Spinalspital
Die Krankheiten alle, dünne Marionetten,
spazieren in den Gängen. Eine Zahl
hat jeder Kranke.
(Georg Heym, "Das Fieberspital")
Hier ist wieder der Bordcomputer der Nostromo. Man hat mich vorerst nach Hause entlassen, Rückkehr vom Alienplaneten, Wiedervorstellung zur Kontrolle in sechs Monaten. Ein Ausflug war das nicht. Wo andere ihren wohlverdienten Urlaub machen und hübsch unschuldig in der Sonne liegen, habe ich zuletzt wohl ein Händchen für eine Art defekten Sommer entwickelt. Wenn ich es recht erinnere, war ich in Lissabon zuletzt in einem als solchem gefühlten Urlaub. Aber das ist schon Jahre her und war sowieso ein anderes Leben. Abenteuerlich ist es schließlich genug, wenn man sich nicht nur gelähmt fühlt, sondern so auch eines morgens erwacht. Der erste Arzt ist noch unbeeindruckt, der nächste, weil da irgendwas immer weiter durch den Körper schleicht und Türe um Türe schließt, aber wird hektisch, und plötzlich geht alles ganz schnell.
Wenn man dann so in der Röhre liegt, und ich kann nun verschiedene MRT-Typen und Modellreihen allein am Sound unterscheiden, und den Top-40-Schmusesoulbrei im Kopfhörer für die größte Folter hält, kennt man einfach den Überraschungsmoment nicht, wenn sie statt der Lendenwirbel auf einmal anfangen, den Kopf zu scannen. Man ahnt dann auch ohne weitere medizinische Grundausbildung, sie werden dort keine Bandscheibe finden, die suchen etwas anderes. Es ist diese Szene aus Alien³, als Lt. Ripley in den Untersuchungsscanner steigt, weil sie schon einen Verdacht hat und tatsächlich das Alien in ihrem Körper entdeckt. Man kann dann lange überlegen, wie Steve McQueen in einem solchen Augenblick reagieren würde. Mir jedenfalls wurde es doch recht eng, eingepfercht in diesem Stahlgitter auf Kopf und Brust und einem Konzept namens Scheißangst.
Man spricht dann von einer "Struktur", die man gefunden hat, drückt sich um das T-Wort und das K-Wort, der Überweisungsschein aber verrät deutlich mehr und mir schon zuviel, nur wirklich eilig sei es jetzt nicht, man will am Montag weitersehen. Beherzt humpel ich übers Wochenende an die See, da war ja noch diese Idee von Urlaub und dringend nötiger Erholung, noch einmal bitteschön die Füße ins Wasser tauchen und im Schnelldurchlauf überlegen, wer später mal die E-Gitarre und die Bücher bekommen soll. Ob es noch lohnt, offene Rechnungen zu begleichen, sich irgendwo zu entschuldigen oder einen Streit anzufangen.
In der Klinik dann feste Händedrücke, wieder Bilderschau, wieder wackeln Köpfe über weißen Kitteln. Man redet über Risiken, die Sau sitzt im Rückenmark, ich mache mit den Händen rollende Bewegungen links und rechts vom Stuhl, der eine weiße Kittel nickt, der Neurochirurg indes blickt noch mal schräg auf die Bilder und sagt, so als betrachte er die Schluchten am Hindukusch, also irgendwie glaubt er nicht daran. Aus der anderen Ebene sehe es doch eher aus wie... und so lerne ich auf meiner Reise quer durch den Pschyrembel die nächste Abteilung kennen. Hier hat man auch ein Bett, was nicht selbstverständlich ist im großstädtischen Spitalbetrieb. Zurück ins Lumbale: die Punktion bringt weitere Aufschlüsse, der Schatten ist auf einmal transzendend, da hat sich doch tatsächlich eine andere Sau getarnt. Wie in einer flackernd belichteten Herbstpantomime holen die Ärzte wieder ihr ernstes Gesicht hervor und munkeln die nächste auch nicht wirklich frohe Diagnose. Ich bin Melancholiker, erkläre ich, aber doch nicht krank und versuche eine abwehrende Bewegung mit der Hand. Ich kann aber mittlerweile den Arm nicht mehr gut bewegen.
Übers durch den Feiertag verlängerte Wochenende wartet man die Laborergebnisse ab. Vorsichtshalber beginnt man mit Infusionen gegen dieses und jenes und alle möglichen bekannten und noch unbekannten Viren, es käme auch einer in Betracht, meint der Arzt, den man sich quasi nur auf Frachtern auf der Linie Java - Sumatra zuziehen könne, aber in einer Hafenstadt wüßte man ja nie. Auf dem Tropf steht "... in Ringel-Lösung", was wahrscheinlich auch Steve McQueen sehr witzig finden würde. Leider heißt es in Wahrheit "Ringer-Lösung", und darum geht es dann wohl: ein Ringen um Antworten, um Bewegungsfähigkeit, um ein Behaupten und das große Überhaupt.
