Sonntag, 15. September 2024


Seltsame Vergnügen: Viktorianer im Würfelfieber



Im 19. Jahrhundert durften Frauen nur wenige Berufe ergreifen. Das Leben im städtischen Bürgertum verdammte die wohlhabenderen unter ihnen zu einem Leben im Haus und in damit verbundener Eintönigkeit. Vor diesem nebligen Hintergrund aus Langeweile und Unterforderung entwickelten sich allerlei Marotten, die Flucht in Opiate etwa, besessene Sammelleidenschaften profaner Dinge, die morbide Stickkunst aus den Haaren Verflossener, das Schreiben von Büchern.



Abwechslung brachten aber auch Moden wie der Besitz exotischer Tiere oder Pflanzen (dazu später einmal mehr), esoterischer Spinstereien oder das Spielen harmloser bis anzüglicher Gesellschaftsspiele. In die Zeit dazwischen, also die ohne Gesellschaft, brach um 1852 herum eine launige Erfindung, die halb London in einen Rausch versetzte. Der Ingenieur Daniel F. Rube erfand Würfel, bald bekannt als Rube's Cubes, mit bedruckten Symbolen, Zahlen oder einfach Buchstaben, die miteinander in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen waren.



Die Würfel mussten gestapelt werden, was heutzutage im Rückblick fast banal leicht klingt, in der viktorianischen Zeit aber eine Herausforderung war. Zumal nicht alle Damen des Hauses so belesen waren, wie man denkt oder auch nur das Alphabet von A bis Z kannten. Eine gedruckte, ausführliche Anleitung sollte helfen, wie man mehrere Würfel zu Türmen und Pyramiden schichten und gleichzeitig zeichensystemische Zusammenhänge wahrt. Also Zahlenräume abbildet oder eben das Alphabet.



Das konnte vorwärts oder rückwärts oder in erratischen Sprüngen getan werden, und so waren viele Frauen von der Vielfalt der Möglichkeiten und ihrer Entdeckung entzückt und rasch auch verlottert. Kaum war der Hausherr auf dem Weg ins Kontor, eilten ihre Gattinnen (oder die Töchter des Hauses) in den Salon, manchmal noch kaum angekleidet oder gekämmt, und versanken für Stunden in ihr Würfelspiel.



Die Vernachlässigung der häuslichen (und manchmal auch so genannter ehelicher) Pflichten blieb mit der Zeit auch den eher mit sich selbst beschäftigten Herren nicht unbemerkt. Moralisch entrüstete Artikel erschienen in der Zeitung, satirische Karikaturen überspitzten die Auswüchse der neuen Mode, erboste Pfarrer erbitterten sich von der Kanzel herab. Gleichwohl erschienen immer neue Varianten der verhexten Würfel in allen Größen und Farben. Manche lösten ihre Rätsel schnell, andere überhaupt nicht, aber die Begeisterung hatte die meisten erfasst. Von einigen wird berichtet, dass sie die Würfel auch abends am Familientisch oder sogar im ehelichen Bette nicht aus der Hand legen konnten oder nur darauf warteten, dass der Gatte schlief, um die heimlich versteckten Quader unter dem Kopfkissen hervorzuziehen.



Um 1860 herum begann die Manie abzuflauen. Die Würfel wurden in der Familie weitergereicht, die meisten landeten im Kinderzimmer und wurden von Kleinstkindern schon gestapelt - freilich zumeist ohne Sinn für strukturelle Zusammenhänge oder auch nur den Grundlagen der Physik und insbesondere der Schwerkraft. Es kümmerte aber niemanden mehr, die bourgeoise Gesellschaft hatte sich längst anderen Trends und Ablenkungen zugewandt.



Leider aber blieben manche auch "hängen", wie man so sagte. Die "Würfelkrankheit", wie sie ein Nervenarzt aus dieser Zeit beschrieb, hatte keine geringe Zahl von Frauen befallen. Von einer trübseligen cube mood erfasst, saßen sie wie antriebslos vor ihren Würfeln, unfähig zu Stapeln oder Sortieren und auch sonst nur schwer für andere Dinge zu begeistern, die außerhalb von gradlinig strukturierten Kästchen lagen. Die am schwersten betroffenen Würfelkranken konnten nicht mehr "out of the box"* denken, wie man damals sagte. Traurige Fälle, die man meist schnell aus dem Familienalbum entfernte, weshalb es davon nur noch wenige erhaltene Fotografien gibt.


