Aus dem Dunkel des Westwerks schält sich eine Woge heraus, strukturierter Lärm für die Sachlichen unter uns, dicht gepacktes Emo-Symphongetöse für die mit einer Erinnerung an hormonell ungezähmtere Zeiten. Zunächst walzen Disappears die deutlich post-punk-beinflußten Lieder ihres dritten Albums von der Bühne, kämpfen mit dem schwer zu kontrollierenden Sound im Westwerk, das eigentlich eine Kunstgalerie und nur nebenher ein Ort für Musik ist. An den Drums Steve Shelley, der Mann kämpft nicht mit dem Sound, der Mann ist der Sound. Vermutlich hat man sein Schlagzeug bis hinunter in die Bauruine der Elbphilharmonie gehört, damit da auch mal etwas Musik drin ist.
Star des Abends ist aber Lee Ranaldo, der - wiederum durch Steve Shelley mit seinem zweiten Arbeitseinsatz an diesem Abend verstärkt - sein Soloalbum Between The Times And The Tides vorstellt. Im Publikum viele junge Leute, Velvet-Underground-Mädchen, Kunstbubis und Langzeitvergessene, ein, zwei Anzugträger mit Blackberry und Begleitmenschen, dazu grauhaarige Altherrengymnasten wie mich. Zum Glück ist es nicht zuuu voll, zum Glück gelten im Westwerk besondere Lärmschutzbestimmungen, was die beiden Bands pünktlich beginnen und zeitig enden läßt. In diesem Alter, darin einen Vorteil zu sehen, bin ich also auch schon.
Die andere Hälfte von Sonic Youth also, auch mal ein Erlebnis. Am Ende spielt Ranaldo mit seiner Band noch ein Talking-Heads- und Sonic-Youth-Cover, wäscht uns von innen nach außen, pflanzt uns den Lärm ins Rückenmark, demonstriert, das daß Leben erst voller Rückkopplungen ins Rollen kommt. Eine diamantene See, durch die ich schwimmen will.
>>> Lee Ranaldo, Angels.