Der Tod, das muß ein Wiener sein



Als Frau Sonne und ich neulich über den Zentralfriedhof flanierten, fiel mir ein Spruch ein, den ich früher oft zu hören bekam. "So wie du arbeitest, möchte ich Urlaub machen."

Nun dachte ich, so wie die begraben liegen, möchte ich einmal wohnen. Der kleinbürgerliche, im Sinne Batailles "unbefreite", Spießer wie ich entlarvt sich ja durch seine Vorliebe für architektonische Girlanden, Türmchen, Zinnen und bauwerklichen Zierrat, gleich dem er Zweckbauten mit kitschigem Tand behängt, als seien es Weihnachtbäume. Das mag sein, malerisch ist es allemal. Und wo, bitt'schön, darf man ein kleines Herz haben, wenn nicht auf dem Friedhof.

Dorthin gelangt man schnell in Wien. Nicht nur, daß man darauf achten muß, welches Brot einem scheinbar harmlose Rentner im Park anbieten. Könnte sein, daß sie damit gerade noch Tauben vergiften wollten, wie es in dem Lied heißt.

Auch der Straßenverkehr bietet Gefahr. Zebrastreifen, so lernte ich nämlich auf die harte Tour, haben auf Wiener Straßen eher dekorativen Charakter. Ampeln sind zudem gern hoch über jeglicher Augenhöhe in der Kreuzungsmitte angebracht. Eine echte Piefkefalle. Dürfte speziell für Ostdeutsche tendenziell letale Wirkung entfalten, halten diese doch meiner bescheidenen Erfahrung nach Zebrastreifen für Fußgängerüberführungen, auf denen Automobile schlichtweg nicht zu erwarten sind.

Alles ist vergänglich.

Als wir im Hawelka saßen, eine existentialistisch angehauchte Melange schlürften, und ich mir die kulturhistorisch bedeutsamen Bruchkanten und offenliegenden Tapetenschichten an den Wänden betrachtete, fiel mir kurz Frl. Sylvia ein. Sie konnte den besten Cappuccino in meiner Heimatstadt bereiten und formvollendet servieren (nicht wie diese lustlosen, man kann es nicht anders sagen, Studentenschlunzen, die noch nie davon gehört haben, daß die Oberfläche einer Flüssigkeit sich nicht parallel zur Untertasse, sondern zum Erdboden ausrichtet. Vom Glas Wasser, das zu einem vernünftigen Cappuccino gehört, mal gar nicht zu reden).

Frl. Sylvia war immer verliebt gewesen in Wien. Nicht in mich, leider. Dabei war ich, wie die Hälfte ihrer Gäste, ein wenig in sie verliebt. Frl. Sylvia war immer sehr distanziert und verbreitete eine Aura des distinguierten ne me touche pas, daß es eine Freude war.
Einmal jedoch berührte sie meinen Arm. Sie wollte in den Süden gehen. Sie faßte mich an, und ließ mich eine lange Zeit nicht mehr los. Wir gaben uns noch die Hand und wieder faßte sie meinen Unterarm. Wir haben das beide verstanden.

Nun aber, Jahre später, standen Frau Sonne und ich im Regen auf dem Zentralfriedhof zwischen verwitterten Grabsteinen, eine kurze Gegenwart inmitten lauter Vergangenheit.
So dreht sich das Rad.

Zurück in Hamburg, nach einem Flug über strahlende Wolken, bloß andere Begegnungen, Botschaften aus einer anderen Vergangenheit. Etwas Vergebliches, leichenähnliches. Eine Lüge. An sich selbst und anderen. Ein Tropfen Blut, der ins Wasser fällt, einen langen dünnen Faden zieht, und herabsinkt. Dazu eine eigentümliche Melodie, eine Totenklage. Mehr nicht.

"Rückwärts nimmer..." - wie letzter Hohn, an Stelle einer letzten, sehnsuchtsvollen Berührung, ehe man nach Süden geht.

Keine Botschaft. Die Toten grüßen nicht. Sie haben nur Grabsteine.

You must be known then with messages you must return... to be seen by demanding hands and touches of jealous men invisible and forgivable to all their secret hands... Behind those clouds I'm almost home.

