Ach, schon wieder keine Bio-Zitronen

In meinem letzten Roman Ach, schon wieder keine Bio-Zitronen schreibe ich mit einem gewissen augenzwinkerndem Witz über das Großstadtleben eines engagiert denkenden, aber weitgehend handlungsverzögert lebenden jungen Mannes. Na gut,er ist schon ein klein wenig älter als jung. Also, der Roman ist autobiografisch.

Damals im Studium hatte ich eine Reihe obskurer Nebenjobs. Einer davon war Himmelsschreiber. Natürlich besaß ich damals keinen Flugschein, aber glücklicherweise war auch ein Pilot an Bord. Ich saß zusammengekauert hinter ihm und hielt den Kontrollknopf für die Düse, mit der wurde ein spezielles Öl in den Auspuff gespritzt und so dieser weiße Rauch erzeugt. So brummten wir für ein paar Markfuffzig über der Stadt und malten Botschaften in den Himmel. "Fliesen Müller hat jede Fliese" zum Beispiel oder "Jana, komm zurück!", manchmal auch einfach ein großes Herz (mit Pfeil durch kostete extra, das war technisch nicht so einfach, man macht sich da als Laie oft falsche Vorstellungen). Der Pilot war nicht nur Herrscher der Lüfte, sondern auch ein echter Spaßvogel. Gerne ruckelte er mal, ließ die kleine Maschine mittendrin absacken, während ich versuchte, ein Porträt zu malen oder Schalke 04, woraus dann 05 oder einfach kurz BVB wurde, wenn es mal schnell gehen mußte. Fragt ja anschließend keiner nach. Und wenn ich ansetzte, Himmel zu schreiben, flog er garantiert eine P-Runde. P wie Pilotenhumor. Wir haben viel gezankt an Bord. Mitunter aber auch gelacht.

Heute sind die Probleme im Leben natürlich nicht einfach weg, sie sind bloß anders. Ach, schon wieder keine Bio-Zitronen ist zum Klageruf einer Generation geworden. Schon wieder kein Titel! ruft der Fußballfan, schon wieder leere Regale im Emotions-HO. Mißmut wickelt sich ums Salatbesteck, denn je steiler die Vorstellung vom prima Leben sich am Erwartungshimmel skizziert, desto härter empfindet man die haltegurtlose Turbulenz als Vorbote einer fatalen Bruchlandung. Wäre er doch kräftiger gebaut, klagt es, (oder sie doch etwas weniger), wäre mein Grau doch das neue Schwarz und das Hipstergetränk meiner scheinbaren Wahl nicht immer gerade aus - Leben würd' ich es nennen (2. Buch Verstrahlungen, Vers 17). So aber droht Schicksal: immer sitzt man im falschen Restaurant, am falschen Tisch, bei der falschen Bedienung, stehen die Möbel nicht richtig, sitzen die Schuhe nicht richtig, tickt der Partner nicht richtig, hat man den schönen Platz im Theater nicht bekommen, den schönen Film nicht gesehen, die schöne Zeit so doof vertan. So die Gesänge, so die Klage, so das Unzufriedene. "Ach, schon wieder keine Bio-Zitronen", entfuhr es mir kläglich, die Karaffe mit Wasser in der Hand. Minze werde ich nehmen müssen, aber was, so ein Wehlaut, wird das dann für ein Leben sein?

Homestory | 13:11h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
zy - Donnerstag, 23. August 2012, 23:01
May be even today the gift of sky-writing in a very fanciful kind is at your side

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kid37 - Freitag, 24. August 2012, 12:27
Herzchen kann ich noch malen. Etwas zittrig nach wie vor, aber geht.

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gaga - Freitag, 24. August 2012, 00:07
Mißmut wickelt sich ums Salatbesteck wäre auch ein aparter Buchtitel.

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kid37 - Freitag, 24. August 2012, 12:28
Kommt auf die Liste, vielleicht die Fortsetzung ("Generation Mißmut").

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jean stubenzweig - Freitag, 24. August 2012, 15:22
Gelacht
«Mitunter»? Na gut, geschmunzelt. Das aber viel! Immer noch. Danke.

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kid37 - Freitag, 24. August 2012, 23:35
Ist halt ein bißchen Zitrone dran ;-)

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ana - Freitag, 24. August 2012, 18:33
Wirklich ärgerlich, wenn man sich über Nebensächliches ärgert. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich mich über mich selber ärgerte, weil ich mich ärgerte, dass wegen eines die Nicht-Bio-Eier betreffenden Dioxin-Skandals im Bioladen ständig, wenn ich kam, die Eier ausverkauft waren, obwohl ich lediglich keinen Kuchen backen konnte, was sicher kein guter Grund war, sich zu ärgern. Aber wir sind eben mit Angeboten verwöhnt und kennen für gewöhnlich keine Engpässe, dass so ein ungewohnter eben doch zu einem kleinen ärgerlichen Ärger führt.