Am Ende bleibt alles vorerst unspezifisch, was nichts daran ändert, daß ich mich derzeit wahlweise fühle als sei ich unter einer Müllauto geraten oder wie das Müllauto selber. Ich bin um viele Dinge froh. Zum Beispiel, daß ich meinen Arm wieder bewegen kann und einige andere Dinge auch. Daß da ein langer Weg liegt, aber immerhin ein Weg. Das Daumendrücken hat offenbar geholfen, dafür noch einmal von Herzen vielen Dank. Ich war in den ersten Tagen wirklich orientierungslos. Schön, daß so viele plötzlich links und rechts standen. Danke.
Ich wünsche Ihnen weiterhin gute Besserung und hoffe aus ganzem Herzen, dass Sie wieder vollständig genesen.
Methode Paulchen Panter. Es wird langwierig, aber ich komm’ wieder, keine Frage.
Wehe, wenn nicht! Ich müsste mich ja sonst auf der Stelle wieder mit Ihnen vertragen - und wer weiß, ob Sie das wollen. ;-)
Und außerdem brauchen wir jemanden, der uns noch ein Weilchen grauschwarz geringelte Geschichten erzählt.
(Man kann nicht alles selber machen.)
Bitte noch ein Weilchen bleiben
(ohne ch_ n)
In der Geschichtenbilanz habe ich jetzt das Lager wieder gut auffüllen können. In meiner Altersgruppe ein zunehmend interessantes Thema, dieses "Krankheiten".
Ich weiß ja nicht: Sie greifen zu immer alberneren Mitteln, um sich wichtig zu machen. Ist gut, hiermit beachten wir sie. Sie können wieder aufhören damit.
Ertappt. Der aufwand war schon beträchtlich und mit wenig Rücksicht auf Mensch und Material. In Anbetracht der ganzen Begleitumstände wäre ich tatsächlich sogar lieber Opel gefahren. Ich glaube, das skizziert den Ernst der Lage hinreichend.
Da wird`s mir kalt bei Frau Kaltmamsell. Bitterkalt.
(so ungern ich mich einmische, aber ich fürchte, Sie verkennen den extraordinär liebevollen Zwischenton des Kaltmamsell'schen Kommentars. Solche Sachen schreibt man, wenn man persönlich bekannt und sich besonders zugetan ist, um damit seiner Sorge Ausdruck zu verleihen)
Oh, das traf wohl den falschen Nerv. Ich kann versichern, Gaga hat das völlig richtig erkannt. Die Kaltmamsell darf das, sie weiß, daß ich diesen Ton richtig verstehe. Alles gut.
Es schnürt einem den Hals zu. Beste Wünsche.
Danke. Das ist nur das Fixiergitter, das man im MRT manchmal bei Kopfuntersuchungen bekommt.
Worte habe ich keine. Daumendrückend.
Von der Daumenkraft bin ich sehr überzeugt. Es scheint geholfen zu haben.
Sie schaffen das!
Alles Gute!
Vielen Dank. Ich arbeite dran.
Klingt, als wären Sie in einem Paralleluniversum als Patient in die Hände von Dr. House & Team geraten?! Ich hoffe, die Ärzte mit denen Sie tatsächlich zu tun hatten und haben werden, sind medizinisch ähnliche Asse aber menschlich angenehmer als Dr. House!
Wünsche gute Nerven und wenn die Nerven doch hin und wieder anfangen zu flattern, Menschen links und rechts vor Ort!
Ein bißchen war es so. Selten als Kassenpatient so viele Ärzte um mich herum gesehen. Diagnose nach Ausschlußverfahren, da muß man geduldig sein, habe ich festgestellt. Nicht meine ganz große Stärke.
Gute Besserung und nur die besten Wünsche!
Alles Gute!
Ich wünsche auch noch mal alles Gute.
Früher hieß es immer: "Alles wird gut!"
So wird es sein!
So muß das einfach sein. Merci.
Oh.
Sie finden auch immer was Gutes. Gut.
Gulp. Spinale Drecksäue. Da kommt bei mir so einiges wieder hoch.
Ich fühle mit Ihnen. Viel Glück!
In ein paar Monaten sieht man klarer, vielen Dank.
Ihnen noch einmal alles Gute!
Jetzt kommt der Herbst, das belebt.
Das hört sich gut an. Hauptsache, man bleibt auf Achse. Auch im Herbst: „Verdrossnen Sinn im kalten Herzen hegend, Reis ich verdrießlich durch die kalte Welt …" (H. Heine). Nur den Regenschirm nicht vergessen!
lieber herr kid, ich wünsche ihnen sehr, dass alles schneller als erwartet wieder gut wird. ich empfehle bis dahin guten whisky (man muss wirklich nicht alles nüchtern erleben).
Danke, Alkohol ist leider gestrichen, dabei wollte ich bei einem entspannten Absinthabend die Ahnen beschwören.
