Das Ende des Tragbaren
Längst warst du aus dem Futter,
Regnete es durch deine Löcher rein.
Manchmal flickte dich meine Mutter,
Am Ende blieb der Fäden Schein.
Fünfzehn Jahre waren wir uns nah. Fünfzehn Jahre warst du mein Begleiter, beständiger als jede Frau in meinem Leben. "Formtreu" seist du, das hattest du versprochen, und vielleicht ist das die einzige Treue, die es heutzutage gibt. Fünfzehn Jahre warst du mir Geländer, ein Halt, eine Decke, an regnerischen Tagen manchmal auch ein ganzes Zelt. In deine Schultern sickerten Tränen, an deinen Kragen rieb sich Puder, an die Ärmel Bier und Rotz. Das Alter, die Erfahrung verliehen dir einen Glanz, den manche schäbig nannten. Für mich warst du mein schlecht gekämmter Hund: Im Spülsaum unter den zerrissenen Taschen sammelten sich Büroklammern, Kinokarten, Staub und Sediment, eine abgetragene Existenz und schurwollener Fingerabdruck.
Schließlich kam der Tag, wie diese Tage endlich kommen. Wir mußten uns trennen, waren auch die Herzen schwer. Dir alles Gute, Freund, und sorg' dich nicht um mich.
... manches Kleidungsstück erinnert an die Schmusedecke. Manchmal gibt es eine böse Luzieh, die Linus Stück für Stück (schnipp) davon entwöhnt, die Schere in der Hand. Und manchmal reißen die Säume von selber ein.
(Beerdigen nicht manche Menschen ihre - ach, das waren Jeans?)
Ohne diese Jacke fühle ich mich nackt. Die anderen, die ich habe... ja, sicher. Frauen verstehen das nicht, die brauchen jede Saison was neues, weil sie meinen, die Frische und Jugend der Kleidung färbe auf sie ab. Das stimmt auch, deshalb trage ich ja Matrosenanzug Ringelhemden. Man muß eben auch loslassen, nutzt ja nichts.
Gern reihe ich mich ein und kondoliere was das Zeug hält. Hoffe, ich werde Sie trotz dieses Verlustes bei einem unserer zukünftigen Treffen weiterhin mit dieser fröhlichen Niedergeschlagenheit erleben.;-)
Mir ging es ganz ähnlich, neulich:
http://cabman.blogger.de/stories/1092208/
Ich bin verblüfft. Ein Bleistiftstummel fand sich auch noch unten in der Saumkante. Zeichen, sie sind überall!
"der herr ist bei dir, hält die hand über dich, [...] vom anfang bis zum ende, jetzt und in aller zukunft." (psalm121)
ach.
Danke dafür. Das erinnert mich daran, die Tageslosung zu lesen.
ja, welche denn sonst?
wüsste nicht, dass aleister crowley auch welche gedruckt hätte...
Jaja, schon. Da haben Sie sicher recht. Bin ja auch nur erstaunt. Hier so zwei Bibelfeste und Losungskundige Herren anzutreffen ...
Eine interessante Überleitung, Jacke, Mode,
Herrenhut Herrnhuter Losung. Gerade in diesen Zeiten, möchte ich sagen. Gerade in diesen Zeiten. Wo viele, die da zürnen der Kirche Scheinheiligkeit, der Kirche Einrichtung benutzen. Toll, gibt es auch per
Internet.
@ cut: sie wissen doch: ganz blogger.de ist voll mit (ex-)katholiken.
könnte man manchmal glauben.
@kid: ich finde die kirche und ihr verhalten nicht im geringsten scheinheilig, sondern völlig konsistent in ihrem eigenen gedankengebäude.
dass sie damit nicht mehr die realität selbst religiöser menschen teilen, könnte allerdings grund zur reflexion sein. muss aber nicht; ist - zumindest aus diesen gründen - nicht vorgesehen.
"das ist eine gute überleitung" (v. feldbusch):
und manche wechseln ihren glauben eben wie eine jacke - muss ja nicht immer gleich um relljohn gehen;-)
Ich habe da nur zitiert. Wie oft trifft man Menschen, die - einem pawlow'schen Klappreflex gleich - sofort "scheinheilig" rufen, wenn sie auf das Wort "katholisch" (oder "Kirche") stoßen. Und dann sieht man sie doch die Einrichtungen derselben nutzen. Aber diesen Spagat müssen wir ja alle leben, da bin ich nicht anders.
