Vor den eigenen Träumen muß man warnen. Vor Man Rays scham- verlorenen Fön auch.
Heute Abend auf der Vernissage von "Begierde im Blick - Surrealistische Photographie" drängelte sich wieder einschlägig bekanntes Kunstvolk durch die luftarmen Katakomben der Hamburger Kunsthalle. Jedes zweite Wort war "surreal", und das ist auch ungefähr das, was mich an dieser Kunstrichtung so stört. Kaum eine avantgardistische Kunstrichtung ist so dermaßen für den Mainstream kanonisiert wie dieses traumhafte Ratatui des ungehemmt Beliebigen. Im Namen dieses Bric-a-brac sind hochspannende, aber sicherlich auch die nervendsten und brechreizerregensten Manifestationen entstanden, deren Aussageplattheit nur noch von symbolistischen Werken aus dem Kunstleistungskurs 11/2 übertroffen wird.
Ich sage nur, Miró- oder Magritte-sammelnde Zahnarztfrauen.
Anders als die Liebe ist dieses Objekt unzerstörbar.
Man Ray: Indestructable Object, 1923
Als alter Dadaist (nach meiner expressionistischen Phase) ackerte ich mich Anfang der 80er Jahre durch die Pissoirs des linken Seine-Ufers, hielt mich kurzzeitig für die Reinkarnation Man Rays und traf tatsächlich meine Kiki de Montparnasse, eine wunderschöne Frau von unberechenbaren Charakter. Die Beziehung war schwierig, surrealistisch also, nach heutigem Sprachgebrauch. Vor allem neidete sie mir, daß ich in Figueras, einem ehemals verschlafenem Bergdorf und seit Jahrzehnten Heimat des Dalí-Museums, das Regentaxi gesehen hatte, das dort im Innenhof steht. Das ist eine interessante, eher sexuell geprägte Installation, denn dem Passagier des Taxis, einem Mannequin, kriechen Schnecken über die entblößte Brust.
Von solchen Brüsten habe ich heute noch surrealistische Visionen
In unserem hedonistischen Zirkel an Nachwuchs- surrealisten und Sonntagsdadaisten ging es oft lustig her, auch wenn über Trunk, Entkleidung und Gelächter das kreative Schaffen oft zu meinem Leidwesen zu kurz kam. Bald gab es Zank und Zwist, Max Ernst zog nach Berlin und Bréton warf mich aus der Surrealistischen Internationale, dann bezwang mich Duchamp beim Schachspielen, wie man sehr gut hier sehen kann. Wir hatten - ganz surrealistisch - Kiki als Preis ausgelobt, und so war ich sie los.
Hans Bellmer band die Puppen einfach fest.
Irgendwann war ich es aber leid, in Träumen und Visionen rumzu- bohren, mich über die banalen Erkenntnisse anderer Leute auszutauschen ("Nichts ist langweiliger als die Träume anderer Menschen", Robert Smith). Ich las "Nadja", weil ich bei Patti Smith das schöne Zitat "Beauty will be convulsive or not at all" gefunden hatte. Ich wühlte mich auf der Uni durch Freud, Breton, de Sade, Éluard, Artaud und Bataille, verwarf aber bald diese immer gleichen Fixierungen im Analen, Genitalen, Surrealen. In spätpubertären Jahren findet man das natürlich toll, dieses Revolutionäre, Ach-so-Wahnwitzige und Befreiende. Bis man lernt, das eigentlich ein "angeblich" vor diese Begriffe gehört. Dieser Kampf gegen "bürgerliche Werte" - das Spießertum also - wurde getragen von Bürgersöhnen (und -töchtern), die ihre eigenen Obsessionen, ihre eigenen Verklemmtheiten zu Grabe trugen - auch darin den 68ern vergleichbar. 1924 sicher eine wichtige Sache, 1954 ganz bestimmt auch. Aber 1984 kam ich zu dem Schluß, daß man diese Kämpfe nur noch symbolisch, im Rahmen der eigenen Entwicklungsgeschichte nämlich, für sich selbst austragen muß. Surrealismus ist eine Coming-of-Age-Geschichte, ein Erwachsenwerden und Zähmen der eigenen Dämonen. Adoleszente Anarchie, und dann ist aber auch gut, der Rest endet im Späthippietum.