 


Freitag, 6. Oktober 2023


Tag der Glühbirne


Um 1882: Eine Birne verspricht glühende Landschaften

Ich muss meine langwierigen Betrachtungen über Brüssel im Zwielicht kurz unterbrechen, um ein Licht auf eine Erfindung des 19. Jahrhunderts zu werfen, die die Welt buchstäblich erhellte: die Glühbirne. Am 1. Oktober wurde weltweit der Change-a-Lightbulb-Tag gefeiert, ein Birnchen-wechsel-dich-Tag, der zum Energiesparen aufrufen soll (Es ist natürlich auch ein Tag für allerlei schmale Witze à la "Wieviele Blogger braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln?" usw.).


Werbeprospekt für die elektrische Glühbirne um 1882

Erfunden hat das kleine Zimmerwärmewerk bekanntlich nicht etwa Thomas Alva Edison um 1880, der hat es wie so viele seiner "Erfindungen" nur "vorgefunden" und "verbessert". Oder sagen wir so: Zum Patentamt hatte er kurze Wege. Um 1875 bis 1880 herum kamen jedenfalls mehrere Erfinder (auch in Deutschland) zeitgleich auf die Idee einer Glühlampe mit hochohmigen Glühdraht, was einige technische Vorteile bot. Einige Entwürfe und Prototypen wurden auch auf der Pariser Weltausstellung 1878 vorgestellt - zusammen mit dem Eiffelturm, weshalb dieser auch bis heute elektrisch beleuchtet ist. Seither hieß es - in besser gestellten Häusern zunächst - "Es werde Licht", und es ward Licht.


Arbeiterin in einer Glühbirnen-Reparaturwerkstatt, die im viktorianischen London bald wie Pilze aus dem Boden schossen

Wie immer bei neuen Moden gab es im viktorianischen Zeitalter einen allzu menschlichen Hang zum Exzess. Manche wollten sich nicht länger "gaslichten" lassen und hängten sich nun die Zimmer übertrieben voll mit Glühbirnen, brachten Licht ins Dunkle und Dämmrige, vertrieben erst die Schatten, dann die Triebe, fingen massenhaft an zu lesen und in der Folge an, Ideen zu entwickeln.


Neben der für ihre anzüglichen Posen beliebten "French Card" wurden auch Karten aus dem Genre "das elektrische Schlafzimmer" eifrig gehandelt

Die Glühbirne wurde zum Accessoire de Jour, fand mit ihrem wendelförmigen Gedrahte Einzug in Mode und Schmuckornamentik, (die halbe Welt des späteren Art deco basierte nicht von ungefähr auf dem gezielten Einsatz von Licht) und galt ganz allgemein als Statussymbol. "Darf ich ihnen zu Hause meine Glühbirne zeigen?" lockte so manches unterbelichtete Fräulein und hin und wieder auch den ein oder anderen naiv gedimmten Herren in wenn auch nur schummrig beleuchtete Bedrängnis (anders als heute üblich hatte man natürlich keine 100-W-Strahler als Nachttischlampe). Kurz: die Welt war elektrifiziert und zeigte dies gerne.


1905 kam es zur ersten bekannten Wahl einer "Miss Glühbirne"

Lange vor der Neuen Sachlichkeit fand die Glühbirne bereits als strahlend in Szene gesetztes Objekt der Begierde Einzug in die Welt der Fotografie. Nach dem augenzwinkernden Motto "Mit Magnesiumblitzen auf Glühbirnen!" wurden waren Lichterfluten inszeniert, und in den nur im Halbdunkeln gehandelten freizügigen Pin-up-Katalogen dieser Zeit fanden sich leicht bekleidete Damen in freizügigen Posen im Schein von glimmenden Kohlefaserdrähten.


