Wir Männer vom K3



Ich wollte den Damen nicht dazwischengrätschen, aber wenn sich Madame Modeste und die werte Kaltmamsell gegenseitig die vorgebliche Langweiligkeit ihrer Tagebuchblogbeiträge versichern, könnte ich ganz lässig, wenn auch uncharmant auf die aufreizende und kaum zu überbietende Monotonie meiner Krankenhausbeiträge verweisen, die in ihrer Musterhaftigkeit auch immer serieller werden, einer immer gleichen Schulaufführung gut tradierter Klassiker gleich (früher war mehr Regietheater!). Bis dahin hört mein SOS (Same Old Song).

Meine Stationsärztin begrüßt mich mittlerweile schon mit Namen, wir tauschen ein paar Begrüßungsfloskeln, Sätze wie "hatte Sehnsucht nach ihnen" und was man so sagt, "Willkommen" und "gern, wäre aber nicht nötig gewesen". Man organisiert erst einmal ein Bett, denn angemeldet bin ich nicht. Danach alles wie vorgemalt: Mir ist das Muster langsam ein wenig engmaschig, ich könnte die nötigen Checks und Untersuchungen bereits selbst organisieren, MRT anmelden, Kabel legen, Schläuche noch nicht, aber das kommt noch. Überleitung: geschlaucht. Fast scheint es, als führe ich mit dem Krankenhaus eine on/off-Beziehung, dabei hatte man dafür doch eigentlich flatterhafte Frauen. Das muß das Alter sein.

Neu ist die russische Famulantin, Katzenaugen, eine wunderbare markante Nase. Tagsüber, so meine starke Vermutung, arbeitet sie in der russischen Supermodelagentur, um sich ihr Medizinstudium zu verdienen, zwischendurch aber macht sie mit mir Tests, die verlangen, daß ich ihre wunderbar markante Nasenspitze fixiere (und nicht etwa die Katzenaugen! "Sie schummeln!" sagt sie), während sie mit den Händen links, rechts, ober- und unterhalb meines Kopfes herumflattert, um mein Gesichtsfeld zu testen. "Toll", sage ich. "Ich sehe den Frühlingsflug der Vögel."

Die Kekse, die es zum Nachtisch gibt, stammen von "GV Partner", dabei knistert bei ihnen höchstens das Verpackungspapier. Eine merkwürdige Art von Krankenhaushumor, ich sage da schon gar nichts mehr zu, liege in einem weißbezogenen Zengarten und meditiere über das langsame Tropfen über meinem Kopf, blubb, blubb, blubb, sonst ist nicht viel zu tun. Sonst ist nicht viel zu tun, ab und an hebe ich die Knie oder spanne meine Waden an. "Man muß fit bleiben, sonst werden wir krank", erkläre ich den Zimmergenossen. Wir sind zu dritt, wir sind im selben Alter, der eine hat dies, der andere möchte nicht tauschen. Ich möchte nicht über das Essen reden, aber sonst bleibt wirklich nicht viel zu tun.

Ich habe Glück gehabt, denke ich. Ich habe viel Besuch. Freunde, die mich ins Krankenhaus bringen, als ich kaum meine Tasche tragen kann. Freunde, die Vitamine bringen und gute Laune, fesselnde Arztgeschichten oder Grüße aus der westlichen Welt. Mein Bettnachbar bekommt nachmittags Besuch von seinen Arbeitskollegen, ein Freund ist manchmal stundenlang bei ihm, sie lachen, reden über Urlaube oder über die Qualität des Essens. Dem Dritten in unserem Bund schmeckt alles. Er lebt in einer Einrichtung und lacht viel, wenn wir abends fernsehen. Sonst bleibt ihm nicht viel zu tun. Nach zwei Tagen schaut seine Betreuerin vorbei, bringt ihm eine Tasche mit frischer Wäsche und Waschzeug, grüßt freundlich und geht. Wir stecken ihm unsere Beilagen zu, das überschüssige Brot. Wir haben sonst nicht viel zu tun.

The Mercy Seat | 12:13h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
ach annemarie - Donnerstag, 22. März 2012, 12:36
sieht aus, als würden sie gummihandschuhe tragen, da oben; man verwächst ja schnell mit dem krankenhausalltag...
wenn ich die suppe anschaue, denk ich an mein letztes narkoseerwachen, als ich die transporteure anflehte mir ein gebratenes huhn (absolut verboten) zu besorgen. ausser, daß sie sich schieflachten; in greifswald hieß das broiler; verschafften sie mir eines. meine dankbarste (essens-)erinnerung. lassen sie sich viel mitbringen und verliern se den humor nich. bitte.