Irre: Heute hält man die Träume und Visionen fest, digital oder im Postershop.
Heute liefen Frauen mit medusenhaftem Haar durch die Ausstellung und fabulierten davon, so sein zu wollen wie Dora Maar. Kleinbürgerliche Mädchenträume vom Künstlerleben, das sie keine drei Wochen durchhalten würden. Dennoch muß ich der Ausstellung Lob zollen. Auch wenn manche Beiordnungen eher willkürlich (Brassaï) erscheinen und dafür die surrealistische Moderne (Joel-Peter Witkin, Gilles Berquet, ungefähr 500 Tschechen bspw.) fehlt. Aber dafür entschädigen viele Vintage-Prints und vor allem das (nachgebaute) begehbare Modell aus der Surrealismus-Ausstellung von 1938. Man zieh mich gleich der Beschädigung dieses Objekts - nur weil ich die Klappe, auf der deutlich "Sortie" steht, ihrer Bestimmung zuführte.
Man einigte sich mit meiner kunstdidaktischen Hilfe darauf, daß dies auch so sein müsse, und passiert war schließlich nichts. (Anders als auf der letzten Documenta, wo irgendjemand aus Versehen aus einer Installation eine lose aufliegende Eisenstange riß, und das Personal kurzzeitig darüber debattierte, den Künstler einfliegen zu lassen, während ich vergeblich anbot, das Ding einfach wieder zurückzulegen.)
(Begierde im Blick. Hamburger Kunsthalle, noch bis 29. Mai 2005)
Edit: jetzt hab ich es, da ist mir wieder diese sonderliche Distanz, das mächtig großväterliche ... ne, nichts gegen die Altersweisheit, aber deren sterile Perspektive, hah hah, Heidegger würde pathologisieren, ihr Sein zum Tode, die sollte einem doch auch als Narretei plausibel sein. Eben die des Alters, statt eine der Jugend. Beides hat seine Bedeutung, seinen Charme und Wahrheit.
Mit den Surrealisten "abrechnen" zu wollen, wäre vermessen, und wer sich daran begeistern kann, soll das gerne so tun. Ihren revolutionären, provokanten Impetus haben sie jedenfalls lange verloren. Wer sich heute noch [an] der Triebtheorie erregen muß, dem kann ich auch nicht mehr helfen. Nur darüber muß man sich bewußt sein, mehr verlange ich nicht. Das ist übrigens mit Punk nicht anders. Ich warte darauf, daß Thomas Gottschalk die Pistols ins ZDF holt.
Mich stört diese nostalgische Verklärung und die Kanonisierung, fürwahr. Das wiederum hat wohl nicht so viel mit mir persönlich zu tun. Aber Duchamps Urinal als Coffee-table-Book ist doch eine bizarre und bürgerliche Idee. Das sind die Spitzwegs von heute. Darin liegt nicht mal mehr ein Witz. Deshalb lege ich bei mir Tracey Emins getragene Unterhose auf den Kaffeetisch - oder wenigstens Joel-Peter Witkin. Und ich bin weiterhin ein Fan von Man Ray. Punkt.
Das eben lass ich, dass sie den Surrealisten den Surrealismus vorwerfen wollten. Wenn sie für sich die surreale Fixierung überwunden haben, dann ist das ja etwas anderes, als sie der Theorie für überholt anzurechnen. Das ist bei einem Metatheorem kaum mehr als Unfug. Solche Fixierungen aka theorieperspektivische Schwerpunktsetzungen sind gewöhnlich und notwendig.
"Wer sich heute noch der Triebtheorie erregen muß, dem kann ich auch nicht mehr helfen. "
Diesen Satz verstehe ich nicht. Meinen sie: "an" der Triebtheorie erregen?
