Die letzten munteren Tage habe ich, schön auf dem Sofa in eine Zwangsjacke eingemummelt, mit der zweiten Staffel von American Horror Story verbracht. Zum einstigen Serienstart in Deutschland hatte sich Dietmar Dath ja euphorisiert in der FAZ geäußert, die Wallungen konnte ich für die erste Staffel allerdings nicht ganz teilen. Diese Ansammlung von Geistern in immer demselben Spukhaus, die sich aber nie zur selben Zeit auf den schlurfenden Schuhen standen, überzeugte nicht so recht, auch wenn das rothaarige Zimmermädchen eine Wucht war. Aber schon der von Dath gelobte Vorspann offenbarte ein Problem: die Serie ist handwerklich sehr gut ausgestattet, aber eben nicht wirklich genial. Mit flickernden Schockbildern (und einer unpassenden Typo) huschte das Intro durch einen mit medizinischen Präparaten im Einmachglas vollgemüllten Keller, "Serienmörder!", "Schockexperimente!" schreiend, dabei aus dem gängigen Repertoire einschlägiger Filme zitierend, aber weit davon entfernt, wirklich originell zu sein. Immerhin wurde aber auch nichts falsch gemacht, von den dünnen Stories abgesehen, und Jessica Lange spielt tatsächlich hübsch böse um ihr Leben.
Die - und etliche andere - ist auch in der zweiten Staffel dabei. Ein Ensemblestück, was ganz hübsch ist, wenn man die Leute mag. Wenn nicht, hat man eins von vielen Problemen dieser Serie entdeckt. Schauplatz ist Briarcliff, eine von der katholischen Kirche geführten psychiatrischen Anstalt in den 60er Jahren. Man stelle sich "Shutter Island" vor und fülle den Laden mit Szenen und Personal - das muntere Kinozitieren geht weiter - aus "Einer flog über das Kuckucksnest", "Der Exorzist" bis hin zu "American Psycho" und "Sucker Punch" - oder Versatzstücken aus einer berühmten US-amerikanischen TV-Mysteryserie aus den 90ern (ich sage nur "Entführungen durch Außerirdische"). Zu den Hauptpersonen gehören sadistische Nonnen, vom Teufel Besessene, freudlose Nymphomaninnen, menschenexperimentierende Nazi-Ärzte, perverse Frauenmörder, Borderlinerinnen und Selbstverletzer, machtgeile Kirchenvertreter und blutgierige Lümmel aus dem Mutantenkabinett. Eine streckenweise befremdliche Kuriositätenshow, weil man unbewußt immer klischeeermunternde Regieanweisungen ans Statistenpersonal mithört und daher all überall Insassen mit Köpfen gegen die Wände schlagen, wimmern und zappeln und religiöse Texte rückwärts sprechen.
Wie es halt so ist! Damals in den 60ern. Elektroschocks und Eispickel-Lobotomie dürfen nicht fehlen, Eis- und Hitzebäder, dazu einiges für Fetischfreunde: Fesselungen und Fixierungen, Doktorspiele und das gut gefüllte und eifrig genutzte Peitschenkabinett von Jessica Lange, die als Sado-Nonne die disziplinarische Oberaufsicht führt. Eine ziemliche Schlitterpartie am voyeuristischen Exploitation-Trash entlang. Dabei, von ein paar Durchhängerfolgen abgesehen, insgesamt tatsächlich recht spannend, auch wenn die zahlreichen Wendungen dieser irren Horrorcollage weniger glaubwürdig als eine durchschnittliche Folge "Akte X" sind. Ein großes Problem: anders als in besagter Mystery-TV-Serie fehlt eine durchgängige Identifikationsfigur. In American Horror Story agieren nur Unsympathen, da ist niemand, auf dessen Wertesystem man bauen könnte (das macht es so menschlich!). Schwierig also, aber atmosphärisch toll und voller Einrichtungsideen für morbideres Wohnen.
