sie wächst zu einem beängstigenden, schlimmen Flutsturm
von harschen Klängen an. Sie bestärkt eine unheimlich finstere Ahnung,
die sich im Magen eingräbt, und dennoch ist sie großartig.
(Reinhold Brunner über das Konzert von Throbbing Gristle
am 10.11.1980 in Frankfurt. In: Rock Session 6, 1982.)
Die Berliner Volksbühne scheint sich auf 20jährige-Reunionskonzerte zum Jahreswechsel spezialisiert zu haben. Vor ein paar Jahren feierten die Fehlfarben ihr Jubiläum mit einem Weihnachtskonzert, dieses Jahr trat an zwei Abenden eine Industrial-Legende auf: Throbbing Gristle machten in Originalbesetzung für Frank Castorf ordentlich Krach.
So um 1981, als ich anfing, mich für Burroughs, Gysin und neubautige Musik zu interessieren, hörte ich von diesen abgedrehten Engländern, die so "industrielle Musik" machten, wie das bei uns Unbedarften hieß. Skandale im Londoner Insitute of Contemporary Arts (später durchbohrten die Neubauten bei einem Konzert den Betonboden des ICA mit der Begründung "Ihr habt eine destruktive Performance bestellte, hier habt ihr sie"), irgendwas mit merkwürdigen Sexpraktiken, subliminalen Botschaften und Infraschall, rauchenden Schloten von Todesfabriken, medizinischen Lehrfilmen und allerlei psychopathologische Narretei schien da im Spiel - alles natürlich hochinteressant.
Schräg, neu, Zickzack - mehr wollte man damals ja nicht. War ja alles aus Beton, damals. Und wenn man schon blaue Mülltüten als T-Shirts trägt, will man auch sonst mehr deviant statt ordinary. Are We Not Devo?
Sordide Sentimentale: Die Musik exisiterte meist nur gerüchteweise, einmal schickte ich meine Mutter mit einem Weihnachtswunschzettel (SPK, Leichenschrei ) zu Karl vom Kothen, einem Wuppertaler Schallplattenhändler, der von sich behauptete, er habe "jede Platte". Natürlich mußte er passen. Machte kaum was, weil ich damals wie jeder zweite selbst mit alten Tonbandgeräten, zusammengeklebten Bändern und Endlosschleifen (heute hieße das Loops) experimentierte, mir wie Laurie Anderson eine Magnetbandgeige bastelte (einen bespielten Streifen Tonband auf eine Holzleiste geklebt, die man dann wie einen Geigenbogen an einem Tonkopf vorbeiführte), allerlei Gerät zu Schlagwerken umfunktionierte - was man halt so macht als junger Mensch, dem kein Experiment zu schwör erscheint.
(Dafür liebt man Berlin: Immer gleich die Gegenrede parat)
Throbbing Gristle war dann irgendwann Kunstkacke, fand ich da gerade doof, Gefiepe und Gesuhle in Atrocities, und der Humor, eines ihrer Alben "20 Jazz Funk Greats" zu nennen, kam bei mir nicht an. Wie so oft, war das Konzept, die Idee letztlich auch interessanter als die Musik. Aber da ahnte man ja noch nichts von den mediokren Epigonen, die in den 90ern mit ihrem modulierten Industrialkitsch die Lauschwege verstopfen sollten. Dr. Benway und ich zogen ihre Rezeptblöcke jedenfalls bald für andere Harmonien; Krach und Klanggeschredder rhythmisierten derweil Techno/Gabba (Chris Carter!) - und irgendwie ist Industrial auch für den heutigen Klingeltonwahn verantwortlich, da bin ich sicher.
(Mehr gewagte Thesen wagen!)
Seit ich selbst keine Musik mehr mache, interessieren mich Klangexperimente nur noch stark am Rande. Krach ist ja auch am schönsten, wenn man ihn selber macht und Küssen kann man besser zu säuselnden Melodien.
Leider wummerte mir Neujahr selbst noch zu sehr der Kopf, so daß ich auf das Konzert verzichtete (trotz: Nostalgie, seltener Moment usw.), immerhin aber noch die (allerdings kleine) Ausstellung im Berliner KW besuchte.