Sagen Sie mal, Herr Sonrisa, woran arbeiten Sie sich denn gerade ab? Ist doch völlig klar, was ich geschrieben habe. Ich habe auch die Transzendentalisten gelesen an der Uni und bete die nicht mehr täglich an. Mein bescheidener Bericht soll SIE doch nicht kitzeln, sondern diesen Von-bis-mus der begehbaren Kunstkanope namens Museum.
Meinten sie übrigen "lass" oder "las"? Ich las, daß ich den Kirchgängern des Surrealismus die (für mich eher) pubertäre Beigeisterung für das einstmals sicher revolutionäre, nun aber kanonisierte Auf-den-Sockel-heben des "Traum- und Triebhaften" vorwerfe. Ja. (Das habe ich aber im Beitrag selbst und in meinem ersten Kommentar bereits näher erläutert).
Das ist dasselbe, was ich Späthippies vorwerfe oder Menschen, die sich ein Ché-Poster ins Klo hängen. Das schmälert nicht die historische Leistung der AvonGarde. Ich schmälere aber die heutige Rezeption.
Sie sprachen von "und das ist auch ungefähr das, was mich an dieser Kunstrichtung so stört", das lässt sich schon auch so lesen wie ich es oben dann getan habe und wenn ich dann herumfrage, also meine Interpreation ihrer Interpreation ausprobiere, dann arbeite ich mich an nichts ab, was sie nicht als Angebot offerieren. Dieses mitnehmen dessen der da erzählt in seine Erzählungen, ist eine Eigenart, hat aber nichts, was sie zu ärgern intendiert. Geben sie dem ruhig etwas Raum, es intendiert keine Konkurrenzen oder Debatten, mehr eine eigene Art des Fragens und Ausprobierens. Für mich selbst und meine Interpretationen bringt das stets Gewinn.
Vielleicht sind Sie auch nur der Tristan Tzara hier im Spiel und machen sich einen konvulsischen Spaß. Jedes zweite Wort war "surreal", und das ist auch ungefähr das, was mich an dieser Kunstrichtung so stört, schrieb ich. Und das lesen Sie bitte als: Wenn heute alles "surreal" ist, ist nichts mehr surreal. Es ist eine Floskel. Auf der Vernissage gab es eine Kakophonie aus spitzgeschrieenen "Oh, das ist surreal!" (wahlweise: "Wie witzig!" oder "Wie originell!"), daß ich die verdrehten Augen kaum noch aus den Höhlen bekam (DAS war mal surrealistisch!). Was, bitteschön, ist am Surrealismus noch originell? Wieso hört man das nicht auf einer Da-Vinci-Ausstellung? Der war doch auch originell.
Sie können mich gerne interpretieren, aber ich bitte doch um close reading und nicht um irgendwelche Psychologisierungen. Sie müssen verstehen, ich liebe die Kunst. Deshalb bedaure ich es, was man ihr antut, sie verwahrt, in Museen steckt - und daß es Leute gibt, die eine unkritische Kirche aus ihr machen (siehe meine Documenta-Anekdote).
Es gab Surrealisten, die dem feisten Bürgertum ("Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut", Jakob van Hoddis) am liebsten in den offenen Mund gepinkelt hätten, mit dem sie nun in den Museen vor den Bildern stehen. (Außer der Dalí, der wußte rechtzeitig ein Geschäft daraus zu machen.)
[Nachtrag: Und zur Ehrenrettung Batailles möchte ich mal seine herausragende philologische Arbeit erwähnen. Es bleibt sein Verdienst, eine Vielzahl von verschollenen romanistischen Texten wieder erschlossen zu haben.]
Edit: jetzt hab ich es, da ist mir wieder diese sonderliche Distanz, das mächtig großväterliche ... ne, nichts gegen die Altersweisheit, aber deren sterile Perspektive, hah hah, Heidegger würde pathologisieren, ihr Sein zum Tode, die sollte einem doch auch als Narretei plausibel sein. Eben die des Alters, statt eine der Jugend. Beides hat seine Bedeutung, seinen Charme und Wahrheit.