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kid37 - Freitag, 24. August 2012, 23:40
Das Wort "Nebensächlichkeiten" trifft es genau. Viele differenzieren sich immer weiter in Nebensächlichkeiten aus, mir selbst ist das auch nicht fremd. Restaurantbesitzer Luigi, der ausgerechnet heute! geschlossen hat, die spezielle handpürierte Pestomarke, die ausgerechnet heute! ausverkauft ist, der Tätowierer, der den falschen Namen ins Herz geschrie.... ok, manche Sachen sind natürlich auch ernst.

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schneckle - Freitag, 24. August 2012, 23:58
Ach, schon wieder ein Text, für den man Sie drücken möchte.

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kid37 - Sonntag, 26. August 2012, 02:47
Aber nicht so fest, ich bin noch ein wenig wacklig.

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carodame - Samstag, 25. August 2012, 00:46
Allerfeinst. Wie aus dem Schreiberhimmel.
Schöne Zeit gut verbracht.
Im Emotions- HO !!!
Mißmut kann so kostbar sein.

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kid37 - Sonntag, 26. August 2012, 02:48
Eben. Besser auf Vorrat anlegen.

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ladys smock - Samstag, 25. August 2012, 02:23
Tanzen Sie auch um Regenwolken?
Ein bisschen Erfrischung hier wäre gut (also IMMER dieser blaue Himmel, also echt jetzt..)

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kid37 - Sonntag, 26. August 2012, 02:50
Hier hat es schon richtig was gebracht. Von 37 auf knapp 20 Grad runter, das macht mir so schnell keiner nach. Aber wie komme ich jetzt nach Wien?

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ladys smock - Sonntag, 26. August 2012, 12:53
Fernheilung.
Mein Gott, Sie haben es vollbracht!

(also, jetzt kann dieser Regen auch mal wieder aufhören, also echt jetzt..)


((und da soll einer Frauen noch verstehen?))

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kid37 - Sonntag, 26. August 2012, 13:12
Ich hätte es mir denken können. Aber doch nicht am Sonntag!

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monnemer - Samstag, 25. August 2012, 12:36
Mit 'Wir leben immer noch' umriss eine Sängerin kürzlich vor über dreißig Jahren scharfsinnig das Grundproblem.

Gibt's keine Bio-Zitronen, bleibt einem wenigstens das Anstehen in der falschen Schlange erspart.

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zy - Samstag, 25. August 2012, 14:03
" Give me that man
That is not passion's slave, and I will wear him
In my heart's core, ay, in my heart of heart,
(...) "

Hamlet, act 3, scene 2, 71 - 73

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kid37 - Sonntag, 26. August 2012, 02:59
Ay, aber so einen leidenschaftslosen Langweiler oder zaudernden Hamlet will doch auch keine Frau. Gibt's keine Bioztronen, dann muß es folglich heißen, no tears for the creatures of the night, tapfer voran und Pfefferminze genommen!

Und Herr Monnemer, was hatte ich heute Glück, biozitronenlos nicht an der Nachbarkasse gestanden zu haben, wo das nervige Nido-Pärchen mit seinem Jahr-alten-Glücksbärchen Possen trieb, ihn auf dem Förderband fahren und Flaschen angeln ließ, zum Erstaunen und Aufhalten Beglücken des ganzen Betriebs. Ein schöner Tag insgesamt.

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mark793 - Sonntag, 26. August 2012, 03:06
Beim Edeka
hier um die Ecke habe ich vorhin übrigens nach Bio-Zitronen geguckt - Fehlanzeige! Das kann doch kein Zufall sein. Bestimmt eine Regierungsverschwörung. Oder Außerirdische.

Wie auch immer, ich griff dann halt nach Bio-Orangen. Man will ja nicht mit leeren Händen nach Hause kommen.

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kid37 - Sonntag, 26. August 2012, 03:12
Eben, da steckt doch was dahinter! Ich mußte mich neulich schon anmaulen lassen, Akte X, das sei doch sooo Neunziger - da wußte ich, ich muß verdammt nah dran an der Wahrheit sein, wenn man mich solchen Tricks zu verunsichern sucht. Ihr Erlebnis bestätigt mich nur, die Wahrheit liegt draußen im Obstregal.

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kid37 - Donnerstag, 6. September 2012, 00:47
Geht schon los:
Search request: bio-zitronen ausverkauft

(Für alle, die meinen, ich würde mir hier notorisch wilde Geschichten ausdenken.)

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