Blog auf Lunge

In meiner Zeit als Trash-Art-Filmer reüssierte ich mit Werken wie Die Melancholie der zarten Kannibalin, in stelzenhafter Eleganz ausdeklamierte philosophische Selbstbespiegelungen (entlarvender dann nur noch in meinem zweiten Film Bauchnabel der Bohème) mit grobkörnigem Sex und falschfarbenen Splatterszenen. Das kam im Uni-Filmclub vor anderen verklemmten Studenten und auf sogenannten Schalbierpartys zwischen welken Erdnußflips und abgestandenem Haarspray gut an. Wir haben sowieso viel gelacht.

Es war so die Zeit. Große Kunst, großes Leid, dann noch mehr Stuß und ein Spritzer Verachtung. Trümmerliteratur der Post-Boom-Jahre, zusammengedacht in schlecht gelüfteten Räumen, unbeheizten Kellerateliers, die möbliert waren mit alten Fischkonservendosen, die nun als Aschenbecher dienten. Manchmal waren auch Mädchen da, damals, als man noch nach Blättchen fragte. Aber nicht so oft, wie heute getan wird von Pete oder Mike oder Tom oder wie die damals so hießen.

So alle. Anders als heute war das Leben noch nicht ständig rot unterkringelt, das war alles noch sehr richtig dekliniert und wenn nicht, dann fiel das keinem auf. Die Kannibalin zum Beispiel. Ich sagte "Geh mal von links nach rechts" oder "Schau mal melancholisch aus dem Fenster", während ihr wegen der Scheinwerfer überdick aufgetragenes Make-up eben auch wegen der Scheinwerfer zu einem schwarzen Schlotz zerlief. eine zarte Kannibalin unter 2 mal 1000-Watt-Halogen. Das war dann schon auch Arbeit. Das war nicht nur einfach so. Gar nicht einfach so.

Projektor | 17:02h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
nnier - Dienstag, 23. Oktober 2012, 20:59
Nicht nur einfach so.
Das merkt man bis heute, wenn ich das mal so direkt ausdrücken darf.

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fabe - Dienstag, 23. Oktober 2012, 22:36
1.) mein lieblingskeller gibt es noch aber man hat ihn zugemauert. da müssen die koncerte jetzt oberirdisch und pünktlich und leiser sein.

2.) ich habe neulich ein gerät in betrieb genommen, mit dem vhs direkt digitalisiert werden kann vom videorecorder. allerdings habe ich nie solche filme gemacht wie beschrieben, höchstens vielleicht mal die schreibtischlampe mit dem hochwattigen reflektor drin gehalten.

3.)

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zy - Mittwoch, 24. Oktober 2012, 00:03
I remember the stories of the Post-War-Literatur, glasglockenmäßig. Hat mir gefallen mal, gar nicht mehr so, gar nicht so.

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kid37 - Mittwoch, 24. Oktober 2012, 01:19
Der Arbeiter arbeitet, Herr Nnier. Entgraten dann in späteren Editionen yeah.
@Fabe: Ein gedanken- und erlebnisgefüllter, zugemauerter Keller? Das ist Sarkophag an Ideen. Wenn man den 2037 öffnet, gibt es eine Sensation. (Ich schaffe es noch nicht mal, alte Vier-Spur-Analogaufnahmen zu digitalisieren. Schade eigentlich. Was wurde nur aus dem Kontigent an Zeit...)

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novesia - Mittwoch, 24. Oktober 2012, 12:28
Man stelle sich vor. In 10 Jahren oder so kann man alte Blogs gar nicht mehr lesen, weil der ganze metaaugmented-vom-Braininterface-reingetane Hyperhypertext aus Neuronenblitzgewitter fehlt.
Und die Hipstermanic-Filter wurden eh alle von einer höheren Maschinenintelligenz (also höher als die humane) aus Bildern rauskorrigiert.

Wie kamen Sie auf ausgerechnet auf eine Kannibalin? (Später werden wir bestimmt auch automatische Psychodeutung haben und all sowas.)

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kid37 - Donnerstag, 25. Oktober 2012, 16:39
Das Internet darf kein blogfreier Raum sein!
So wie junge Leute keinen Stadtplan mehr kennen (bediene kann ich ihn auch nicht mehr so gut wie früher). Die Kulturtechnik Blog stirbt ja bereits, ehe sie voll erblühte. Ich aber werde mich dagegenstemmen, auch gegen die Maschinenintelligenz. (Gibt es nicht bereits so eine Anti-Hipstamatic-App?)

Schlingensief hatte die Kettensägen schon benutzt, da blieb nur eine Kannibalin übrig. Eine Frau mit verzehrendem Wesen, die sich ihrer Existenz und ihrem So-sein bewußt wird, hineingestoßen in eine ablehnende Welt (damals galten Kannibalen noch nicht als "krass cool"), die sie mit ihrer eigenen Begrenztheit nicht auszufüllen vermag. In der Dichotomie eines gefälligen Widerstrebens und nicht zu vergesellschaftenden inneren und äußeren Widerstands und höchst aversiven Charakters... usw. usf. (Filmförderung hat abgelehnt)

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ana - Mittwoch, 24. Oktober 2012, 20:37
"Stelzenhafte Eleganz" mit ganz viel Taxidermie gab es am Wochenende bei der langen Perfomance von Mirel & Cizek in der Galerie in der Promenade. Hier die Website der beiden. http://www.cube.fr/mirel-et-cizek.php

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kid37 - Donnerstag, 25. Oktober 2012, 16:42
Das gefällt mir gut, das Duo kenne ich gar nicht. Rogue Taxidermy hat hierzulande ja einen schweren Stand. Ich muß mir deren Seite noch genauer anschauen, danke für den Link.

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ichichich - Donnerstag, 25. Oktober 2012, 12:21
Das rot unterkringelte Leben, da sagen Sie was. Und natürlich gibt es auch dafür das passende T-Shirt.

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kid37 - Donnerstag, 25. Oktober 2012, 16:43
Zähne fallen aus, die Verzagung nimmt zu. Hübsches Hemd, könnte hier Dienstkleidung werden.

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zy - Freitag, 26. Oktober 2012, 01:27
Une version du billet un peu exaltée, n'est-ce pas? Written by Lunge? Pourquoi? Don't forget your heart! Pochpoch!

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kid37 - Sonntag, 28. Oktober 2012, 03:18
Pochpochpoch.

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g. - Freitag, 26. Oktober 2012, 07:41
Hach ist das ein schöner Text (wenn ich jetze altersmilde sage, kriege ich ein paar auf die Ohren?) zumal man ihn auch als Kommentar zu manchen aktuelleren Diskussionen lesen kann. Wie sagen Sie doch so schön: „Anders als heute war das Leben noch nicht ständig rot unterkringelt“

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zy - Samstag, 27. Oktober 2012, 01:38
No ideas any more? Quel dommage!

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kid37 - Sonntag, 28. Oktober 2012, 03:19
Als hätten Sie's geahnt, Herr G.

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