Langsam glaube ich wirklich, daß Sie nicht genau lesen, sondern etwas projizieren. Genau gegen diese "sterile Perspektive" wendet sich doch mein Text! Gegen die Rezeption der (ehemaligen) Avantgarde als Karneval der zahmen Beliebigkeit. Kunst muß weh tun. Punkt.
[Nachtrag zum Nachtrag: Darüber hat sich Breton doch schon mit den eigenen Genossen zerstritten. Obwohl es ernstzunehmende Leute gibt, die behaupten, statt Artaud hätte man besser ihn wegsperren sollen. Ubu und aus.]
Laßt die Bären los! ;-)
Aber noch einmal für hinter die Ohren *zwinkertunruhig*: Vorwürfe wie die der nicht genauen Lektüre oder des Abarbeitens irgendwelcher Fixierungen sind immer großväterlich und hier beissen sie sich selbst, nicht mich. Ich spreche ihnen keine Ambitionen und Intentionen ab, erkenne ihnen auch die nachgereichten Gebrauchsanweisungen an, und danke artig dafür. Ich behaupte auch kein Lektüremonopol. Aber: was ich lese und belege, ist mir nicht aus den Ohren gewachsen, sondern aus ihrem Gang durch eine Ausstellung. Ich sehe doch, was sie mir mitteilen wollen, dass sie die anderen Besucher, die Rezipienten auch, zum nachträglichen Tanz geladen. Aber sie haben mehr unternommen und auf dieses "mehr" habe ich mich bezogen. Nun kassieren sie es im Nachhinein wieder bzw. sagen, das sei meine Fixierung, nicht ihre. Das ist in meinen Ausgen etwas wohlfeil, doch wie auch immer: Es nimmt mir auch die Ladung zum Duell. Denn selbstverständlich, und ich rätsele wie man an meinem Gemüt und meiner Haltung so vorbeigehn kann, will ich mich nicht über irgendetwas an ihnen abarbeiten. Geben sie Acht, was sie schreiben, dann geben sie dem Leser auch Gelegenheit nur das zu lesen, was sie ihm haben mitteilen wollen.
Nach dieser Handreichung dessen, was ich selbst mir dachte, noch einmal der Absatz worauf ich mich beziehe und den man ohne viel Phantasie so lesen kann, wie ich es getan habe, da mag der Dichter uns sagen wollen, was immer er wollte:
" Ich wühlte mich auf der Uni durch Freud, Breton, de Sade, Éluard, Artaud und Bataille, verwarf aber bald diese immer gleichen Fixierungen im Analen, Genitalen, Surrealen. In spätpubertären Jahren findet man das natürlich toll, dieses Revolutionäre, Ach-so-Wahnwitzige und Befreiende. Bis man lernt, das eigentlich ein "angeblich" vor diese Begriffe gehört. Dieser Kampf gegen "bürgerliche Werte" - das Spießertum also - wurde getragen von Bürgersöhnen (und -töchtern), die ihre eigenen Obsessionen, ihre eigenen Verklemmtheiten zu Grabe trugen - auch darin den 68ern vergleichbar. 1924 sicher eine wichtige Sache, 1954 ganz bestimmt auch. Aber 1984 kam ich zu dem Schluß, daß man diese Kämpfe nur noch symbolisch, im Rahmen der eigenen Entwicklungsgeschichte nämlich, für sich selbst austragen muß. Surrealismus ist eine Coming-of-Age-Geschichte, ein Erwachsenwerden und Zähmen der eigenen Dämonen. Adoleszente Anarchie, und dann ist aber auch gut, der Rest endet im Späthippietum. "
Und hier schloß meine Invektive an: Nein, der Surrealismus ist mehr, als sie hier behaupten. Mehr als ihre angeblich "immer gleichen Fixierungen im Analen, Genitalen, Surrealen", auf letzters mein Einwurf oben: Wie will man den Surrealisten die Fixierung auf das Surreale vorwerfen? Häh? Die anderen zwei Fixierungen sehe ich auch nicht, und ich kann ihnen jetzt dabei auch mit Breton oder Aragon kommen. Ich erwähnte auch eine Rezeptionstradtion, die weit mehr mit dem Surrealismus anzufangen wusste, und auch dessen revolutionäres Moment fruchtbar machte, ohne dabei zu regredieren. Benjamin und sein drumherum, dass sich bis heute in bestimmten Arbeiten aus den Kreisen kritischer Theorie fortsetzt. Ebenfalls sehr hilfreich, um meine Überlegungen hier nachvollziehn zu können, sind die Arbeiten von Josef Fürnkäs, das Motto: Surrealismus als Erkenntnis. Das ist sie, meine Perspektive, die sich als Abgrenzung an ihre obige Wertung anschloß. Sie scheint mir auch heute, nach der Nacht, noch ok und ich vermute, dass ich sie durch irgendwas verärgert habe, dass sie mir nun zu beweisen suchen, dass sie der bessere Kenner (des Surrealismus und vor allem aber ihrer eigenen Texte :) sind. Das kann ich nicht wirklich beurteilen, aber ihren Gestus schon. Mir scheint, sie sind da mit sich selbst im Streit.
