Brewing alternatives
What's in the bottom drawer
Waiting for things to give
Spare us the cutter
(Echo and the Bunnymen, "The Cutter")
An den Weihnachtstagen besucht man die Familie, das gehört sich so. Der Zug spuckt mich pünktlich aus am Hauptbahnhof, und mit dem Bus geht es weiter durch die Stadt. Die Haltestellen heißen Neuenteich oder Klingelholl, die Busse enden in Sonnenblume, Stahlsberg oder Konradswüste. Die Kneipen am Weg tragen Namen wie "Bierstube Wildkirsche", manchmal auch leutselig "Kiek ens rin". Überall signalisieren Schilder den Niedergang: Stehimbisse, Internet-Cafés und 1-Euro-Läden haben die alten Geschäfte verdrängt. Fisch Hosse bittet um frühzeitige Bestellung vor den Feiertagen. Man möchte Ärger und Enttäuschungen vermeiden, von denen es an Weihnachten so viele gibt.
Am Markt gibt es noch das Zoofachgeschäft. In der oberen Etage hatte lange Jahre eine Frau gelebt, die auch im Tierladen arbeitete. An Heilig Abend vor ein paar Jahren gerieten sie und ihr möglicherweise mißratener Sohn in Streit, und er erschlug sie. Mehrere Tage lebte der Sohn in der Wohnung mit der Leiche, ehe er sie mit scharfen Werkzeug in der Badewanne zerstückelte. Die Teile steckte er in Einkaufstüten und fuhr dann mit dem Bus in verschiedene Randgebiete der Stadt, wo er die Überreste versteckte. Sonnenblume, Stahlsberg, Konradswüste. Spaziergänger und spielende Kinder fanden einzelne Tüten, weit vor Ostern noch, und man kam dem blutigen Weihnachtsdrama auf die Spur. Der Skandal erschütterte damals die halbe Stadt. Ist aber schon lange her.
Ich gehe ein paar graue Straßen, dunkel ist es geworden. Aber ich kenne meinen Weg. Bei meiner Mutter brennt Licht, man sieht es von weitem. Ein Adventskranz hängt, dem frohen Fest zum Gruße, an der Tür.
Ich, ich geh' dann jetzt mal hoch.
Ich denke dieser Tage sehr viel über Amokläufe im Speziellen und das Datum meines Eigenen im Besonderen nach. Da Geduld leider keine meiner hervorstechenden Eigenschaften ist (man fragt sich zu recht, ja was denn dann, wenn auch das nicht), gehe ich den Weg der Distanz. Jedenfalls für die nächsten 45 Minuten. Weil irgendjemand ist hier ja immer irgendwo.