Merz/Bow #74



Wer noch ein Weihnachtsgeschenk für jemanden sucht, der oder die sich auch für exzentrische Moden, Menschen und Gebräuche aus der Zeit des 19. Jahrhundert interessiert, möchte vielleicht hier einmal schauen: Strange Victoriana: Tales of the Curious, the Weird and the Uncanny from our Victorian Ancestors versammelt genau das. Auf mehrere, nicht ganz einsichtig strukturierte Themengebiete verteilt (es gibt Kapitel wie "Animals" aber auch eines namens "Dogs", "Strange Perfromers" und "Strange People") dafür mit einem nützlichen Index versehen, hat Jan Bondeson, ein Rheumatologe am Tag und Experte für viktorianischen Trübsinn und Verbrechen bei Nacht, hier Berichte über wahre Verbrechen, Wolfsmenschen, Geistererscheinungen und todessehnsüchtige Fallschirmspringer versammelt. So erfahren wir, wie sich das berüchtigte "Bear-Baiting" aus elizabethanischen Zeiten ins 19. Jahrhundert geschmuggelt hat. Hier waren es freilich Hunde, die beim abstoßenden "Ratting" gegen Ratten antraten. (Zum Glück gibt es auch einige herzerwärmende Geschichten von Hunden als Lebensrettern.)

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Vielleicht brauche ich auch einen solchen Hund, denn seit das Dach gegen Regeneinfall wieder geflickt ist und die Wespen unterm Vordach einen langen Schlaf angetreten haben, hat sich ein neuer Mitbewohner vom Speicher aus in die Zwischenwand gearbeitet. Nachts kratzt es regelmäßig unweit meines Bettes, unangenehm, sage ich mal. In der Annahme, es sei vielleicht ein Marder, kratze ich nun zurück und imitiere die revierbehauptenden Geräusche eines Alpha-Marders, so gut ich kann. Vielleicht ist es aber auch ein anderes Tier. Ein Fall fürs Fachpersonal, bis dahin schlafe ich mit einer Waffe unters Kopfkissen.

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Als verspätetes Nikolausgeschenk zum nun sterbenden Jahr nahm Arte PJ Harvey ins Programm. Ihr Auftritt [Mediathek] aus dem Pariser Olympia stammt von der Tour mit dem aktuellen Album I Inside the Old Year Dying und ist angenehm reduziert, fast ein Kammermusikabend mit Möbeln und Kleid. Im Vergleich zur Tour zu The Hope Six Demolition Project vor sieben Jahren bin ich noch nicht ganz im Reinen mit dem Band-Outfit (wohl erneut Ann Demeulemeester). Das klassische Schwarz zum Grau aufgenebelt, wohl ein Hinweis auf die gespenstische Gothic-Szenerie der herbstlichen Landschaft von Dorset. Der Pressetext bei Arte ist auch gruselig erfindungsreich, verlegt Washington D.C. nach Detroit - aber egal, irgendeine große Stadt in den USA halt.

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Wer immer noch ein Weihnachtsgeschenk sucht, möchte sich vielleicht einmal dieses wunderbare Werk anschauen. "Warning, this is a 300 pages book that no human can read. Because it’s not written by human. It’s written by bugs", heißt es bei Northing, einer norwegischen Kunstbuchhandlung. Der chinesische Künstler Zhu Yingchun hatte die Idee, Spuren von Käfern und Schnecken in seinem Garten zu sammeln und die eindrucksvollsten Grapheme zu "Wörtern" zusammenzusetzen. Könnte ja sein. Vermutlich wirkt es vor der Folie chniesische Schriftzeichen und ihrer Anordnung auf einer Seite noch eindrucksvoller. Erinnert an die Arbeiten Maximilian Prüfers, die ich hier mal erwähnte.

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Apropos Kunst. Mir bislang unbekannt (Erklärung nicht nachvollziehbar) war der 2019 verstorbene visionäre belgische Künstler Panamarenko. Fast unheimlich, denn wir teilen offenbar einige Interessen. Bekannt wurde er für seine "Luftmaschinen" (aber auch Unterseeboote), reizvolle Konstruktionen zwischen Otto Lilienthals Gleiter, amorphen Blobs aus synthetischen Materilian, Zeppelinen, Federapparaten und glänzenden, spektakulären Metallflüglern. Ich empfehle die ausführliche Webseite von Marcus Ampe für ausführliche Informationen.

MerzBow | 22:22h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
frau eff - Freitag, 8. Dezember 2023, 13:02
Das sowieso wie für Sie gemachte belgische Museum www.verbekefoundation.com/en/ hat einiges von Panamarenko. Vielleicht mal ein Ausflugsziel für wenn die Flugmaschine verlässlich funktioniert.

