Like A Giant

Ain't singing for Pepsi/
Ain't singing for Coke/
I don't sing for nobody/
Makes me look like a joke

(Neil Young, "This Note Is For You")

Ist natürlich schon mehrere Leben her. Aber manchmal muß ich ja immer noch lachen wegen diesem empört hervorgestossenem "Ich bin hier der Klaus Kinski!", wo ich so dachte, wenn du der Klaus Kinski bist, dann bin ich aber Neil Young, und hier, This Note Is For You. Hier verlaufen unsere kulturellen Demarkationslinien. Das ist wirklich schon lange her (mein Elefantengedächtnis aber!) und die Grenzen natürlich neu gezogen. Längst. Seither hat auch der Herr Young, unbeeindruckt von Wind, Wellen und Publikumswünschen wie es scheint, eine Menge musikalisches Geröll bewegt. Vielleicht der letzte große Blogger Stoiker, der ja von sich auch behauptet, Alben in erster Linie für sich zu machen. Ratet, aber ich finde das gut.



Jetzt hatte er also seinen Landpflug in den Bühnenboden einer Hamburger Halle geschlagen, ein alter Mann, mehrfach schwer erkrankt, aber immer noch aufrechter Baum mit ordentlich Rinde. Und wenn der das auf der Bühne kann, kann ich es wenigstens von der Seitenlinie aus, dachte ich mit meiner schüchternen Rinde und fand das auch gut. Nach dem Intro mit "A Day In The Life" spielte er die Nationalhymne vom Band. Und zwar die deutsche, Helm Hut ab, Hand aufs goldene Herz und Pfiffe überstanden.

Dann aber ran an die die landwirtschaftlichen Maschinen, mit "Love And Only Love" rumpelt das berühmte rollende Grummeln von Crazy Horse aus der riesigen Lautsprecherkulisse. Der Band wirft man vor, auch nicht mehr zu können, als stur geradeauszufahren, alten Dampflokomotiven gleich. Aber das ist ja auch schon eine Leistung. Es folgen Klassiker und neue Hits, "Powderfinger", Heart Of Gold, dazwischen das phantastische, trotzig-melancholische "Walk Like A Giant" in einer Langversion, die in eine zehnminütige Feedback-Attacke mündet. Zeit für einen Austritt des kleinen Herrn Kid, der sich dazu in seiner Sitzreihe leider an einem etwas verkrampften Jünger des Herrn (Young-Jünger!) vorbeischieben muß. Das wird unwirsch kommentiert, weil doch der Neil grad die frequenzzerstäubende Messe liest. Ich les' dir auch gleich die Messe, aber in deinen Schoß Ich denke mir was, verschwinde kurz und kann berichten: Vom Klo der 02-World hört sich das Rückkopplungsgegrunze von Crazy Horse beinahe an wie der Maschinensturm der Einstürzenden Neubauten. Gigantisch.

Leider gab es auch im Wind verwehte Lagerfeuerlieder und Kitschattacken mit Abschlussklassen-Schulaufführung (junge Dame schleppt einsam nachdenklich Gitarrenkoffer über die Bühne, dazu "Singer Without A Song". Wir denken: Neil Young - das Musical). Falls jemand das nächste Konzert besuchen möchte und die erste Toilettenpause verpaßt hat, wäre das eine Gelegenheit. Neil Youngs Blase aber hält, der hat Kürbisfelder hinterm Haus. Unverdrossen ochst er sich durchs Programm, jetzt selbst so groß wie die Lautsprechertürme: "Cinnamon Girl", "Fucking Up" und schließlich "Hey Hey, My My". Anders als in Berlin spielte er zur Zugabe aber nur zwei Kommt-gut-nach-Hause-Stücke, was imerhin den Kalauer ermöglichte, "He, der hat gar nicht "Rock Me Like A Hurricane" gespielt".

