ich die Fiktion der Inszenierung sofort begriffen, sonst hätte ich mich womöglich dazwischen geworfen. Mich hat diese Geschichte schon deshalb berührt, weil diese Leute das "einfach gemacht haben". Und offensichtlich im Laufe der Jahre auch die Bergischen für sich gewinnen konnten.

Für Wuppertal-Fotos wische ich auch gerne in Ihrem blog mal Staub oder so. Ich würde mich wirklich freuen - auch wenn Sie das wahrscheinlich nicht verstehen können.
Aber ab 400 km fremdelt man leicht. :-)

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monolog - Donnerstag, 15. April 2004, 20:57
Fotos kommen, hab mich heut im Sonnenschein mal ein wenig in Elberfeld umgetan. Ich lass Ihnen demnächst eine Nachricht hier, wenns soweit ist.

Staub wischen - komm ich denn so angestaubt rüber? ;o)

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kid37 - Donnerstag, 15. April 2004, 21:44
blitzeblank
Nein, nein. Bei Ihnen ist alles blitzsauber. Deshalb habe ich's ja angeboten. Da ist nicht so viel zu tun ;-)

Vielen Dank, ich bin sehr gespannt.

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axelk - Donnerstag, 15. April 2004, 12:40
die hardt .. war das nicht ein film mit butch äh bruce w.)
Tempotaschentücher in mutters päckchen (ich muß hier ihrer flenntheorie vehement widersprechen) haben aber einzig den praktischen grund kostengünstiger nützlicher füllstoff zu sein. Auch lokalzeitungsartikel sind bei meinen eltern eine beliebte paketbeigabe und dann vor allem wirtschaftsartikel aus der faz wenns um meinen brötchenbezahler geht (vatergesteuert).

Meine oma lebte (als sie noch lebte) in lütringhausen .. ich habe diese gegend immer als grau, regnerisch empfunden. Wahrzeichen sind für mich diese schieferverkleideten häuser mit grünen fensterklappen..

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kid37 - Donnerstag, 15. April 2004, 21:54
Har har, Herr K. Da können Sie mal sehen, welch immens wichtigen Einfluß Wuppertal auf die Filmhistorie jenseits von Wenders und Tykwer besitzt. Machen Sie weiter so, und Sie bekommen eine Sicherheitskopie meiner CD mit Bergischen Heimatliedern. (Dazu vielleicht mal ein eigener Beitrag, das Bergische Heimatlied geht ja nicht nur unserem Bundespräsidenten geschmeidig über die Lippen).

Aber auch in Päckchenfragen haben Sie völlig recht. Eine telefonische Rücksprache brachte es ans Licht. "Ich wollte nicht so viele Küchentücher mit reinpacken, deine Küche ist ja immer sauber. Da habe ich ein Päckchen Tempos genommen. Und dann war noch Platz, so paßte die Rundschau noch rein." Und das war die beste Idee.

Remscheid-Lüttringhausen ist wohl der Inbegriff des Grauen, Trüben. Tristesse ohne deluxe. Fisseliger Landregen, der in Wellen über die grünen Wiesen weht. Sehr prägend.

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lyssa - Freitag, 16. April 2004, 00:14
Mein mütterliches Osterpaket
kam sehr pünktlich, was aber auch kein Wunder war, da Eltern sich schon früh auf eine längere Reise begeben hatten. Darin neben dem obligatorischen Lindt-Hasen und entsprechenden Eiern und einem Buch ("solltest Du eigentlich schon zu Weihnachten bekommen, aber dann wollte ich es doch erst selbst noch lesen"), erstaunlicherweise auch Taschentücher (mit Muster), Fotos aus der Heimat und natürlich die WAZ - Regionalteil Wattenscheid.
Wenn schon Blogger-WG in Wuppertal, dann würde ich regelmäßige Ausflüge in den Pott vorschlagen. Auch wenn ich es trotz mühsam erkämpftem Frieden mit der Heimat immer noch nicht schaffe, eine Nacht im Bermuda-Dreieck zu versacken.

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seelchen - Samstag, 17. April 2004, 17:17
Ja, ja Wuppertal...
mag ja die häßlichste Stadt im Bergischen sein, trotz allem bewahrt sie sich immer noch ein wenig Flair, der mich ab und zu einmal dort aufschlagen läßt.
so auch Anfang April, als ich dort einen wunderschönen Nachmittag verbrachte und einige Fotos für meinen Photoblog schoss.
Und da habe ich gelernt, dass auch häßliches durchaus schön sein kann...:)

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kid37 - Samstag, 17. April 2004, 20:10
Dass Wuppertal "Flair" haben soll, habe ich noch nie gehört. Finde ich aber sehr nett.

Wer aber Wuppertal die häßlichste Stadt im Bergischen nennt, war noch nie in Remscheid oder Solingen ;-)
Im Vergleich zur Rotklinker-Monotonie in HH findet sich in W sogar bemerkenswert viel abwechslungsreiche Altbausubstanz. Und fiese Ecken gibt es überall.
Das Baudezernat in Wuppertal ist allerdings bereits juristisch auffällig geworden. Dabei sind die ästhetischen Verbrechen noch nicht einmal verhandelt worden.

Haben Sie einen Link zu den Bildern? Ich habe nichts finden können bei Ihnen...

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seelchen - Samstag, 17. April 2004, 22:16
Das liegt wohl daran...
dass ich diese "Schnappschüsse" noch nicht online gestellt habe..
Aber ich werde Ihnen versprechen sie in nächster Zeit online zu stellen.
Im Übrigen geben ich Ihnen recht, denn Solingen und Remscheid sind wirklich ebenso häßlich wie Wuppertal...wie konnte mir das nur entfallen..;)

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