Bitte, überhaupten Sie sich nicht gleich. Des Ringers Lösung half Ihnen in seiner Anreicherung. Nachschlag oral gewiss weiter.
Bei Ripley ging es schließlich trotzdem gut aus.
Mit letztlich sensationellen motorischen Wieder- Behauptungen.
In diesem Sinne Kopf hoch;
Sie befinden sich quasi eingebettet.
Alles Gute und bleiben Sie stark ringelig!
Vielleicht hilft da die Lektüre, oder besser das Studium, von Dr. Joseph Murphy. Nur nicht unterkriegen lassen!
Ripley ging erst ins Stahlbad, ehe die Gentechnik half. Aber ich werde versuchen, so schnell wie möglich wieder einen geringelten Limbotanz hinzubekommen. Humpeln kann ich immerhin schon wieder.
Hömma Sie, Herr kid, bitte keinen Blödsinn machen! Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass die Ärzte endlich die Ursache für Ihre Malaise finden und Sie baldig wieder beschwerdefrei, zuversichtlich und angstlos in die Zukunft stapfen können. Dat muss doch möchlich sein. Menno.
Leben mit dem Mysterium, heißt es wohl. Aber im Diffusen kenne ich mich aus. Das ist mir auch lieber als klar umgrenzte "Strukturen" dort, wo sie nicht hingehören. Braucht kein Mensch.
Zur Tram-Geschichte, die jemand ansprach, wollte ich noch sagen, ich kriege doch alles kaputt. Nur mich nicht. Geht alles weiter.
Als Leser Ihres Blogs schäme ich fast ein bisschen für diese Art von sekundärem Krankheitsgewinn, die Ihre wunderbaren Texte für den Leser bedeuten. Andererseits will ich mir und Ihnen einreden, dass es schon alles nicht so schlimm sein kann (und darf), solange Sie noch diese Texte schreiben. Machen sie weiter so, Sie tapfererer Schreiber. Es ist eine beidseitige Rückversicherung. Und ich hoffe sehr mit Ihnen, dass es bald nur noch normal Melancholisches zu berichten gibt und sich keine "T"- und "F"-Worte dazwischen drängen.
Ich darf jetzt einfach meine Saison nicht verpassen. Das spornt mich an. Nicht, daß der Herbst ohne mich vergeht.
ach.
herr kid.
mit sorge lese ich ihre zeilen.
ich drücke sie aus der ferne.
p+s: wenn alle stricke reissen sollten, kommen se her und gehen in die sprechstunde für seltamene krankheiten. die ist zwar erst einmal nur für kinder, aber wenn se mich nehmen - dann nehmen se auch herrn kid.
Genau, wir mischen uns da unter. Ich mach mich einfach ganz klein und jammere mit piepsiger Stimme. Das kriege ich hin.
Ich hab mir ja nur was lächerlich Harmloses aus dem Kopf schneiden lassen, das die nicht mal ins Labor schicken wollten. Darf daher folglich gar nicht mitreden. Leseempfehlung aber dennoch: Hesse, Der Kurgast.
Oh. Auch nicht schön. Mir kamen die langgedehnten zwei Wochen bereits wie Der Zauberberg vor. Jetzt bin ich ganz hibbelig vor Bewegungsdrang.
(Am Wochenende probiere ich, ob ich auf einem Rad sitzen kann. Uiuiui.)
Sie sind mir ja einer, Herr Kid. Da steigt man mal ein Weilchen aus der Bloggerei aus und verdirbt sich die Jahre mit Arbeit, und dann kommen Sie daher und besetzen ein Spital.
Kommen Sie wieder auf den den Damm und lassen Sie sich meine besten Wünsche gesagt sein, bittesehr.
Heute erfuhr ich, daß die nächsten drei Monate Aufschluß geben, wo genau auf dem Damm ich stehen werde. Ich harre aus und mache weiter. Danke.
Verdammt, und einer der unschuldig herumplanschenden Urlauber liest das alles erst jetzt. Wenn ich wüsste, wie Esoteriker das machen, würde ich Ihnen jetzt Energie schicken. Stattdessen warmherzige Gedanken und weiter viele gute Wünsche. Auch von der Möwe.
Vielen Dank. Ja, solch planschende Erholung täte mir jetzt auch gut. Oder eben eine andere Energie. Ich nehm jetzt alles, auch hochfrequent. Ich habe ja noch so einen
Radiostat.
ich plansche jetzt doppelt. Exklusiv für Sie.
Sonne und Wärme. Ganz exklusiv. Auch der Herbst braucht das.
Auch von mir: gute Besserung, Herr Kid.
Bin wieder spät dran, ich weiß. Schön, wenn Sie es jetzt wieder etwas weniger "heymelig" haben und, wie auch weiter oben gelesen, die Mobilität voranschreitet. Trotzdem alles ein recht unnötiger Mist, wie mir scheint. Ich denk an Sie.
Völlig unnötig. Geht jetzt alles langsam. Im Frühjahr noch mal MRT, dann will ich keine Schatten mehr sehen.