Raus in die Nacht, milde Luft und feuchte Hände. Draußen spielt einer "Rocking In The Free World". Immer geht irgendwas zu Ende. "And every morning comes the sun".

>>> Geräusch des Tages: Neil Young, Walk Like A Giant

Radau | 18:37h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
nnier - Mittwoch, 5. Juni 2013, 22:41
Sie gehen also auch in die ganz großen finnischen Clubs! Den alten Herrn Young kann ich einreihen in die noch zu erforschenden Großmeister; mir schenkte mal jemand eine großformatige Übersichtsbox zum Thema CSNY in wechselnden Kombinationen, das klang alles ganz interessant und definitiv amerikanisch, liegt dann aber doch nur rum. Dass er auch das schöne britische Lied manchmal singt, wusste ich ja schon von Frau Hegemann: Ein Konzert damit zu eröffnen ist aber noch mal eine ganz besondere Idee.

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maphisti - Mittwoch, 5. Juni 2013, 23:15
"Old Laughing Lady"
Fantastisch, wie Sie dem Klangwerk des jolly good fellow nur rein durch den Wechsel Ihrer Sitzposition, also Verfremdung, frischen Atem einzuhauchen vermögen!

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kid37 - Freitag, 7. Juni 2013, 13:14
Es gibt doch seit zwei, drei Jahren ein ganz hilfreiches, vom Meister zusammengestelltes Greatest Hits Album. Wird jetzt auch schon verramscht und gehört daher in jeden Schrank. In den 80ern/90ern gab es ja ein paar Alben, die er nur machte, um seine Plattenfirma zu ärgern. Da muß man ein bißchen aufpassen. Aber sonst: alle gut.

Ob die Axolotl-Agamben-Frau sein Outfit gut gefunden hätte? ich behaupte mal, er wäre damit auch ins Berghain gekommen.

Frau Maphisti, das war eine ganz erstaunliche, wie sagt man, experience. Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen, aber ich sah quasi die Sonne in einem langen, goldenen Strahl, eingehüllt in das psychedelische Krachgerumpel eines rock'n'roll-modernen Frühlingserwachens.

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maphisti - Montag, 10. Juni 2013, 04:54
Also so eine Art säkulares Wieder-Erweckungserlebnis (?).

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kid37 - Montag, 10. Juni 2013, 12:27
Camille Paglia nennt es den Bogen der Transzendenz. Also bei Männern. Frauen sind da anatomisch etwas im Nachteil.

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kreuzbube - Donnerstag, 6. Juni 2013, 18:58
Unbedingt anhören: Cassandra Wilsons Coverversion von "Harvest Moon". Schöner geht's nicht und die Welt könnte nicht mehr in Ordnung sein in der Dämmerung eines heißen Augusttages.

Ah, hier:

http://www.youtube.com/watch?v=3oJDd6QPmXs

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gaga - Donnerstag, 6. Juni 2013, 22:42
ja, da gebe ich dem Kreuzbuben recht. Vielleicht die schönste Coverversion der Musikgeschichte überhaupt. Und ich bin da streng.

Ganz schön bunt, das Bühnenbild. Er ist halt doch ein altes Blumenkind, unser Gigant.

Ich habe ihn zuletzt 2008 in der Zitadelle Spandau bei einem Open air gesehen. Da waren auch so sehr kindliche Features dabei, wie eine live bepinselte Leinwand. Ich denke, das hat irgendwas mit der Schule zu tun, der Bridge School für mehrfach behinderte Kinder, die er mit seiner Frau Pegi nach der Geburt seiner beiden (schwer) behinderten Kinder gegründet hat. Das muss eine große Rolle in beider Leben spielen. Daher weht glaube ich ein bißchen der Wind bei einigen Bühnen- bzw. dramaturgischen Elementen.

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maphisti - Freitag, 7. Juni 2013, 00:24
wirklich sehr sinnlich, aber das Original beeindruckt mich noch mehr, man erinnert sich ...