(Blonde Redhead, "Messenger")

Homestory | 02:43h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
sweetmaker - Mittwoch, 9. Juni 2004, 15:51
lustig wenn einem charakteristika, die man selbst gar nicht mehr wahrnimmt, von "aussen" als besonders und anders beschrieben werden: die hochhängenden ampeln sind für einen architekten wie mich interessant. ebenso die tatsache, dass ich gleiches wie sie hr.kid beim überqueren eines zebrastreifens in einer italienischen oder balkanischen stadt empfinde -es scheint da eindeutig ein nord-süd-gefälle zu geben (wobei ich immer dachte, wien ist noch auf der sicheren zebrastreifen seite...)
und zu wien & der tod (klischee, klischee) und dem unbefreiten zierrat sag ich nur 2x adolf loos: "das ornament als verbrechen" und "das letzte haus"

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kid37 - Mittwoch, 9. Juni 2004, 18:12
Ornament und Verbrechen
Was heißt hier Klischee? Rauben Sie mir nicht meine letzten Illusionen. Komm'se mal nach Hamburch, dann lernen Sie nordish by nature. Aber ziehen Sie sich warm an, emotional, meine ich. Die Klischees sind oft sehr wahr. Zum Glück bin ich fast Rheinländer, und kann das hier gut beobachten ;-)

Es stimmt, daß man von außen immer besser den Finger auf die Wunde legen kann. Das macht es ja auch interessant. Der Tod ist in Ihrer Stadt in einer permanent vibrierenden Unterströmung präsent, finde ich. Klischee hin oder her. Eine zuckersüße, morbide, verschrobene Trauer. Vielleicht, weil so viel Vergangenheit präsent ist. K.u.K.
Im Josephinum könnte ich auch gut wohnen. Ich muß noch mal im November nach Wien. Das ist bestimmt wirklich die schönste Zeit. Übrigens auch für Venedig.

Frau Sonne mußte mich anfänglich ein ums andere Mal retten, wenn der Sensenmann über die Zebrastreifen bretterte. Bis sie mich auf die versteckten Ampeln aufmerksam machte... Ich habe aber keinen Krankenwagen gesehen in der Zeit. Irgendwie scheint das zu funktionieren.

Das Loos-Haus ist doch selbst ganz mit Werbetafeln zugekleistert. Aber ich bin sowieso unrettbar im Kleinbürgersumpf verloren. Ich mag sogar Egon Schiele.
Als Architekt müssen Sie auch mal darauf achten, wie präsent das "Mezzanin" in Wien ist. Das lag ja angeblich an irgendwelchen Bauvorschriften, erklärte mir mein Freund, die man auf diese Weise austricksen wollte.

Hier kennt man kaum das Wort, außer man hört Massive Attack.

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sweetmaker - Mittwoch, 9. Juni 2004, 19:27
zuckersüss ist ein gutes stichwort: wien hat sich so eine glasur für die touristen und besucher zugelegt. das funktioniert wunderbar und trägt auch eindeutig zum wohlstand der stadt bei.
im alltäglichen leben hat so was aber keinen platz, da würde man ja krank werden!
ich erlebe wien in den letzten jahren vor allem als eine sich neu definierende, zentraleuropäisch und leicht balkanisch (zb. naschmarkt) angehauchte stadt, die immer mehr aufblüht und richtung zukunft blickt.
@nordish: ich hab verwandte in norwegen und letztens hab ich sie über den landweg (mit schlafwagen bis hamburch und dann on_the_road) besucht:
mein(e) nordische(s) klischee/wahrheit: das licht!

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kid37 - Donnerstag, 10. Juni 2004, 15:26
Wie ich gerade über Polarluft erfahre, nennt der Wiener den Zentralfriedhof auch Würmerlpark. Das ist der Humor, den ich liebe.

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sweetmaker - Donnerstag, 10. Juni 2004, 17:36
und der sarg wird auch holzpyjama genannt!
-> "...der hat scho sein holzpyjama ozogn..."

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kid37 - Donnerstag, 10. Juni 2004, 18:03
Fantastisch. Das kommt alles in mein Buch.

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sweetmaker - Donnerstag, 10. Juni 2004, 20:16
wie wird es denn heissen?

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