"Dick Laurent ist tot."

Für die kommende Weihnachts- und Jahresendfeiersaison bereite ich gerade einen kleinen Kalender mit hilfreichen Small-Talk-Openern vor. Man stelle sich vor, man trifft einen wildfremden Menschen am Buffet und sagt launig und unkompliziert, während man Kleingeschnittenes von diesem und jenem auf den Teller schichtet: ""Chanel wird ja jetzt wieder mehr Coco". Durch die Beförderung von Virginie Viard zur obersten Chefdesignerin, wie wir alle wissen, aber das ist für einen Small-Talk-Opener schon zuviel der Information. Keep it simple, heißt auch hier die Zauberformel.

So ein Vorbereitungskalender kann wichtig ein, wie oft steht man da und hat kein passendes Wort parat. Mir selbst verschlägt regelmäßig die Sprache in solchen ungelenken Sozialsituationen meist aus unterforderter Langeweile oder einem zuviel an möglich-munteren Antworten (das Berliner Landgericht hat immerhin mit einem Urteil einer ganzen Reihe Wörtern soeben die Tür zum Alltag geöffnet), manchmal aber auch aus banaler Schüchternheit.

So, als ich gestern ein Netz Äpfel aus den Händen meiner Lieblingskassiererin im Supermarkt entgegennahm (vgl. Gen. 3.6), obwohl ich zuhause noch genug herumliegen habe. Aber so richtig ein eleganter Spruch fiel mir dazu nicht ein, man muß ja auch aufpassen beim Supermarkttalk. Hätte ich da nur meinen Kalender mit Jahreszeitendialogen gehabt! "Danke. Chanel wird jetzt übrigens wieder mehr Coco." Da hätte die junge Dame ("Bedienfrollein" sagte man früher) aber was zu überlegen gehabt und sich gefreut. "Chanel wird wieder mehr Coco", mein Eisbrecher für die kommenden Tage.

Neulich mußte ich schon eine überraschende Kommunikationssituation an der Sprechanlage meistern. Abends um neun klingelte es an der Türe, ein neuer Nachbar, wie ich über die Sprechanlage erfuhr, der mir gestand, daß er es war, der meinen Steuerbescheid aufgemacht und gelesen, dann aber immerhin in meinen Briefkasten steckte. Das Finanzamt hatte die Adresse tatsächlich falsch aufgeschrieben, der Zulieferer tat das nächste - und schon sah man mich verwundert mit einem aufgerissenen Brief am Kasten stehen. Nun aber auch an der Sprechanlage. Jedem fällt jetzt David Lynchs Lost Highway ein, die ominöse Nachricht zu Beginn - "Dick Laurent ist tot" - und jetzt warte ich auf vor der Türe deponierte verstörende Videonachrichten (auf VHS-Kassette). Erstmal aber stand ich abends um neun an der Sprechanlage und führte ein etwas surreales Gepräch sensiblen Inhalts mit einer ätherischen, mir unbekannten Stimme, die mir munter ihren Schreck über meine Steuersumme nannte (ich fühlte mit ihm), fürchtend (haha!), diese selbst als Steuerschuld zu haben usw. usf. Ich wollte den Mann auch nicht unhöflich abwürgen, hatte er sich doch netterweise zu seinem Faux-pas bekannt und mich damit auch ein Stück weit beruhigt. Wir tauschten unsere Berufe aus (sieh an, sieh an!), wobei ich denke, daß mir seiner noch nützlich sein könnte.

Wie gern aber hätte ich ihm auf dem abendlichen Weg ins Nachbarhaus ominös mit auf den Weg geraunt: "Chanel wird jetzt wieder mehr Coco." Da hätte er was zu Grübeln gehabt.

Homestory | 16:37h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
fidibus - Sonntag, 22. September 2019, 20:57
Ha, hab Ihre Verklausulierung entschlüsselt! Der bedröppelte Nachbar ist Weinküfer und bastelt aus Ihren Äpfeln Obstwein. Und dann kredenzen Sie den edlen Trank ganz romantisch Ihrer Kassiererin.

 link  
 
kid37 - Montag, 23. September 2019, 22:42
Eine Kelterei im Nachbarkeller? Das wäre was. Bald kommen ja die kalten Tage, wo man sich der Techniken, die Großvater und Großmutter noch kannten, besinnen muß. Ich sag nur Aufgesetzten und Brände in der Ballonvase.

 link  
 
zeilensturm - Mittwoch, 25. September 2019, 15:05
Man kann es auch wie folgt machen: einfach durch blindes Drauftippen drei Wörter aus einem möglichst aktuellen Duden picken, diese gut schütteln und in Sekunden assoziativ verbinden – fertig ist der Opener. Hier, so: Luxusgüter – Erziehergabe – Pleuritis (merke: das Deutsche ist voller Substantive, ein Verb zu treffen ist eher unwahrscheinlich). Daraus wird dann: "Die Pleuritis treffe den, der die Erziehergabe zu den Luxusgütern zählt!" Diesen zunächst doch recht rigiden Imperativ sollte man mit einem lachenden und einem mahnenden Auge in den Raum stellen. So fällt man nicht als eifernder Jakobiner ins Haus, sondern führt sich als kritisch-pointierer Filou ein. Daraus ergibt sich zwanglos ein charmantes Parlieren über den Gruppenzwang der geistig verwahrlosten FFF-Bewegung, und der Abend ist gerettet.

 link  
 
kid37 - Donnerstag, 3. Oktober 2019, 14:45
Aber dann kommt garantiert so ein gut gekämmter Pullundermann der fragt: "Definieren Sie Luxus!" - und schon bürstet sich in mir der diskursive Widerstand. (Kann man nur antworten: "Definieren Sie Pleuritis!") Aber grundsätzlich eine muntere Idee. Zum Glück gehe ich selten auf Partys, und wenn, rede ich mit keinem.

 link  
 
samojede - Donnerstag, 3. Oktober 2019, 21:14
Ich mach immer polnischen Abgang sobald 1 gut gekämmter Pullundermann in Sicht ist. Mach ich aber auch bei Frauen mit Statementkette und mit ohne Frisur. Bin auch da für
🚺~Gleichberechtigung~🚹

Ist Ihr Nachbar vielleicht Entrepreneur?

 link  
 
kid37 - Donnerstag, 3. Oktober 2019, 21:34
Selbständig, ja. Aber sehr bodenständig. Seine Dienste könnten noch nützlich sein. Ich kenne das ja als, "sich auf Französisch verabschieden", aber das liegt sicher an meinen bretonischen Ringelshirtgenen. (Kein Pullunder.)

 link