Von der Motte



Wenn man eine experimentelle Apparatur entwickelt, muss man immer mit Nebenwirkungen rechnen. So zieht man durch einen komplizierten Mechanismus der Natur Motten an, wenn man eine Lampe baut (-> Phototaxis). Daher auch das Lied.

Manche Menschen werden auch vom Kurznachrichtendienst Twitter angezogen wie die Motten, weshalb ich am 28. April 2021 ein Experiment der Selbstenthaltsamkeit startete und das Rumlungern den Betrieb dort einstellte. Und zwar bis zum 18. Oktober 2021, was mir leider zu spät auffiel, sonst hätte ich noch zehn Tage durchgehalten, um das halbe Jahr komplett zu machen. Ich kann als erstes Vorstudienergebnis vermelden, daß ein Twitter-Detox sehr bekömmlich ist für inneren Frieden und das Zeitmanagement. Man muß auch kein FOMO hegen, denn auf hat sich nach einem halben Jahr Pause nichts geändert. Es geht nahtlos von einer Aufregung zur nächsten, wie Wellenreiter, die von einer Welle zur nächsten gleiten, immer und immer wieder.

Selbst eine Motte mit nur einem Fühler, sozusagen ein "Singulartaster", wie wir Signalwissenschaftler sagen, bekommt in diesem Umfeld genügend Reize und Erregung mit. Jetzt im Oktember, dem fnürfundhmpfigsten Monat seit Anbeginn der Pandemie, gehen die Lichter und Gasheizungen früher an, man kritzelt abends noch den Tagesreport ins Journal, seufzt über heißem Kamillentee, liest den Tanz der Motten um die Straßenlaterne vor dem Haus wie Prophezeiungen und wiegt seine Gedanken, ob sie auch schwer genug sind für den langen Winterschlaf.

Ich glaube, die Motten sind dieses Jahr größer geworden, der Klimawandel läßt die letzten verblienenen Insekten wachsen wie eingeschleppter Riesen-Bärenklau (Heracleum mantegazzianum). Einen Mantel wird man sich schneidern können aus ihren Flügeln. Später, wenn es in Frost und Rente geht.

Homestory | 19:16h, von kid37 | Kondolieren | Link