Der gefundene Satz, 28

Wenn sie solche Reden führt, frage ich mich, ob wir nicht eine besonders privilegierte und verwöhnte Generation sind. Aufgewachsen zwischen den Entbehrungen der Nachkriegszeit und den Grausamkeiten der achtziger Jahre, sind wir Kinder unschuldigen Konsums und Erben jener Freiheiten, die die rebellierende Generation vor uns in den sechziger Jahren erstritten hatte. Wir kamen in den Genuß einer freien, vorzüglichen und doch irgendwie trödelnden Ausbildung, lebten dann die nächsten fünf Jahre von der Stütze, um unseren selbstgerechten politischen Überzeugungen hinterherzujagen, und begannen schließlich, in der Medienwirtschaft zu arbeiten und viel Geld zu verdienen. Weder Moral noch Religion hemmten uns sonderlich. Musik, Tanz, Ficken bis zur Besinnunglosigkeit, das waren unsere Götzen. Wir brüsteten uns, die freiesten Menschen aller Zeiten zu sein.

(Hanif Kureishi. Intimacy. 1998.)

Ex Libris | 15:14h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
modeste - Freitag, 17. Februar 2006, 15:48
Ja, vermutlich werden diese Jahre tatsächlich einmal als ein Goldenes Zeitalter auf die Nachwelt kommen, und junge Menschen werden einen im Altersheim fragen, wie das denn wirklich war, bevor alles so wurde, wie es dann sein wird.

 link  
 
novesia - Freitag, 17. Februar 2006, 18:55
Die freiesten Menschen aller Zeiten - so etwas ähnliches wie überdüngtes Gemüse.

 link  
 
sweetmaker - Freitag, 17. Februar 2006, 20:48
alles dürfen müssen
-sagten sie mal- wäre grausig-hippieesk...

 link  
 
kid37 - Montag, 20. Februar 2006, 12:12
Ja. Dieser Zwang zur Freiheit. Wozu und für was? Selbstverwirklichung als reichlich besinnungsleeres Lebensziel - überhaupt die Leere, die gefüllt werden will, weil sich keine Struktur und Bindung finden lassen darf. In dem zitierten Satz erkenne ich aber noch andere Haltungen wieder. Der Fatalismus meiner Generation (Zukunft? Welche Zukunft?) gerinnt irgendwann zur selbstgerechten, bequemen Mulde. Ich habe selbst lange gegen die 68er rebelliert und warte, daß junge Leute jetzt an meinen Besitzstand wollen oder wenigstens meine Musik scheiße finden.

Allein, das passiert nicht. Natürlich, weil es keinen Besitzstand gibt. Natürlich, weil meine Musik einfach geil ist. Aber auch, weil sich von "uns" keiner um was kümmert. Außer bequem im Internet zu sitzen oder vor dem Fernseher - "Graswurzel" zu rufen und alles käse zu finden. Ok, Schlingensief hatte mal eine Partei gegründet. Es ist noch nicht alles verloren.
(wird fortgesetzt)

 link  
 
modeste - Montag, 20. Februar 2006, 12:39
Vielleicht ist diese Kultur ja schlicht an einem Punkt angelangt, an dem ein Perfektionsgrad erreicht ist, der die Rebellion ausschließt, und nur den Überdruss am Perfekten übriglässt, der notwendig ziellos ist, weil das Perfekte ja nicht angreifbar ist, es sei denn, mit den Mitteln der Kunst.

 link  
 
kid37 - Montag, 20. Februar 2006, 13:02
In mir gären in den letzten Jahren eine Reihe solcher Fragen, auch was die Verantwortlichkeit für eigene Lebensentwürfe "meiner" Generation angeht. Seit einiger Zeit kristallisiert sich das deutlicher heraus - nicht zuletzt ausgelöst durch den Tod von Rau (wenn ich den nochmal erwähnen darf). Was immer man von ihr hielt - aber da tritt eine alte SPD ab. Die Reihe dahinter - links wie rechts dieselbe Tristesse. Gewelltes, Gemerztes, Geplatztes.

Am Wochenende meinte ich ketzerisch zu jemanden, der es noch hören wollte, viele von uns seien ja grün, denn Natur geht immer und tut keinem weh. Dem Wald ist ja auch links und rechts egal, der wächst nach der Sonne. Ich weiß nicht, ob das reicht.

Ich werde morgen mal ein paar Bäume pflanzen. Oder einen Vogel retten. Das Rentenproblem habe ich ja schon gelöst, da sollten für andere drängende Probleme auch noch kreative Ideen zu finden sein. Ab Aschermittwoch natürlich erst.

(Ich hoffe, Sie wollten jetzt nicht auf Ihr geliebtes altes Rom hinaus. Kommen jetzt die Barbaren und hauen die schönen Blogs kaputt?!?)

 link  
 
c17h19no3 - Freitag, 17. Februar 2006, 20:52
hanif kureishi liest sich gut. da habe ich doch auch noch was... *inspiriertzumbücherregaltapp* ;)

 link  
 
croco - Samstag, 18. Februar 2006, 20:24
So? Und wieso war ich da nicht dabei?
Dieses Gerede über ganze Generationen mag ich eigentlich nicht. Ich kenne einige, für die waren die 80iger die schlimmsten Jahre. Geschuftet haben sie wie blöde und dann gingen der Reihe nach alle Türen zu, vor einem. Arbeitslos, und bereit für einen Job überall hin zu ziehen, alles zu tun.
Ich hatte das Gefühl, die Welt war schon verteilt, als wir kamen.
Da wir ja so eine wilde Jugend hatten, dürfen wir jetzt bs 67 arbeiten, das ist unser Privileg.

 link  
 
kid37 - Montag, 20. Februar 2006, 12:18
Ich hatte nie grüne Haare
Klar, war vieles schon verteilt. Der Marsch durch die Institutionen stand ja nie auf meiner Fahne. Warum auch, solange der Nato-Doppelbeschluß meine eigene Heimatstadt auszulöschen drohte. (Die Kölner Raketen flogen ja nur 50km weit, angeblich.)

Dummerweise hat man das Ende der Zukunft überlebt. Ob mit Trödeln oder harter Arbeit. Sie haben aber recht: Natürlich sind das Verallgemeinerungen. Solche Generationenbeschreibungen betreffen meistens nur eine Eisbergspitze von Meinungsführern und Trendsettern , die das Charakteristikum einer Zeit besonders deutlich vertreten. 68 haben ja auch nicht alle auf den Barrikaden gestanden und nicht mal Rolling Stones gehört. Auch wenn das im Nachhinein, von Lehrern z.B., gerne behauptet wurde.

Und Jugend sollte immer wild sein, wer da was verpasst, darf das niemanden vorwerfen. Bald ist aber Weiberfastnacht, da dürfen Sie noch mal. ;-)

 link  
 
croco - Montag, 20. Februar 2006, 12:59
Keine Sorge, ich habe nichts verpasst ;-)

 link  
 
kid37 - Montag, 20. Februar 2006, 13:05
Puh, ein Glück! ;-)

 link