Dass es in der deutschen Sprache ein so schönes Wort wie "formtreu" gibt, sollte Sie und uns über derartige Verluste hinwegtrösten. Vielleicht sollten wir solche Worte ähnlich liebevoll pflegen, wie die Kleidung, die uns ans Herz gewachsen ist.
Sie war zwar nur von Brenninkmeijer, stand aber insgesamt für bessere, weniger verlotterte Zeiten. Auch sprachlich. Das Verhältnis war innig, vielleicht gerade, weil sie so bodenständig war. (Mein Gott, die bunten modischen Fummel zwischendurch - die kamen und gingen.)
wir sollten aber schon feststellen, dass es sich hierbei um " "formtreu" " handelt und nicht etwa um "formtreu". wie alt die jacke wohl im letzteren fall geworden wär, bleibt das geheimnis der, hörthört!,
katholischen brenninkmeijers...
(schnell, die
tageslosung!)
Sie haben recht! ""Formtreu"" - das ist mir entgangen. Tja, behaupten kann man ja viel. Jetzt erklären sich im Nachhinein doch die ein oder anderen Defizite. Ich bin entzaubert!
das tut mir aufrichtig leid.
aber vielleicht macht es den abschied leichter.
Meine Grossmutter haette sich nicht getrennt!
Sie haette den Stoff aufgetrennt, gewendet und
neu zusammengenaeht. So entstuende gewiss
nicht nur "Formtreue"!
Bonnui! Audrii
Die war sehr alt, ich hatte sie aus zweiter Hand. Wir haben lange alles versucht, aber irgendwann gab es leider keine Maßnahmen mehr. Die Entscheidung fiel wirklich nicht leicht.
Ach, wie verheißungsvoll, wenn jemand so liebevoll von seiner Kleidung spricht. Was erwartet da alles erst die menschlichen Begleiter(innen)...
Meine Jacke ist immerhin mit mir ausgegangen. Na ja, lassen Sie sich bitte nicht blenden. Wenn zum wiederholten Mal die Säume im Futter aufgingen, konnte ich auch sehr ungeduldig werden. Und wie oft ich sie geschüttelt habe! Und sicher habe ich sie auch ab und an etwas achtlos... nun ja, wir sind eben alle keine Engel.
Zu oft getragen, deshalb sieht sie so aus und muss nun weg.
Daß Frau Wolle und Herr Schur nun u-n-b-e-d-i-n-g-t einen Doppelnamen wollten, sei ihnen gegönnt. Aber mußten sie ihr Kind unbedingt Reiner nennen ?
Genug gekalauert, Sie haben natürlich recht:
"Das Alter, die Erfahrung verliehen dir einen Glanz, den manche schäbig nannten."
Das ist die Krux. Ganz schnell heißt es in unserem Alter nicht mehr "Der ist exzentrisch", sondern "Der ist senil".
... und so habe ich mich, als die Abschürfungen am Ärmel meines Lieblingssakkos gar nicht mehr zu kaschieren waren, nach *schnief* 15 Jahren von ihm getrennt *schnief*.
Ach, wem selbst schon mal ein Faden riß, dem wird ein gnädigeres Urteil sich bilden, äh, sorry, ich bin noch im Losungsmodus, bildet sich ein gnädigeres Urteil. Hätte ich einen Garten, die Jacke hätte ihr Gnadenbrot als Arbeitsanzug beim Rosenschneiden (ein vorzügliches Hobby für ältere Herrschaften - die Rosenzucht) erhalten können.
Aber wo andere gesagt hätten, was willst du mit dem alten Lumpen? stand ich lange in Treue fest. Die Jacke und ich - wir hatten auch gute Zeiten!
Es gibt auch Frauen, die manch Kleidungsstück bis zum fusseligen Ende tragen. :o)
Jaja! ICH weiß das!
Tatsächlich? Ich kenne so viele rigorose Frauen, bei denen es gleich heißt: Der alte Fetzen? Weg damit!
Lach. Leider nein. So manch einer ist an mir schon verzweifelt; ich mag shoppen nur bedingt, bzw. finde einfach nichts adäquates.
Ist das wahr? Ich liebe das ja. Frisch präpariert mit Styling-Tipps gehe ich sogar gern mit Frauen Shoppen.
Was? Na dann auf in eine neue Jacke sozusagen! Sicher findet sich auch eine Frau, die Sie gerne begleiten wird!