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kid37 - Freitag, 7. Juni 2013, 13:08
A ja, die Bridge School. Da könnte in der Tat eine Nähe zu solchen liebgemeinten Inszenierungen kommen. Es irritierte jedenfalls sehr, zumal sich der Rest der Show im tradierten "Rust Never Sleeps"-Rahmen hielt (riesige Verstärker, auf der Bühen diskutierendes Bühnenpersonal in weißen Medizinerkitteln). Schönm daß auch mal so gesehen zu haben.

Vielen dank, Herr Kreuzbube. Die Wilson-Version ist wirklich sehr hübsch. Allerdings ziehe auch ich das Original vor, da sind noch so ein paar Brüche drin.

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thingonaspring - Freitag, 7. Juni 2013, 23:05
Im Stadtpark und in der großen Freiheit, muss schon lange her sein, da war nicht viel Schnickschnack. Drei Leute auf der Bühne, knapp drei Stunden gespielt. Aber der olle Neil verhält sich wie ein zickiger Rotwein aus dem Franzosenland: Kann gut sein, muss aber nicht. Legende sind sie alle.

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gaga - Samstag, 8. Juni 2013, 03:58
Für mich sind das eigentlich zwei komplett verschiedene, eigenständige Lieder, obwohl ich den irreführenden Begriff Coverversion benutzt habe. Na gut, der Text ist sehr ähnlich, um nicht zu sagen identisch, und die Melodie weist auch auffallende Übereinstimmungen auf, aber alles andere? Ich finde beide am Besten. Die Birkinsche kenn ich nicht. Sie ist ja nun nicht die größte Sängerin unter der Sonne, aber man soll nicht vor-urteilen. Ich checke das!

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kid37 - Montag, 10. Juni 2013, 12:28
Dylan und Young im Stadtpark? Wow. Und dann war da vermutlich auch noch der Sound besser, da haben diese Hallendosen ja große Nachteile.

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dosron - Freitag, 7. Juni 2013, 19:01
Von Jane Birkin gibt es auch eine schöne Version.

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gaga - Samstag, 8. Juni 2013, 04:09
Aha. Klingt mehr so schiebermäßig gemütlich, das Arrangement hinter ihrer hauchenden Stimme.

Wie auch immer - Jane ist prinzipiell schon auch cool und hat ihre eigene ikonographische Qualität, wenn auch nicht die ultimative Jahrhundertinterpretin.

Man kann sehr vieles nebeneinander gelten lassen, wenn es nicht der absolute Scheißdreck ist. Hitparade ist so Siebziger.

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maphisti - Montag, 10. Juni 2013, 04:37
Manches klingt schon etwas leicht versiebt. Man ist schon eben mindestens sieben Brücken weiter.

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kid37 - Montag, 10. Juni 2013, 12:30
Wie sagt man? Interessant. Die Birkin dürfte bei mir auch singen. Und letztlich zeigt sich, so richtig totzukriegen ist der Song nicht.

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maphisti - Montag, 10. Juni 2013, 19:49
Sexualität und Tod, um das dreht sich doch alles. Früher kam ja noch Hunger dazu ( hat sich aber dönermäßig erledigt).

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maphisti - Dienstag, 11. Juni 2013, 00:45
Kann man das so sagen, Herr Kid?

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gaga - Dienstag, 11. Juni 2013, 01:31
"Fragen Sie Dr. Lovekid."

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maphisti - Dienstag, 11. Juni 2013, 03:20
Herzlichen Dank für Ihren freundlichen Hinweis! Ich glaube, dass ich diesem Disput im Moment leider nicht mehr gewachsen bin ( befürchte gewisse Träume!). Morgen werde ich mich mit ganzer Kraft der Aufgabe stellen!

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gaga - Dienstag, 11. Juni 2013, 03:55
Gern geschehen.

(Sie werden sehen, das bringt Sie wirklich weiter!)

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