Education through Pain nämlich.
News from the Death Factory: Fotos, Plakate, Konzertfilme und Geräusche und einiges an seltenerem Fanmaterial werden da gezeigt. Unter anderem eine Auswahl von Kundenkarteikarten des bandeigenen Labels. Ein Detail, das wie schwarzer Marmor funkelt: Auf der Karte von Ian Curtis steht nüchtern der ultimative Verweis: "deceased".
(D.O.A.: Das neue Album "Part Two" von Throbbing Gristle erscheint am 20. März.
Ausstellung noch bis zum 29. Januar im KW - Institute for Contemporary Art, Auguststraße 69,
10117 Berlin)
Das hat mich an so manchen Acts jener Ära auch irgendwann schwer genervt. Die Krönung an kopfgeborener Konzeptkunstkacke waren für mich seinerzeit The Residents, die in meinem damaligen Umfeld als richtungsweisende Ikonen abgefeiert wurden. Für mich, der ich immerhin noch AC/DC mit Bon Scott live erlebt habe, war das schlicht substanzloses Gefriemel, dargeboten von pickligen und blassen Typen, die es einfach nicht drauf hatten, Musik zu machen, die ordentlich nach vorne geht.
Heute seh ich das natürlich differenzierter. ;-)
Ich finde auch einiges von Yoko Onos Frühwerken, so Dada-Fluxus-Punk, ziemlich gut. Oder irre interessant. Aber es strengt schon sehr an. Kompositorisch sind diese stark auf reinem Sound basierenden Stücke oftmals auch schwach. TG war seinerzeit eine recht radikale Position. Aber selbst die ist heutzutage nur eine weitere Schublade im großen Selbstbedienungsladen moderner Musik/Ästhetik. Insofern bin ich noch nicht sicher, ob ein neues Album Sinn macht, außer für die Rentenkasse. Eine Selbstdemontage wäre vielleicht dann post-industrial zu Ende gedacht.
Herr Kid, natürlich hatte ich in jenen Jahren oft genug einen Backstagepass, um bei den In-Combos meiner peer-group dermatologische Schnelldiagnosen stellen zu können. Ohne seine Schminke war beispielsweise der Frontmann von Alien Sex Fiend durchaus präsentabel. Aber ich unterschrieb damals eine Verschwiegenheitserklärung, diese Tatsache nie öffentlich breitzutreten... ;-)
(Dafür bin ich nun mit Bauhaus eingedeckt. Und wenn das nichts sein sollte, dann weiß ich nicht! Und ja, die Fehlfarben! Heiligabend 2004! Unvergessen! Und der blonde junge Rauschgoldengel, der als Ersatzgitarristin für den Familienkrüppel der Band einsprang, hat sogar Janie die Schau gestohlen. Aber ich schweife ab.)
Subversiv sind scheinbar harmlose Ditties wie das Liedgut von Durwood Douche auch, der kleinge Schmuggel, nicht der große Schwindel. Bei den erwähnten TG, Residents et al. war ja die (jetzt kommt's) anti-industrielle Haltung die Rebellion: Außerhalb der Musikindustrie bestehen, eigene Label gründen und Platten vermarkten, Konzept vs. Star- und Personenkult, Spiele auf der Metaebene (Cosey Fanni Tutti als Pin-up Girl usw.) und mit den "Rock-Klischees"... Diese "Indie-Szene" hat lange Zeit recht gut funktioniert. Jedenfalls solange, wie sie sich selbst in Frage stellte.
Problematisch und ridicule wird es, wenn die Jungs eins werden mit ihrer Botschaft. Sollte jemand mal Campino sagen. Rock-Rebellen? Sehe ich keine. Aber es muß ja auch nicht immer die große Pose sein, gerade aus dem Grund, den Sie benennen.
Heute sagen wohlwollende Väter, "meine Tochter geht zu Marilyn Manson. Na und? Wir hatten früher Alice Cooper." Stimmt schon, ist nicht einfach, heutzutage ;-)