Machen wir doch Volkstrauertag

Heute durfte man bei Isa ein wenig über das traurigste Lied sinnieren. Ich kenne mich ja mit Traurigkeit nicht so aus, weil ich mehr so der lebenslustige Typ bin, wie meine Ärztin, die aus Berlin stammt, und ich heute feststellten, während wir meine Werte besprachen und dabei gemeinsam das Brandenburg-Lied von Rainald Grebe summten. Das allerdings ist aber nur bedingt traurig.

Es gibt auch einen feinen Unterschied zwischen echter Traurigkeit und, nun ja, Gejammer. "The Drowning Man" von The Cure beispielsweise ist natürlich ein ziemlich tränen- und wassernasser Runterzieher. Aber traurig ist es nicht, es ist Gejammer. Hingegen "Easter Sunday" von Patti Smith, das ist traurig.

Richtig traurig aber ist "Wichita Lineman" - aber nur und ausschließlich in der Version von Johnny Cash, dem Mann mit dem man gern über ein oder zwei Dämonen hinweg ein, zwei Sätze gesungen hätte. Das Stück, ursprünglich von Jimmy Webb und bekannt geworden durch Glenn Campbell, ist im Grunde ein Liebeslied. Das sind viele traurige Lieder, aber bei diesem Liebeslied ist von vergangener Liebe erstmal gar nicht die Rede. Vordergründig schwebt hier nur die Wehmut durch die dürren Zeilen, die die Arbeit eines Typen beschreiben, der die elektrischen Überlandleitungen in der Ödnis von Kansas überprüft. Simple Dinge, draußen sein, Drähte flicken, das Wetter beobachten. Würde es regnen, könnte er auch mal eine Auszeit nehmen. Und natürlich, da lügt der Text, keine kleine. Und dann ist da schließlich auch noch etwas anderes. Die Stimme, die er hört, wenn die Drähte summen. Aber er muß ja seinen Job machen.

"And I need you more than want you/And I want you for all time", das, Freunde, muß man auch erstmal von der linken in die andere Herzkammer transportiert bekommen. Oder auf dem Klavier spielen für jemanden, wenn man dort nicht verscheucht wird. Ist aber auch wahrscheinlich wenig Zeit für, wenn man pflichtbewußt ist, denn The Wichita Lineman is still on the line. Man muß ja immer weitermachen.

Radau | 21:00h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
anousch o. - Donnerstag, 4. Dezember 2008, 23:16
Carry each other
Gestern hat selber singen noch geholfen. Ich bin ja auf leichte Akkordfolgen angewiesen und so habe ich unermüdlich Am-D-F-G-C in die Stahlsaiten meiner Yamaha gegriffen und gesungen: Is it getting better/Or do you feel the same/Will it make it easier on you now/You got someone to blame... Sie ahnen es schon: One nach der Version von Johnny Cash, eben weil es so schön einfach zu spielen ist und somit Frohsinn in die Bude zaubert.
Heute allerdings bin ich unrettbar auf Kansas gestimmt, oder Brandenburg (nach der Version von Rainald Grebe) - da hilft wohl nichts, dachte ich - bis Sie mich mit Ihrer Lebensfreude angesteckt haben;)

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kid37 - Freitag, 5. Dezember 2008, 13:48
Unverdrossen
Wie heißt es so schön: Glück & Freude werden nicht weniger, wenn man sie teilt. "Und, wie ist es ihnen denn?" fragte meine Ärztin. Und ich bin erstaunt, was die sich alles merken kann. Also zitierte ich meinen Vater, der mir den wichtigen und kaum zu widerlegenden Lehrsatz mit auf den Weg gegeben hat: "Hinterher lachst du drüber." Den fand sie gut, denn sie ist jung und wohl auch der Typ dafür. Manchmal sprechen wir ein wenig über unsere Städte, und ich sehe das Licht in ihren Augen, wenn die Sache auf die ihre kommt. Wenn sie vom Weggehen spricht und ich sage, es soll da,summ summ summ, Rainald Grebe, nette Orte geben. (Und im stillen denke ich, kommen sie, ich zeig ihnen mal, wo in Hamburg die ganz großen Dampfer anlanden.) "Now you got someone to blame" - ein rostig-schneidender Akkord, bis man seine Stahlsaiten neu gespannt hat. Danach gilt der Sinnspruch meines Vaters. Denn I got myself to blame, und wenn, dann sollte man über sich selbst lachen.

Holen Sie mich gelegentlich mal mit dem Schirm vom Bahnhof ab und führen Sie mich aus. Dann machen wir uns einen lustigen Abend mit traurigen Liedern. Aber erst muß ich weiter die Überlandleitungen überprüfen, es sieht noch nicht nach Regen aus.

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