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kid37 - Freitag, 8. Dezember 2023, 13:55
Danke für den Hinweis! Die Webseite gibt sich etwas spröde, aber ich bin schon tiefer eingetaucht. Die hatten sogar mal eine Ausstellung zum Thema "schreibende Tiere" usw: "Drawingmachines and drawings by animals, machines and people", klingt als stünden wir da auf derselben Seite im Buch. Hoffe, dass 2024 wenigstens kleine Reisen möglich sind.

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kid37 - Freitag, 8. Dezember 2023, 13:59
Nachtrag
Wird immer besser! Ich hoffe, man kann dort noch übernachten, wie hier der DLF berichtet.

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frau eff - Freitag, 8. Dezember 2023, 17:40
Herr K. und ich waren schon zweimal dort, es ist ein sagenhaft wunderbarer Ort (09.09.2021 im Blog).

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kid37 - Freitag, 8. Dezember 2023, 17:53
Sehr schön, das suche ich raus. Die Einstellung dort scheint zu stimmen, angenehme Atmosphäre, soweit man das aus Bildern im Netz schließen kann.

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samojede - Freitag, 8. Dezember 2023, 16:11
Folgendes: Hatte mal Wohnung in welcher 1Marder direkt über meiner Matratze in Dachschräge hauste. Nachts hat er Rabatz gemacht und hat - ich sag wie es ist - viel uriniert, so daß ich Urinflecke in Schräge an 2 Stellen hatte. Ich hab u.a. geklopft, gehämmert, geweint, geröchelt, geschabt, Sirenen und Wolfsgeräusche imitiert, Alpha und Gammatöne sowieso, gegrunzt und geschrien.....







(Falls Sie wissen wollen ob es geholfen hat oder nicht, sagen Sie es.......)











🦦

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kid37 - Freitag, 8. Dezember 2023, 18:04
Oh, Cliffhanger! NATÜRLICH will ich wissen, ob es geholfen hat.

Das ist ja der Horror, was sie erzählen. Ich war gestern auf dem Speicher, der ja nicht wirklich begehbar ist, muss man auf der Bohlenbrettergangway für den Schornsteinfeger laufen, um nach dem Rechten zu sehen. Also: nach dem Schurken. Denke, ich habe auch das kleine Loch in der Dämmung gefunden, wo sich Was-auch-immer (das Wort "Ratte" fiel auch bereits) nach unten in meine Wand gegraben hat. Hab das mal mit Dämmmaterial flüchtig verstopft, um später zu sehen, ob sich da was tut. Und dann - nachdem ich die Überlegung, selbst dort zu alpha-urinieren (ich sag's, wie es ist), um dort mein Revier zu markieren wie ich es neulich in einer Doku über Bären gesehen habe, verworfen hatte (ist ja sicher kein Bär) - habe ich eine Deklaration deklariert (in markigen Worten), den Unterschied zwischen "meins" und "deins" herausgestellt und im Übrigen aus der Hausordnung zitiert.

Danach, es war schon später Abend, lag ich die ganze Nacht wach im Bett und wartete auf's Schabemännchen (oder Kratzeweibchen) - aber nix! Ruhe war. Die ganze Nacht. Und ich kann nicht schlafen, weil ich dachte, sobald ich es tue, werde ich wie aus einem schlechten Traum geweckt. Es gibt ja so Filme, Horrorfilme heißen die. Also nix. Jetzt Hoffnung, jemand hat wie Paddington der Bär sein Köfferchen gepackt und ist Richtung Nachbarhaus gezogen.

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samojede - Freitag, 8. Dezember 2023, 18:53
Hat nicht geholfen. Der Marder und ich wir haben ziemlich lange übereinander gelebt. Also ich sehr dicht unter ihm. Phasenweise dachte ich, jetzt ist der kranke Wixxxer endlich weg, weil ein paar Monate Ruhe war, der Urin konnte eintrocknen, desinfiziert und übergestrichen werden, Ruhe einkehren, ich mich in Sicherheit wiegen. Aber er kam i m m e r, i m m e r wieder. So vergingen die Tage, Nächte, Wochen Monate, Jahre. Meine Nachbarin, die ^ihn^ auch hörte, wenn auch nicht so laut wie ich, war mal auf Dachboden und hat Ökoseife ausgelegt, weil sie irgendwo gehört hat, es hülfe. Hat auch nicht geklappt gehabt. Ich hab mich irgendwann mehr oder weniger damit abgefunden, dann Umzug. Jedenfalls, ist im Endeffekt auch Art Housetier.

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PJ Harvey übrigens Beste. Intensives Konzert, muß man (=ich) in Stimmung für sein . Oli Schulz hat kürzlich sehr warme Worte über sie verloren, u.a. 'Prayer at the gate' lobend erwähnt und kritisiert, daß sie bzw. ihre Musik vielen zu "schwierig"/"kompliziert" (geworden) ist. Alles genau richtig in diese Zeiten sagt er. Ich auch.

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Herzhafte Wochenende wünsche ich 🌈

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