Plastic Passion

Wenn ich einen Werkstoff nicht leiden kann, also nachgerade verachte sogar, ist es Kunststoff. Entweder sind Gebilde daraus schmiegsam, aber voller Weichmacher, oder aber hart und spröde wie das Herz eines alten Bloggers. Ist Kunststoff transparent, wird er bald opak und schlierig wie die Gemüseschublade eines traurigen Kühlschranks. Hat er eine Farbe, gerät die bald außer Mode. Nein, Kunststoff ist der Feind, Plastik sogar ein Mörder, vor allem, wenn es in mikroskopisch kleine Stückchen zerschreddert ist und in Fisch- und Vogelmägen wandert.

Bakelit muß man aus dieser Gruppe ausnehmen. Ein meist wohlgeformter, nun klassisch gewordener thermoplastischer Werkstoff von angenehmen Gewicht und für Lichtschalter, Radiogeräte und Lampen eine gute Wahl. Gleiches gilt für Melamin, das hier im Haus neben Glasschalen den profanen Tuppertopf ersetzt. Überhaupt Ersatz: Seit Jahren predige ich: Plastik raus, Ersatz rein.



So hatte ich die letzten Tage auch keine Finger frei zum Bloggen, sondern war damit beschäftigt, einen wahren Haßgegenstand aus dem Haushalt zu entsorgen. Das sogenannte Jewel Case. Die Älteren erinnern sich. Bei DVDs mache ich das schon länger, wenn sie nicht in hübsche Boxen oder angenehme Packs aus Pappe stecken. Weg mit den klumperten Kunststoffboxen, rein mit den Scheiben in dafür vorgesehene Papierumschläge und alles in Sammelschuber. Spart Platz und Schrott. Jetzt waren die CDs dran, die sich bislang über mehrere große Schubladen verteilten. So wie andere in dieser Jahreszeit mit einer Schale auf den Knien abends vor dem Fernseher sitzen und Nüsse knacken, saß ich nun da und knackte Jewel-Cases. Die heißen edel so, sind aber meist im Laufe der Zeit verkratzt, angelaufen und blind geworden wie billiges Talmi.

Also weg damit! Krack, Knack, Krick gingen die Geräusche, denn all diese schäbigen Hüllen und Booklets aus den Hüllen rauszubrechen, rauszuzerren, rauszuschauben, rauszuknacken, rauszuprokeln ist ein zerstörerisches, wenngleich befriedigendes Geschäft. Nach einigen Hundert erbrochener CDs sollte man meinen, ich wüßte, wie das schadenfrei geht. Aber nein. Es gibt verblüffend viele Arten dieser Plastiksarkophage, und jeder öffnet sich anders. Manche kann man wie Zauberwürfel auf vertrackte Art verdrehen und verschieben, dann geben sie ihre Cover preis. Andere kann man eigentlich nur zerstampfen. Vier-, fünfhundert CDs später kann ich nun mit meinen Fingern Hummer knacken oder Austern oder was es sonst bei euch so regelmäßig gibt. Vielleicht könnte ich mich als Freiberufler unter dem Claim Ich knack das! selbständig machen.

Man lernt bei dieser Arbeit viel. Über Vielfältigkeit zum Beispiel. Ich bin sicher, daß es irgendwo ein Forum für CD-Case-Nerds gibt, die die Terminologie der einzelnen Formen dieser Plastiknervdinger (die einem ja früher bereits im CD-Gebrauchtkaufladen beim kontrollierenden Öffnen aus der Hand und quer durch den Laden geflogen sind) drauf haben. Da gibt es garantiert eine Art Linné'sches System für Einzel-CDs, Doppel-CDs, Dreifach-CDs, welche, die wie ein Triptychon geöffnet werden, welche, in denen die Scheiben wie Seiten in einem Buch angeordnet sind usw. Eine faszinierende Welt, wenn man darüber nachdenkt. Das alles haben sich Menschen einmal aus.ge.dacht!

Ganz sicher gibt es Menschen, die nun sagen, CDs, das sei aber soooo Neunziger, und sich dabei sehr klug und modern vorkommen. Ja, mag sein. Aber schaut lieber nach, ob euch euer Musikstreamdienstleister nicht gerade alle Bibliotheken auf dem Telefon gelöscht hat. Dann reden wir weiter. Hast du was im Haus, dann hast du in der Not. Meine Meinung. Musik zum Beispiel. Nun stammt ein Gutteil meiner CDs aber tatsächlich aus den Neunzigern, und da kann man sich schon auch wundern. Künstler, von denen man nie weder etwas gehört hat, Künstler, die es aus bereits damals unerklärlichen Gründen in meine Sammlung geschafft haben, Künstler, deren CDs überhaupt noch eingeschweißt waren. Man sortiert auf dieser Zeitreise auch streng noch mal aus, dann heißt es, auf Wiedersehen Pizzicato Five oder auch Tschüß Melvins, ihr seid super, aber einfach nicht meine Musik. Also Mukke.