Wenn ich nicht in die Arena will, dann aus dem Grund, dass sie immer wieder einmal auf renitente Leser reagieren, und ich noch nicht abschätzen kann, wo das anfängt und wo das aufhört. Ich versuche zu signalisieren, dass ich zwar meinen eigenen Kopf auf den Schultern habe und auch ab und an mehr in die Kommentare schreibe als witzige Sentenzen, dass ich aber die Benimmwünsche meines Gastgebers respektiere. Solange ich die noch nicht wirklich genau einschätzen kann, bleibe ich vorsichtig und rotiere nicht mit allem drum und dran in eine Debatte hinein.
Es tut mir leid, dass ich es ihnen gerade anscheinend in keiner Hinsicht Recht machen kann. Aber da kann man nichts machen, weder der Großvater, noch der Enkel *g*. Kunst muss weh tun? Das gilt gewiss für viele Anstrengungen der Gegenwart, manchmal wohl auch für Lektüren, Rezeptionen und Re-Rezeptionen. Dass es übrigens nicht bloß witzige Sentenzen werden, wenn ich zu- und mitschreibe, ist schon einer gewissen Fixierung geschuldet: nämlich der Freude, solche Auseinandersetzungen, wie sie auch immer gestempelt sind, in der Blogosphäre überhaupt anzutreffen.
Es ist mir entschieden zu bequem mit Leselisten zu argumentieren, wie Sie es tun. "Ich beziehe mich auf XY", lesen Sie mal blabla - diese Art des herablassenden Namedroppings ist mir zu wohlfeil, Herr Sonrisa. Mir ist es immer lieber, die Leute sagen, was sie zu sagen haben und verschanzen sich nicht hinter den intellektuellen Kickstartern dieser Welt.
Meine Namensliste, die Sie da noch mal zitieren, ist für jeden halbwegs Gescheiten als wahllos zu erkennen. Diese Geste und das mit großer Handbewegung abkanzelnde, das Pathetische auch, ist das, wofür mein kleines Blog steht. Schließlich schreibe ich nicht für Frankfurter oder süddeutsche Kulturzentralorgane. (Zum Thema Benjamin reiche ich Ihnen aber mal einen hübschen Link aus der SZ nach, über den "Kitsch" der Intellektuellen.)
Sehen Sie, wie öfter erwähnt, bewege ich mich dort eben nicht auf terra firma. Ich habe viel gelesen, vieles aber eben nur kursorisch und davon auch nicht alles begriffen. Ich bin kein Intellektueller und habe, wenn überhaupt, nur ein Dogma: Kill your Idols.
Wie es in der UPS-Werbung heißt "ach, ein Studierter? Na dann muß ich es erklären", hier also noch mal: Ob Benjamin, ob Surreal- oder ein anderer -Ismus: Stell es ins Museum, und es ist tot. Bete es an, und es wird zum Götzen.
