Innerliches
Das Heim und das Heimliche kehren zurück. Die Menschen seien "zu lange draußen" gewesen, hieß es vor einigen Wochen im Zeit-Magazin über die gewesene Epoche der allgegegenwärtigen Mode des to go. Die Krise dränge die Menschen zum - alle paar Jahre ausgerufenen - Cocooning. Mir macht es nichts aus, woanders ist schön, ich aber habe es hübsch daheim und kann folglich beides.
Wie man es hingegen besser nicht macht, zeigt dieses Beispiel. Ein alteingesessenes Stück voller Patina und abgewetzter Geschichte dilettantisch übergesprayed - The Horror! The Horror! würde der Colonel Kurtz des Homeimprovements entsetzt im Herzen der innendekoratorischen Finsternis murmeln.
Vernünftige Raumgestaltung, heißt es, ersetze manche Fernreise. Wo man sich im Alltag wohlfühlt und ästhetisch umfangen, wird das Konzept des Urlaubs ja fast obsolet - jedenfalls wenn es um reine Erholung geht. Der Bildungswert einer Reise, die Anregungen und Aufregungen, die man am anderen Ort erlebt, sind weiterhin durch nichts zu simulieren. Alles andere sei alltags bloß ein Ersatz. Ich mache es geschickt: Meine Wohnung sieht zur Zeit aus wie ein aufgeplatzter Reisekoffer. Manchmal halte ich mir eine leicht getönte und zerkratzte Scheibe vors Gesicht und winke meinen Sachen zu als säße ich in einem Flugzeug und sähe meine Habseligkeiten still ergossen auf dem Rollfeld liegen. Ein Urlaub daheim.
Ich werde mir mal gleich eine Brille mit Dioptrienwerten aufsetzen, die nicht meiner Sehstärke entsprechen.
Freue mich auf einen Kurzurlaub.
Oder mal einen Kopfstand machen! Schon sieht alles völlig anders aus.
An manchen Tagen genügt es, die Tasse in der anderen Hand zu halten oder mit dem anderen Bein zuerst in die Hose zu steigen - alles anders, sofort, und das meine ich ernst.
Da ist tatsächlich was dran, da werden eingerostete Synapsen neu befeuert. Allein, man ist ja auf Effizienz getrimmt und mag die Routinen nicht gern durchbrechen.
ich weiß nicht. Das Beispiel zeigt zwar eine etwas unglückliche Verteilung des Musters, doch ist es wohl eine Angelegenheit des persönlichen Geschmacks. Ja, Eigentum verpflichtet. Doch wenn es dem eigenen manniglichen Nutzen dient, warum denn dann nicht auch so ein, äh, "Design" ;o)
Ich nenne so was "verhunzt". Da müssen wir jetzt nicht diplomatisch werden, nur weil Weihnachten vor der Tür steht. Dick drübergesprayed, da kriegt man doch Kummer. Und all der schöne Rost! Perdu.
Der Rost blüht sicher noch unter der Farbe weiter...
ICH würde mir solch einen Stuhl auch nicht in die Bude stellen.
Solche Menschen haben gemeinhin auch Plauener Klöppelwaren daheim und womöglich sind es TrägerInnen von TortenbodenKragenspitzen...
... mit der Isomatte im anderen Zimmer schlafen. Schon ist Urlaub. Oder mit dem Campingkocher in den Keller gehen ...
Hätte ich einen Balkon, ich könnte jetzt Ski-Urlaub machen. Vom Fenster aus ist es mir eine zu steile Abfahrt.
I love the smell of napalm in the morning
Also, ich kann Oberst Kurtz nicht zustimmen:
Als makeover-Faschist finde ich einige der Um-Design-Beispiele (okay, der blaue Stuhl sieht jetzt nicht unbedingt viel besser aus) sehr gelungen und könnte einer Ex&Hopp-Mentalität den Garaus machen.
Unangenehm finde ich nur die lackierte Aufarbeitung durchaus ansehnlicher Holzschränke ... und -vor allem - die Pseudo-Patina-Installationen, wie sie auf einigen umgearbeiten Möbelstücken aufgebracht worden sind.
Ex & Hopp wäre die falsche Alternative, behutsame Restaurierung oder einfach Shabby Chic aber wesentlich sinnvoller. Pseudo*-Patina geht natürlich gar nicht, obwohl diese Ideen mit Krakelee-Lack schon faszinierend sind. Meine Wohnung ist selbst nicht ganz kitschfrei, aber ehrlicher Rost sollte schon ehrlich bleiben.
(* Nebenbei: Gerade noch darüber doziert, wie veraltet "Pseudo" mitlerweile als abwertende Präfix-Vokabel wirkt, wo man doch heute immer "selbsternannt" [wie in "selbsternannter Blogger" oder eben "selbsternanntes Patina" verwendet.)
Allen guten Wünschen und Vorfreude zum Trotz können zu viel An- und Aufregung am anderen Ort können schon mal den vorzeitigen Wunsch nach heimischer Erholung wecken. Zum Glück sind keine Koffer aufgeplatzt. Die Anregungen ruhen jetzt auf der Festplatte.
Ach schade, gerade bei Ihnen gelesen. In den 80ern fand ich das knreipen- und bargesprenkelte Vergnügungsviertel ja sehr faszinierend. 2006 war mehr Strand und Bummeln angesagt, aber es stimmt, in den engen Gassen ist es nachts sehr laut. (Unter unserem Schlafzimmer damals war so ein Tante-Emma-Laden, in den wurden frühmorgens immer die Gasflaschen übers Pflaster rein- und rausgerollt. Auch eine Freude ;-))