Aus dem Familienalbum #2



Mein Urgroßonkel Stanislaus, von dem leider nur dieses verwaschene Foto existiert, fand nach dem großen Krieg keine Arbeit mehr und war fortan als sogenannter Wanderimker unterwegs. Mit einem an einem Wanderstock befestigten Bienenkorb zog er über die Dörfer, hielt mal an diesem Heidebusch oder an jenem Akazienbaum, so muß man sich das wohl vorstellen, hielt auch mal Rast an einem Rapsfeld und reiste auf diese Weise immer der wechselnden Blütenfolge nach. Zum Schutz vor den Bienen, die ihn aber gut kannten und selten stachen, hielt er dabei ein Ringnetz vors Gesicht so wie ein Detektiv seine Lupe halten würde.

Stanislaus war findig im Finden, hatte ein Näschen für duftende Blüten und fand so immer die besten Weideplätze für seine summsigen Immen. (In Wahrheit, so ist zu vermuten, waren es die Bienen, die ihre Späher und Scout vorschickten und deren Navigationstänze er lesen konnte. So nahm er seinen "Bienenstock" und ging den Blütenständen einfach entgegen.) Sein Honig galt als exquisit und war daher besonders begehrt. So erhielt er 1927 auch die begehrte Jahresmedaille Goldene Wabe des Imkerverbandes. (Dies war sicher der Anlaß für das Foto, auf dem er die Wabe wohl um den Hals trägt, so weit man das erkennen kann.)



Die Medaille findet sich noch heute in unserer Familienschatulle. Ein Glas Honig ist leider nicht erhalten geblieben, die Vorräte wurden irgendwann zu Notzeiten aufgebraucht. Nun, da ich zuletzt gebeten wurde, für mich selber und meinen beruflichen Wanderweg neue Ziele und Ideen zu entwickeln, hatte ich den Plan, Onkelchen Stanislaus' Tradition als Wanderimker aufleben zu lassen und selber mit einem Bienestock (auf einem Tragestell auf dem Rücken vielleicht oder auch am Wanderstock befestigt) umherzuziehen. Dabei würde ich heute, wo ein Großteil unseres Honigs gemäß Warendeklaration vorzugsweise aus "EU- und Nicht-EU-Ländern" stammt, aber eher in der Wissensvermittlung arbeiten wollen. So könnte ich vielleicht umherwandern und Schulen und Kindergärten besuchen, um Kindern die Welt der Bienen zu erklären. Ganz ohne Maja-Kitsch und nostalgische Verklärung. Leider kam jetzt die Schließung dieser Einrichtungen dazwischen und meine Idee starb einen schmerzlichen Drohnentod.

Stanislaus' Spuren verloren sich irgendwo bei Lüneburg. Vielleicht traf er eine kesse Biene, die ihn in ihre Wabe lockte, so die Version, die wir als Kinder öfter hörten. Vielleicht, so meine dunkel bewolkte Befürchtung, wurde er in einer stürmischen Nacht von seinem Volk erstochen, das seine Panikbeute verteidigen wollte. Ein König Lear der Bienen, der einsam und zerstochen in der Heide endete.

Homestory | 21:37h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
fritz_ - Dienstag, 17. März 2020, 00:05
Ay, every inch a king!

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kid37 - Dienstag, 17. März 2020, 19:47
Every sting a king!

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sid - Dienstag, 17. März 2020, 00:54
Hübsch : )

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kid37 - Dienstag, 17. März 2020, 19:48
Liegt nur am Anzug. Die hatten damals noch eine andere Qualität.

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fidibus - Dienstag, 17. März 2020, 00:57
Der Stanislaus war ein ausnehmend schnieker Bursche! Mit so ner Goldenen Wabe auf der Brust konnte er sicher zusätzlich Eindruck schinden.

(Um mal ein bisschen zu prahlen: Bekam im untergegangen Land die Goldene Eins im Straßenverkehr verliehen. Mein Ansteckdings war aber zugegebenermaßen nicht ganz so hübsch wie der Orden hier.)

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kid37 - Dienstag, 17. März 2020, 19:49
Aber so ein Fleißbienchen hatten Sie doch bestimmt auch im Leistungsheft?!?

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kuena - Dienstag, 17. März 2020, 06:19
Ja, Mist mit den Schulschließungen, Ausgerechnet Jetzt da die Bienen ausfliegen wollen. Kreativ wie Sie sind wird Ihnen etwas anderes einfallen, bin gespannt wen Sie als nächstes Vorbild aus Ihrem Familienalbum zaubern.

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kid37 - Dienstag, 17. März 2020, 19:50
Stoppok ist ja auch so eine Art Wander-Erklärer. Vielleicht kann ich mir was abgucken.

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herrrau - Dienstag, 17. März 2020, 07:13
Ihre Beiträge, so auch dieser, erfreuen mich so sehr, dass ich Sie dafür siezen möchte, wo ich doch sonst im Web ein Duzer bin. Vielen Dank für die wertvollen Einblicke in Ihre vielgestaltige Familiengeschichte. Ja, manches wird ungeklärt bleiben, das muss man aushalten als Forscher und Bienenfreund.

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kid37 - Dienstag, 17. März 2020, 19:53
Das Sie ist hier/die größte Zier steht ja rustikal in manchem Blogtürbalken eingebrannt. Und vielleicht habe ich bei den Familiengeschichten auch einfach nie richtig zugehört, und deshalb sind mir die Enden nicht erinnerlich. Man muß manchmal auch einfach loslassen können.

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samojede - Mittwoch, 18. März 2020, 23:36
Tragen Sie 1 ein klein wenig bauchfrei (no front, Sie können ja alles tragen) oder täuscht das auf dem Foto?

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kid37 - Donnerstag, 19. März 2020, 22:45
Sie meinen sicher den guten Onkel Stanislaus. Nein, ich habe hier das Originalfoto und habe es mit der Lupe untersucht. Wohl ein Saum. Oder ein Kummerbund. Ist ein bißchen unscharf.

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zeilensturm - Freitag, 20. März 2020, 11:22
Ist das eigentlich eine an die Wand gelehnte alte Matratze mit Motiv-Betttuch, vor der Stanislaw da posiert?

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kid37 - Freitag, 20. März 2020, 12:22
Das vermag ich natürlich nicht zu sagen, was man da um diese Jahrhundertwende verwendet hat. Ich könnte in einer Art forensischer Tatortrekonstruktion versuchen, das nachzustellen. Ich habe allerdings nur BVB-Bettwäsche und wäre dann der Stürmer nach dem Pokalsieg.

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