Fingered

Am Ende einer arbeitsreichen Woche und zu Beginn eines reduzierten (alle bitte: schluchz!) Wochenendes, ist der Bedarf nach einer kleinen Wohltat nahezu grundrechtsfähig. Seit gestern ist ja nun endlich mein Mund mit einem Implantat rückgefüllt - nun aber schmeckt mir Schokolade nicht mehr! Offenbar eine Kreuzreaktion auf das Ersatzmaterial. Warme Gefühle wollen in meiner Wohnung auch ansonsten nicht aufkommen, seit gestern abend, pünktlich zum Beginn der schneidigen Jahreszeit, die Heizung ausfiel. So kalt war es nicht mehr seit den seligen Zeiten im Pathologischen Institut des Barmer Klinikums (dear dead days!), in dem ich mir während des Studiums meinen (Achtung:) Lebensunterhalt verdiente.

So war es heute eine warme Freude, zufällig beim besinnungsleeren Stöbern im Medienregal eine verschollene Perle aus meinen 80er-Jahren herauszufingern. Damals nämlich gelang ich über krude und krumme, befreundete und nicht so befreundete Kanäle an die Kopie einer Kopie einer Kopie einer Kopie der gesammelten Werke des schrecklichen Kindes Richard Kern.

Über die USA, Köln und Solingen gelang das gesuchte Stück schließlich zu mir. Kern, einer der bekanntesten Vertreter des Cinema of Transgression, hatte in seinen jungen Jahren eifrigst die Super8 auf befreundete Künstler und Musiker aus der New Yorker Off-Szene (spell: Subkultur!) gehalten und einige amüsante, meist aber verstörende Kurzfilme inszeniert. Da wälzen sich Menschen wie Henry Rollins durch Blut und Schlamm und spielen Underground-Models wie Lung Leg mit Geckos, Knarren, Messern und allerlei Spielzeugen zur Erweiterung des sexuellen Horizonts - untermalt von Musik der Butthole Surfers oder Jim Foetus/James G. Thirlwell und Co.

Am heißesten klopfte mein Herz allerdings für eine andere ikonografische Szenegestalt, die in vielen Filmen von Richard Kern unbestrittener Star und Kollaborateurin war und von der ich beschlossen hatte, mich dereinst entjungfern zu lassen (ich konnte nicht so lange warten, sorry): Lydia Lunch.

Die zornige junge Frau war damals Star von berüchtigten Werken wie Fingered oder The Right Side of My Brain. Kern und Lunch hoben in ihren Filmen die verkommene Welt des "White Trash" auf die Leinwand - und wenn ein Zeigefinger erhoben wurde, dann zumeist nur, um diesen sogleich in die nächstgelegene natürliche oder auch unnatürliche Körperöffnung zu stecken. Moralisch verkommen, emotionsgestört, ohne Sinn, Verstand und höhere Ziele zeigt sich hier das düstere Zwillingsbild zu der mittlerweile recht mainstreamigen und burlesken Themenwelt eines John Waters.

Irgendwann fand ich heraus, daß Ms. Lunch mit bewußtseinserweiternden Substanzen experimentierte - von da an war natürlich Schluß mit unserer Liaison, die sie vielleicht auch ganz anders wahrgenommen hat als ich, wenn überhaupt. (Ich bin aber sicher, bei einigen Auftritten hier in Deutschland hat sie mich angesehen. Und einmal, da war es aber schon vorbei, hätte ich sie fast getroffen, aber sie hat mich versetzt, diese kleine Trailer-Trash-Schlampe! Muß ich noch mal in Ruhe erzählen.)

Jedenfalls hat auch Richard Kern seine interessantesten Tage hinter sich, macht jetzt eher wenig originelle Mädchen-Fotografie, hinterließ der Welt aber immerhin sein bizarres Œuvre, darunter auch einige Sonic-Youth-Videos wie das zu "Death Valley 69". Hardcore? Ach was. Rückblickend betrachtet bloß ein harmloser Spaß unter Freunden.

Sobald ich also das Eis von meinem DVD-Player abgekratzt habe, heißt es dieses Wochenende nur noch:
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Super 8 | 20:55h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
frau klugscheisser - Freitag, 18. November 2005, 23:55
Ein Tag ohne Heizung und Sie flennen frieren schon? Ich habe vier Jahre in einer Wohnung ohne Heizung gelebt. Nächsten Monat soll die eingebaut werden, da ziehe ich aber um.

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kid37 - Samstag, 19. November 2005, 00:55
Ja. Sie. Sie schweben ja auch ständig über den Wolken, da braucht man das vielleicht auch nicht. Ich bin ein sensibler junger Mann und sollte eigentlich den halben Tag eine rotglühende Tieraufzuchtslampe über mir strahlen haben.

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Lu - Samstag, 19. November 2005, 10:47
ich habe da einen platz frei. er ist hinter glaswänden, hat eine wärmelampe, einen wasserteil und steine, einen großen wie viele kleine. früher lebten dort sehr zufrieden betty-sue, jules und jim, später cosmo. wenn du willst, mach ich auch einen deckel drauf, zur abschottung.

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l9 - Samstag, 19. November 2005, 16:23
Ach waren das Zeiten.

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kid37 - Samstag, 19. November 2005, 23:55
Nicht wahr? An Sie habe ich auch gleich gedacht. Für 15 Euro ist die CD ein echter Schnapp, finde ich. Auch wenn meine x-mal kopierte VHS-Version eine ganz eigene Flicker-Ästhetik mitbringt.

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wasweissich - Sonntag, 20. November 2005, 00:46
Für Schokolade empfehle ich in diesem kühlen Fall den Kinderschokoladeriegel "Maxi KIng", aus dem Kühlfach des Supermarkts ihres Vertrauens. Eine Mischung aus Milchschnitte und Ferrero Rocher, quite lecker, habe ich erst vor kurzem entdeckt. Überstimmt bestimmt jegliche neuen Füllungen.

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