Der längliche Absatz, den Sie so genüßlich zitieren, sagt doch nur eins: Es gibt Phasen, und zwar sowohl (kunst-)historisch also auch in der persönlichen Entwicklungsgeschichte eines jeden, die sollte man durchmachen - und überwinden und abschließen. Das können Sie "großväterlich" nennen, meinetwegen. Das Leben in der perpetuierten Revolte fände ich merkwürdig - das macht Großvater Jagger, wenn er "Streetfighting Man" singt. (Ich sehe es ihm aber im gewissen Maße nach.) Die Stones haben viel Quatsch gemacht. Die Surrealisten auch. Und, nicht zu vergessen, ich auch. Und alle können einem ganz schön auf die Nerven gehen. (Sie übrigens auch ;-))
Sie eiern etwas um meinen eigentlichen Ansatz herum (das Problem der Rezeption und Kanonisierung einstmals revolutionäre Haltungen) und hängen sich an etwas anderem auf. Das macht freilich nichts, das ist legitim.
Und ja, ich reagiere auf "renitente Leser". Leben in der Bude ist doch das, worüber sich die alten Herrschaften freuen. ;-)
Ob sich da wirklich noch die Frage stellt, wer sich von wem bepinkelt fühlt. Na wie dem auch sei, ich habe es versucht, mehr ist nicht. Rechthaberei ist nicht mein Abenteuer.
@Sonrisa: Rechthaberei ist nicht mein Abenteuer. Haha. Viel wäre geholfen, würden Sie einfach mal beim Text bleiben. Sollten Sie die Ausstellung besuchen, wünsche ich Ihnen viel Vergnügen. Die ist wirklich schön.
(Alberner Assoziationismus, typisch 21. Jahrhundert.)
Das ist übrigens das Schöne an der Postmoderne, sozusagen der Surrealismus des kleinen Mannes. Ich als dadistischer Eklektiker fühle mich da pudelwohl.
Obwohl, das waren eh nur Schnösel damals ;-)
Sie und ich haben den Effekt ja ein wenig auf der Otto-Mühl-Ausstellung erlebt. Das Ermüdende der ewig gleichen pubertären Genitalgemälde auch ;-)
Herr/Frau Liederjahn: Unsere Zeit teilen Herr Sonrisa und ich schon selbst ein, da sind wir ganz unbefangen. Sollten Sie auch etwas Konstruktives beizutragen haben, gerne. Popcorn und Cola sind vorne links.
(Ich bin bald geneigt, meine Meinung über die Surrealisten und seine Anhänger zu revidieren. Da scheint doch mehr Saft drin zu sein, als ich angesichts allgegenwärtig brennender Giraffen in Postershops vermutet hätte. Sehr schön.)
Ohne Frage, ein Ligeti tut weh - als ich ihn zum ersten Mal hörte, wusste ich rein gar nichts über ihn, außer dass er der Lieblingskomponist des zerrissenen jungen Mannes neben mir war, der mir die Aufnahme vorspielte. Bereits nach wenigen Takten stiegen Bilder von Konzentrationslagern in mir hoch, wohl kein Zufall. Und doch berührt mich der Humor eines Riemann oder Cage genauso sehr.
Ehrlich gesagt würde ich auch jederzeit eine komplette Lulu-Aufführung gegen Alcinas Arie "Mi restano le lagrime" oder Ruggieros "Verdi prati" eintauschen. Was Händel mir da über Eros, Vergänglichkeit und Sehnsucht sagt, ist mir nicht neu, aber Himmel, wie er es sagt, ergreift mich jedesmal wieder, geht mir unter die Haut, lässt mich nicht los.
Tut ein Lesser Ury heut noch weh, ein Turner gar? Uns, die wir schon so viel gesehen haben?
An vielen ihrer Bilder kann ich mich satt sehen, wohingegen mich so manches, was ich auf der Dokumenta sah, kalt ließ. Das liegt teilweise daran, dass ich manchmal nicht verstand, auf was es Bezug nimmt, und ich auch nicht immer willens bin, mir erst drei Seiten Katalog durchzulesen, um mir den Kontext zu erschließen. Bei anderen Werken wiederum wurde ich das Gefühl nicht los, dass schon bei der Erschaffung nach dem Museum geschielt wurde.