Gedreht wurde nämlich zu meiner Überraschung nicht in einer aufgelassenen alten Einrichtung. Die mit Patina und vielfältigen viktorianischen und Art-Déco-Elementen versehenen Räume wurden allesamt im Studio nachgebaut, gekachelt, gefärbt und für einzelne Szenen vollgemüllt,wie die "Extras" enthüllen. Anregungen fand man unter anderem in dem tollen Bildband von Christopher Payne - Asylum: Inside the closed World of State Mental Hospitals. Payne hat über 70, meist seit den 60er-Jahren geschlossene, verfallene Anstalten besucht und (zum Glück ohne HDR-Scheiß!) beeindruckende Bilder mitgebracht. Architektonische Details, berührende Spuren und Hinterlassenschaften von einstigen Insassen (z.B. ein übergroßer Schlüsselschrank, in dem fein säuberlich aufgreiht Zahnbürsten hängen), kühle Interieurs zum Teil mit dem erschreckenden Nachhall (einst) üblicher Behandlungspraxis, zum Teil den Shabby Chic heutiger Inneneinrichtungskataloge atmend. Ein sehr unaufgeregtes, großartig fotografiertes Buch.
Wem das übrigens alles zu frivol scheint, dem sei die Doku empfohlen, die morgen im WDR gezeigt wird. Hölle Kinderpsychiatrie spürt dem echen Grauen der Zustände (und ihren bis heute nachwirkenden Folgen) in der Kinderpsychiatrie* in Marsberg im Sauerland nach. Nadja Kerschkewicz, Anne Kynast und Martin Suckow sprachen mit ehemaligen Insassen, die in den 60er Jahren vieles von den oben erwähnten Zuständen - Zwangseinweisungen, Gewalt und Mißbrauch durch Pfleger und Nonnen - am eigenen Leib erdulden mußten.
(Christopher Payne. Asylum: Inside the closed World of State Mental Hospitals. Cambridge, Ma.: MIT-Press, 2009.)
* Spiegel Online zu den Anschuldigungen gegen das nordrhein-westfälische St. Johannes-Stift
(Es gibt so tolle Bücher zu "Urban Exploration" z.B., aber dann wurden die interessanten Bilder durch HDR verwunstet. Schrecklich.)
Der Bildband klingt hingegen unverzichtbar. Leere psychiatrische Anstalten müsste es in den USA ausreichend geben. Noch zu Bush-Zeiten wurden unter dem Deckmäntelchen der Selbstbestimmung zahlreiche Kliniken von heute auf morgen geschlossen. Die Patienten konnten dann gucken, wo sie blieben. Mir hat mal jemand erzählt, dass man einfach billigend in Kauf genommen hat, dass sich etliche gegenseitig umgebracht haben. Effektive Kostenreduktion, das.
Das Buch ist uneingeschränkt zu empfehlen, auch der Name "Oliver Sacks" sollte nicht abschrecken.
German Horror Story mit sadistischen Nonnen gibt es in Peter Wensierskis "Schläge im Namen des Herrn" über die Geschehnisse in den Kinderheimen der beiden Amtskirchen in den 50er und 60er Jahren.
Kind in den Kartoffelsack gesteckt, oben zugebunden, über Nacht in den Keller.
Es gibt kaum etwas, was Drehbuchautoren sich neu ausdenken könnten.
@Frau Eff: Die WDR-Doku deutete so was ja auch an, und allein die Drehgenehmigungen sind nicht selbstverständlich. Ansonsten könnte man große Bögen in die Gegenwart (die sich immer durch die Vergangenheit erklärt) spannen - bis hin zum Fall Mollath.
Das Buch ist wunderbar. Eine präzise Sicht durch verlassene Anstalten, in unheimlicher Choreografie.
Und am Beispiel der Schule könnte die Psychiatrie lernen.
Aus der Broschüre "Zur Zukunft der Psychiatrie" ein Ausschnitt aus einem Text von Sybille Prins:
"... : in einem Buch war einmal ein Dokument abgedruckt aus dem 19. Jahrhundert, vielleicht auch Anfang des 20. Jahrhunderts. Es handelt sich um Richtlinien der Schulbehörde ( in Deutschland ) darüber mit welchen Mitteln und in welchem Maße man Schüler körperlich züchtigen dürfe. Welche Stockschläge noch erlaubt seien, was zu weit ging. Heute können wir über so etwas nur noch erschrocken den Kopf schütteln. Ein Lehrer, der auch nur im Affekt einen Schüler ohrfeigt, wird heute disziplinarisch zur Rechenschaft gezogen und riskiert seinen Job. In der Psychiatrie hingegen existieren durchaus Richtlinien dazu, wie Zwangsmaßnahmen durchzuführen seien, also Gewalt ausgeübt werden kann. Das ist dann auch noch ein "Fortschritt" gegenüber einer unkontrollierten Anwendung von Zwang. Ich hoffe, dass kommende Generationen ebenso den Kopf darüber schütteln werden wie wir über die Schülerbestrafungen von gestern."