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kid37 - Donnerstag, 22. März 2012, 13:23
Quarantäne bestand zum Glück nicht, das war wahrschienlich der Tag, als ich mich anbot, das Bad zu putzen, um der Krankenhauslangeweile zu entgehen. Jetzt bin ich ja zum Glück wieder raus, bilde Vitamin D auf der Haut und darf mir mein Gemüse wieder selber kaufen.

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ach annemarie - Donnerstag, 22. März 2012, 13:26
ahso, verstehe.
trotzdem.
alles gute.

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maz - Donnerstag, 22. März 2012, 13:55
Ich merke gerade, dass Du was von Röttgen hast, zumindest wenn das Bild klein genug ist.

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kid37 - Freitag, 23. März 2012, 12:00
NRW hängt ja auch am Tropf, sonst kann ich mir das nicht erklären.

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fishy_ - Freitag, 23. März 2012, 15:04
Hahaha - made my day.

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kaltmamsell - Donnerstag, 22. März 2012, 14:35
Mittlerweise lautet die Diagnose für Ihre Einweisung "Hospitalismus", nehme ich an. Hat Ihnen schon jemand einen weißen Kittel und ein schönes Klemmbrett vorbei gebracht?

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saxana - Donnerstag, 22. März 2012, 15:52
Großartig dass Sie wieder draussen sind. Jetzt kann es nur noch besser werden. Sehr beruhigend auch die vielen Freunde, die sich um Sie kümmern. Da brauchts uns ja gar nicht mehr.

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kid37 - Freitag, 23. März 2012, 12:04
Nein, nein, dieses Blog braucht jede daumendrückende Hand! Können sich dann alle schön abwechseln in einer Art La-ola-Welle.

"Spitalphilie" wird das sein, eine deviante Störung im Reiz-Reaktions-Reflex.

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modeste - Freitag, 23. März 2012, 00:34
Die Suppe hinterlässt mich fassungslos. Mein Gott, ich habe über das Essen auf der Entbindungsstation des Krankenhaus Friedrichshain gelästert, aber das ist wirklich deprimierend. Da hilft auch GV Partner nicht mehr.

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kristof - Freitag, 23. März 2012, 09:28
Das sieht doch ganz ordentlich und vor allem nicht zerkocht aus. Also ich find das OK.

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kid37 - Freitag, 23. März 2012, 12:09
Das war selbstverständlich nur die Vorsuppe. Anschließend gab es Zander an Frühlingskartoffeln und Sommergemüse, zum Abschluß in Rotwein pochierte Feigen und Panna Cotta.

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kreuzbube - Freitag, 23. März 2012, 10:07
Das soll jetzt aber nicht als Zweitwohnsitz angemeldet werden?

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kid37 - Freitag, 23. März 2012, 12:10
Die Leute dort sagen beim Abschied immer, ich solle so schnell nicht wiederkommen. Irgendwie auch verletzend. Ich mach' kaum Dreck.

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zahnwart - Freitag, 23. März 2012, 11:02
Ich finde ihre Texte großartig, sagte ich das schon einmal? Sie schnüren mir den Magen zusammen und lassen mich gleichzeitig lächeln, sie sind, wahrscheinlich, großartig. Ja.

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kid37 - Freitag, 23. März 2012, 12:12
Oder es sind die Medikamente. (Danke.)

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fishy_ - Freitag, 23. März 2012, 15:03
Einfach mit sich geschehen lassen.

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kid37 - Samstag, 24. März 2012, 20:19
Ich hab gern Kontrolle.

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gaga - Freitag, 23. März 2012, 16:58
Das rote T-Shirt ist super und das Foto davon auch. Ich überlege gerade, wie alt Helmut Newton eigentlich war, als er seine Krankenhaus-Selbstportraits nach der Herzoperation gemacht hat. Das Bild erinnert mich daran. Aber er war glaube ich weitgehend unbekleidet, nur Pflaster und Kanülen. Das rote T-Shirt ist schöner.

Bei der Stelle

macht sie mit mir Tests, die verlangen, daß ich ihre wunderbar markante Nasenspitze fixiere (und nicht etwa die Katzenaugen! "Sie schummeln!" sagt sie), während sie mit den Händen links, rechts, ober- und unterhalb meines Kopfes herumflattert, um mein Gesichtsfeld zu testen. "Toll", sage ich. "Ich sehe den Frühlingsflug der Vögel."

habe ich mich über den kleinen frühlingshaften Impuls gefreut. Der ist sonst nicht drin in den eintönigen Blogeinträgen!

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kid37 - Samstag, 24. März 2012, 20:21
Das Wetter macht alle wieder verrückt. Hier laufen schon Menschen in T-Shirts außerhalb eines Krankenhauses herum. Aber schmerzstationsbleiche Haut!

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