Und obwohl mir vollkommen klar ist, was Sie meinen, Herr Kid, und ich mit vielem d'accord bin, bin ich trotz allem froh um jedes Museum. Denn so viele Leute kenne ich auch nicht, die bei sich zu Hause Cézannes herumhängen haben. ;-)
Die letzte documenta war sehr kopflastig, das hat mich ein wenig ermüdet. Es gab ganz wunderbare Sachen zu sehen, von Shirin Neshat z.B. Auch die geruchsintensiven Installationen (waren Sie in diem Kaffee-Raum?) gehörten zu den wenigen wirklich sinnlichen Ausnahmen. Wie immer auf solchen Ereignissen war zu wenig Haptisches dabei - als ich die eingemauerten Buchrücken berührte (die nach Schluß der documenta sowie abgerissen werden), gab es prompt Ärger.
Das Museum als Wunderkammer, als Archiv steht für mich keinesfalls zur Debatte. Anders ist es gar nicht möglich, sich Kunst (zumal, wenn es didaktisch gut aufbereitet ist) überhaupt zu erschließen. Vieles wird ja auch überhaupt erst Kunst, wenn es in Museen oder Galerien steht (Duchamps "Urinal" und andere Readymades nahmen das ja schon früh aufs Korn.) Neulich hörte ich die Anekdote, wie Brian Eno dieses "Urinal" (bzw. eine der kursierenden "Original"-Repliken) auf einer Londoner Ausstellung seiner Bestimmung zuführte. So sollte es sein - meine ich. Kunst soll leben.
Als in einer dadaistischen Geste der "Mona Lisa" ein Schnurrbart gemalt wurde, war das den Zeitgenossen ein Skandal. Heute schmunzelt man bestenfalls - oder nimmt es achselzuckend zur Kenntnis. An vieles hat man sich gewöhnt.
Hinter dieser Gewöhnung steckt ein Überfluß, aber auch ein Mangel, an Reizung. Reizung, Reibung - in der Kunst, wie in der Sexualität, muß aber sein. Etwas Neues entdecken, sich immer wieder Einlassen. Ich denke, bei "guten" Sachen funktioniert das auch - so wie man ein "gutes" Stück Musik sofort erkennt.
Der Bewertungsmaßstab dafür mag individuell sein. Jeder soll sich an dem delektieren, was ihn pläsiert. Tatsache ist, da draußen lauert eine Menge Schrott. Und auch der wird eilfertig beklatscht, solange er nur im Museum steht.
Die letzte Dokumenta, auf der ich war, war die X. Und da habe ich mich teilweise ganz fürchterlich geödet. Während alle anderen in Verzückung gerieten oder das zumindest vorgaben.
Wie gesagt, ich stimme mit Ihnen überein. Medusenhäupter, die wie von Ihnen beschrieben "wie originell" quietschen, wecken in mir die schiere Lästerlust.
Die eingangs erwähnte Aussellung ist wirklich nicht schlecht, allein die vielen Originalprints und Bücher sind in der Form so schnell nicht an einem Platz zu finden.
Aber diese WARNSCHILDER!
Kurz überlegte ich, wie es wäre, würde man den Vernissage-Gästen den Besuch solcher Ausstellungen nur sans Unterbekleidung erlauben (ich gab den Gedanken sehr, sehr schnell auf).
Ich dachte: Erst provoziert die Kunst - nun provozieren wir zurück, yeah!
(Aber man soll sich nicht gegen pubertäre Revolte wenden und dann selbst solches fordern. Andererseits, und wenn schon ;-))
Nun denn: die Kunstkarawane zieht weiter, saugt auf, vergißt und trifft sich morgen bei "Die Brücke" oder "Dürer" wieder. Und am Ende landen wir alle völlig zu recht wie ein Regenschirm oder eine Nähmaschine auf dem Seziertisch.
@Arboretum: Nee, Cézannes haben die auch. Und Hoppers. (Ich sammel aus finanzieller Not heraus ja nur unbekannte Künstler. Das soll mein Rentenfonds sein.)