Schade, daß ich in den Neunzigern keine eigene Band gehabt habe. Das wäre eine Emo-Goth-Band namens Gloomy Fühlings gewesen und hätte CDs in schön gestalteten Papp-Digipacks herausgebracht. Buchbinderische Arbeiten, Augenweiden, dazu astreine Musik, die die Zeit überdauert hätte. Aber wann hätte ich das alles auch noch machen sollen?

Ungefähr die Hälfte an Platz ist dazugewonnen, denn ich habe im Laufe der Tage ca. acht Tonnen Plastikschrott in den Container vorm Haus geworfen, immer mal so ein bis zehn Tüten, damit die Nachbarn ihre Käsefrischhaltefolien auch noch entsorgen konnten. Befreiend! Frau Kondo hätte gelacht! Jetzt kann ich guten Gewissens neue CDs kaufen, um die Lücken zu füllen.

Radau | 19:04h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
fidibus - Samstag, 19. Dezember 2020, 20:49
Mein Problem ist, dass innenliegende CD und Hülle nur höchst selten zusammenpassen. Packe die nach dem Anhören wild irgendwo rein. Und ja, ganz schrecklich sind diese Plastedinger, wo vier Scheiben reingehören und die mittigen Trägernuppel teilweise rausgebrochen sind.

(Davon abgesehen bin ich erleichtert, dass Sie Melamin gelten lassen.)

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kid37 - Sonntag, 20. Dezember 2020, 14:09
Das Cover/Booklet ist etwas kleiner. Für die CD gibt es ja passgenaue Hüllen, daß die überstehen, sttört mich nicht, da die ja eh weggeräumt werden. Da ist mir einfach jeder Repräsentationsgedanke fremd. (Der einzige Grund, so schätze ich, daß DVD-Hüllen so einen auf "Buch" machen. Dann kann man sie gewichtig ins Regal stellen.) Ja, genau. Jewel-Cases sind so schrottig, daß die oft von Werk aus schon zerbrochen sind. Was für ein dummes System.

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fritz_ - Samstag, 19. Dezember 2020, 21:13
Es spricht für Ihre bewahrende/konservative Natur, dass Sie mit den CD-Hüllen anfangen und die meisten CDs erst mal aufheben. Diese schlimmen Schmerzen haben viele Leute durchgemacht in den letzten 10-15 Jahren. So langsam werden die Abspielgeräte selten, dann kann man später immer noch den Weihnachtsbaum mit CDs behängen und den kleinen Kindern Räubergeschichten erzählen, was da für Glitzerdinger baumeln.

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kid37 - Sonntag, 20. Dezember 2020, 14:06
Konservatorische Natur, bitte. Ich bin ja progressiver Sammler. Bei dieser Banausenjugend, die Musik nur noch nebenbei aus diesem Internet bezieht, bin ich auch etwas skeptisch, was die CD-Zukunft angeht. Aber ich will auch nicht so ein Vinyl-Altmann werden (inklusive Retrorennrädern und Vintage-Gitarren an der Wand). Denke, meine Lebensspanne hält das System noch durch.

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sid - Sonntag, 20. Dezember 2020, 03:51
Im MAK gabs dieses Jahr eine hübsche Bakelit-Ausstellung. Gibts auch Bildmaterial zu den Umschlägen und Schubern?

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kid37 - Sonntag, 20. Dezember 2020, 13:59
Jaja, streuen Sie nur Mikroplastik in meine Wunden. Mit Wien ging es sich ja dieses Jahr leider nicht aus, das schlägt aufs Gemüt. Die Sammelbewahrung ist jetzt nicht so spektakulär - CDs in passenden Papierhüllen im Booklet (das leider etwas kleiner ist) und dann in hölzernen Laden oder wie die DVDs in passenden schwarzen Büropappschubern (die mit den Metallecken, - leisten, -Griffen). Kann man über- oder nebeneinanderstapeln. Bye-bye, Juwel-Case!

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manhartsberg - Sonntag, 20. Dezember 2020, 04:56
Manchen Topfpflanzen bleibt auch nichts erspart..

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kid37 - Sonntag, 20. Dezember 2020, 13:51
Oh, Traumfänger aus CDs. Nun ja. Die Tonträger bewahre ich allerdngs auf, nur die Hüllen kamen raus ;-)

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manhartsberg - Sonntag, 20. Dezember 2020, 14:12
Ja, natürlich, schon verstanden, aber haben Sie bis zum Topf gescrollt? Ich zweitverwerte schon auch gerne, aber es muss doch Grenzen geben!

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kid37 - Sonntag, 20. Dezember 2020, 14:56
Oh, gut, daß Sie nachgehakt haben. Ich kam vor Verdruß nur bis zur Discokugel. "Dekorativer Pflanzkübel", ich brech' zusammen. Ja, da war ich mit der Entsorgung der alten Hüllen voreilig. Sonst hätte ich eine "dekorative" Reihe auf der Fensterbank aufstellen können. Oder... nein.

