Unscharf
Berühmt wurde Richter, als eines seiner Bilder das Cover eines Albums von Sonic Youth zierte, jedenfalls könnte man es aus diesem Winkel sehen. "Warum ist das so unscharf?" fragte man sich, befand aber, daß diese verwaschene aber gleichsam helle Kerze ganz gut zur Klangverwaschenheit von "Daydream Nation" paßte. So prallten also zwei durchgewaschene Rebellengenerationen in die Jugendzimmer einer dritten, noch weitgehend ungewaschenen.
Richter, der nächstes Jahr 80 wird, ist ein gewiefter Analytiker, einer, der schnippelt, collagiert, auseinanderreißt und versetzt, auf seinem Leuchttisch solange verschiebt, bis er die Dinge, oder die Abbilder der Dinge neu zusammengesetzt hat. Die Hamburger Ausstellung (zeitgleich läuft in der Kunsthalle "Unscharf", eine zweite kleine Ausstellung mit Richter-Werken) demonstriert das recht gut in den Bildern seiner "Atlas"-Phase, wie z.B. vergrößert abgemalte Zeitungsausschnitte einen neuen Fokus bekommen, zusätzlich verschoben durch die zeitliche Distanz, aus der wir heute auf die Bonner Republik schauen oder auf Menschen, die damals als "Unhold" betitelt wurden. Zur visuellen Verschiebung gesellt sich eine semantische, der Blick zurück aber auf die unscharf gemalte Wirklichkeit der 60er- und 70er-Jahre scheint dadurch schärfer zu werden.
Insofern also: hochinteressant, wie man aber nicht nur kunstbeflissen sagt. Denn über vielen Werken flirrt durch das Poröse, der tastbaren Materialität, der Irritation der Sinne eben doch etwas Auratisches, eine oft bloß unscharf zu erkennende Einstiegsluke, ein emotionaler Zugriff auf die durch Pressefotos ernüchterte Welt, wie Schatten eines Kaminfeuers, irritierend beruhigend. Ich hoffe, ich habe mich unscharf genug ausgedrückt.
("Gerhard Richter: Bilder einer Epoche". Bucerius-Forum, Hamburg, bis 15.5.2011.)
Mich hat bereits in der Vorberichterstattung irritiert, daß die Schau im Bucerius-Forum stattfindet und nicht in der Kunsthalle, der ehemaligen Wirkungsstätte des Kurators Uwe M. Schneede. Sind Ihnen Hintergründe bekannt?
Ich vermute, die Kunsthalle ist einfach zu klamm. Man erinnere sich an die Posse um die teilweise Schließung wegen fehlender 200.000 Euro - ach nein, offiziell waren es ja die fehlerhaften "Brandschutzklappen". Deren kleinere "Unscharf"-Austellung füttert sich ja neben Richter mit vielen Nebenwerken. Das Bucerius-Forum hat in den letzten Jahren auch mit anderen Schauen deutlich mehr Profil gezeigt. Kann ja nur Ansporn sein.
na, da würd ich doch glatt aushelfen...haha
Ich den Deichtorhallen.
Hihi.
Wenn man sich das dort aufgeführte Umfeld anschaut, komme ich mir vor wie ein Trinkbüdchen, das plötzlich im DAX gelistet ist.
Ich liebe Trinkbüdchen!
Eine aussterbende Spielart des Warenhandels. Alleine bei mir ums Eck haben zwei genossenschaftliche Vollsortimenter bis 24.oo Uhr geöffnet. Furchtbar.
Jetzt, wo Sie doch diese große Retrospektive in den Deichtorhallen haben, können Sie gewiß hier und da ein gutes Wort für mich einlegen! Es soll Ihr Schaden sein nicht sein! Eine Hand wäscht die andere!
Wir sollten uns besser vernetzen! So wie die anderen das tun. Es gibt z.B. viel zu wenig Fotos, auf denen wir gemeinsam zu sehen sind. Man könnte sich gegenseitig die Stellwände freihalten oder wechselseitig Lametta verleihen.
Ich bin da ganz bei Ihnen.
P.S. meine hellsichtigen Fähigkeiten erschüttern mich selbst immer wieder (von wegen
"Eintrag im Frühjahr 2011"). Wobei es schon recht großzügig von mir ist, diesen Kommentar (
viel zu wenig Fotos (...) gemeinsam) als einschlägigen Eintrag zu werten.
So sehr ich Ihnen die Nominierung gönne, folgen täte ich Ihnen nicht in diese Liga. Anderen mag das gefallen oder gar imponieren. Aber ich assoziiere bei der Überzahl dieses Angebots nichts als Tempo oder Wiener, also die ganzen Peichls dieser Welt, viel hohle edle Einfalt, kaum inhaltliche Füllung, von mir gerne auch als Ästhetik von Winckelmann-Adepten bezeichnet, nur jetzt eben im Internetz gefangen. Aber die haben mich bereits zu Zeiten deren Existenz gelangweilt. Das, was Sie Trinkbüdchen nennen, ist von jener eigenartigen Qualität, in der Form und Inhalt fröhlich und sinnlich kopulieren und so nahezu ausnahmlos prächtige Wonneproppen ohne genetisches Doping auswerfen. Würde ich den neudeutschen Terminus falschus authentisch nicht grundsätzlich vermeiden wollen, hier verwendete ich ihn. An Ihrem Trinkbüdchen fühle ich mich ein wenig wie in der lateinamerikanischen Kunst, die alles auf das bezieht, aus dem sie kommt: Mensch.
Es ist, so wie ich es verstehe, nur die "interne" Runners-up-Liste als Vorschlag für die endgültigen Nominierungen. Mittlerweile hat die sich recht aufgefüllt, und darunter sind - neben den üblichen Verdächtigen, die es am Ende wohl unter sich ausmachen werden - auch ein paar, von denen ich denke, daß die sehr gut die Hipster-Welt spiegeln, in der man dort sicher lebt: Blogs, die Fotos aus dem Netz sammeln (leider ohne jeden weiteren Kommentar oder erweiternden Beitrag), Macbooks auf dem Kaffeetischchen, Hedi-Slimane-Modestrecken... so was halt. Das ist alles recht fesch und schnieke und Fashion und Riekel - und dann steh ausgerechnet ich dazwischen in meinen ausgelatschten Schuhen und dem zerschlissenen Jacket und halte mühsam einen unabsichtlichen Rülpser zurück.
Danke für Ihre Worte, das ist sehr nett. Vor Jahren hat es hier ja mal einen
Preis gegeben.
(Ich habe mir davon ein Haus an der Riviera gekauft.) Und richtigen Radau dazu. Damals gab es noch diese Spannungsfelder, was sind Blogs, wie stehen sie zu etablierten Medien, darf man die anerkennen, darf man sich anerkennen lassen, wie frei ist "frei" usw. Ich finde sowas aber gut, wenn z.B. das Bildblog den Grimme-Preis erhält. Jeder sollte ein Haus an der Riviera haben. Und ein Macbook auf dem Kaffeetischchen.
Beneidenswert. Richter um die Ecke. Das Dumme an der Malerei: Man kann sie sich, anders als den einen oder anderen Druck, nicht leisten.
Ja, das wäre schön, wenn man das Kunstforum zu seinem erweiterten Wohnzimmer erklären könnte. Gemütliches Sofa noch rein, Fernseher vielleicht, wg. Sportschau für den ein oder anderen Arte-Beitrag... und dann abends unter Richtern schlafen.