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sakanachan - Mittwoch, 23. Dezember 2020, 11:26
Was haben Sie mit den verabschiedeten CDs (Pizzicato Five beispielsweise) gemacht? Frage für einen Freund inmitten ähnlicher Entsorgungstätigkeiten.

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kid37 - Mittwoch, 23. Dezember 2020, 14:27
Wenn ich keinen Fan für so was in der Umgebung weiß, sammle ich die und spende das dem Kirchenbasar. Die verkaufen die für 50 Cts. Ich bin ja jetzt in einem Alter, wo nicht nur Platz, sondern auch Zeit endlich ist. Ich höre so was einfach nicht mehr und kann auch nicht mehr wie Lady Miss Kier im bunten Spandexanzug dazu tanzen.

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sakanachan - Mittwoch, 23. Dezember 2020, 20:53
Ist das Ohr erst auf Webern und Feldman kalibriert, gibt es keine Rückkehr zum Hupfdohligen.

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kid37 - Mittwoch, 23. Dezember 2020, 22:46
Im Alter nur noch Neue Musik.

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gaga - Mittwoch, 23. Dezember 2020, 22:11
ich teile die Werkstoff-Abneigung, tendiere aber zur Zweitverwertung als z. B. Füllmaterial. Meine Idee hierzu wäre gewesen, die "Jewel Cases" aufzutürmen, schön an der Kante gestoßen, vielleicht jeweils mit ein wenig Bastelkleber in der Mitte zusammenzukleben, dann hätten wir vielleicht zwei bis drei 1 Meter hohe Türmchen gehabt, schöne eckige Säulen, von der Grundform her. Dann hätte ich no name dc-fix aus dem Euroshop wie Geschenkpapier rundherumgeklebt, ein Eimerchen mit Spachtel oder auch irgendeiner weißen matten Farbe genommen, und die Oberfläche rundherum zugekleistert, bemalt, kaschiert. Dann hätten wir zwei bis drei schöne Ausstellungssockel für Premium Skulpturen gehabt. Aber nun ist es ja zu spät, nehm ich an!

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kid37 - Mittwoch, 23. Dezember 2020, 22:47
Ingeniös! Aber Sie wissen ja, in diesem Blog ist alles echt. Da kommt mir koa Kaschiertes ins Haus hinein.

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gaga - Donnerstag, 24. Dezember 2020, 03:21
Aber so ein Sockel ist doch immer kaschiert.
Die Marmornen freilich ausgenommen... aber...mei!

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kid37 - Donnerstag, 24. Dezember 2020, 17:55
Naa. Der Sockel, auf den ich mich selbst gestellt habe, ist natürlich aus massivem Marmorbeton. Der muß ja meinen riesigen Kopf und mein großes Herz tragen. Und all das Leid auf meinen Schultern!

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crispinus - Sonntag, 27. Dezember 2020, 20:20
jewel Cases nicht mögen ist leicht, aber wirklichen ersatz dafür gibts nicht so schnell. Kleine Papp-Alben blanko wäre eine hübsche Sache gewesen - gibts nicht.
Nur papierhüllen - ok, aber wie mühsam, dann etwas wiederzufinden. bei unter 100 Scheibchen möglicherweise, aber sonst . . . . ich mag doech meine diversen Ikea Säulen vollgestellt mit bunten jewelcaserücken: 2 meter Skulpturen. Sind die so verpönt? noch verpönter als jewelcases aus hochwertigem Plaste??

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kid37 - Dienstag, 29. Dezember 2020, 18:37
Solche Papp-Blankoalben wären wirklich schön. Aber ich stecke die Papierhüllen in die Cover/Booklets und halte die grob alphabetisch sortiert. Da stehen dann die Beatles neben Blondie, das ist schnell gefunden. Die hinter opakem Plastik in Miniaturschrift, die man sonst nutzt, Liebesschwüre und Namen auf ein Reiskorn zu gravieren, betitelten Plastikcoverrücken kann ich jedenfalls auch nicht lesen.

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crispinus - Mittwoch, 30. Dezember 2020, 15:16
Es bleibt ein dilemma. Vielleicht die Sammelkartons, wie sie für 10er packs oder bestofs verwendet werden und dann einfach einen Buchstaben des Alphabets draufplotten, kaschieren und personaliseiern? Monogrammiert.
Auch bei einem so inferior systemrelevanten Anbieter wie te -di gibts derlei kartons in diversen Größen. Das alles in konfektionierte Säulen und schon steht das musikalische Denkmal. . . . .

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kid37 - Mittwoch, 30. Dezember 2020, 15:50
Da gibt es viele Lösungen. DVDs packe ich ebenfalls in Papierhüllen und sortiere sie dann hier rein (beliebig über- und nebeneinander stapelbar): https://www.manufactum.de/cd-schub-einfach-a87020/

Hauptsache, diese voluminösen, nutzlosen Plastikdinger sind weg.

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