Um 1900 bereits wurden zur Weihnachtszeit Karten mit festlicher Glühbirnendekoration an die Liebsten verschickt


 


Freitag, 4. August 2023


Ausgefallene Hobbys



Im 19. Jahrhundert erblühten bekanntlich die exzentrischsten Hobbys und Angewohnheiten. So polierten freitags abends, wenn die Pflichten der Woche erledigt waren, ledige viktorianische Damen gerne die Schädel ihrer Ex-Liebhaber. Heute unvorstellbar? Hoffentlich. Aber in der von allerlei Morbiditäten angekränkelten Zeit des Viktorianismus, in dem der Trauerkult extreme Blüten trieb, war dies ein verbreiteter Zeitvertreib und eine stille Genugtuung für die Damen.



Häufig wurde die Schädelkollektion ganz ungeniert und mit einem gewissen Stolz im Salon postiert. Sie waren Gesprächsstarter und Eisbrecher für Smalltalk bei geselligen Soireen, wenn man nach Trunk und Spaß beim Kartenspiel und spiritistischem Schabernack noch ein Thema für die gepflegte Konversation suchte. Man muss immer wieder daran erinnern: Fernsehen oder gar Streaming gab es ja nicht! Die Kultur- und Sittengeschichte geht über solche Dinge heutzutage hinweg, aber die Zeiten waren grimm, und die Gier nach Abwechslung und Frivolitäten groß.



Apropos, Frivolitäten. Eros und Thanatos trafen natürlich auch auf Spitzendeckchen wie Ying und Yang zusammen. Solche Bilder und Gesten sind daher Lockung und Warnung zugleich: Was süß beginnt, wird knöchern enden.

(alle Fotos aus dem Archiv für Trauerkultur, private Sammlung)


 


Sonntag, 25. Juni 2023


Naturkunden I.


Aufnahme aus der Sammlung des naturkundlichen Museums. Wohl nicht für wissenschafltiche, sondern für werbliche Zwecke gedacht - man achte auf die "neckische" Positionierung des Käferbeins über den Rand des Passepartouts

Im Zeitalter des Viktorianismus, wir sprechen also über das 19. Jahrhundert, hatten die meisten ein exzentrisches Hobby für wenn sie um fünf von der Arbeit nach Hause kamen und sich ein wenig im Salon die Zeit vertreiben wollen. Es war die Zeit des Kolonialismus, dem Drang, die Welt neu zu kartieren und zu unterwerfen. Eine Zeit der technischen Entwicklungen, aber auch Entdeckungen in Natur und Medizin, Kunst und Psyche, die ganz Europa unter Dampf setzte. Vieles ist heute wieder halb oder ganz vergessen, aber eifrige Flohmarktgänger oder Dachbodenstöberer wie ich, können in staubigen Kisten immer wieder einmal ein obskures Erinnerungstück finden. So wie dieses Fotoalbum mit größtenteils vergilbten und beschädigten Aufnahmen "von früher" (Auskunft des Verkäufers).


Der Leiter der naturkundlichen Abteilung Wilhelm Wilhelm von Ehrendorff mit einem Pflanzenpräparat

Ein zu seiner Zeit bekannter Naturforscher war Wilhelm Wilhelm von Ehrendorff (einmal benannt nach seinem Großvater und einmal nach dem deutschen Kaiser, seine Enkel nannten ihn später humorig "WilhelmZwo"), der Ende des 19. Jahrunderts im Fuhlrott-Museum in Wuppertal eine naturkundliche und insbesondere entomologische Abteilung betreute und Exponate aus aller Welt zusammensammelte. Dabei machte er auch selbst Entdeckungen im Bereich Taxonomie der Insektenkunde, ihm zu Ehren wurde der oben abgebildete Brasilianische Glattkäfer lateinisch Borrus Ehrendorffus benannt.


Brasilianischer Glattkäfer (Borrus Ehrendorffus), eines der Glanzstücke des Museums. (Beschädigtes Exemplar o. Kopf)

Mit einem Stab von Mitarbeitern führte er die naturkundliche Abteilung um die Jahrhundertwende zu einigem Ruhm (heute ist das Museum leider von der Stadt Wuppertal zerstört) und hinterließ eine beachtliche Sammlung an aufwendig präparierten und extrem seltenen Schaustücken.


August Angström, aus Schweden stammender ehemaliger Lehrer, der als Präparator am Museum arbeitete neben einem unbekannten, im Krieg verschollenen Ausstellungstück


Dr. Egbert von Bratzenheim mit einem sogenannten Riesenkäfer (Brachialus maximus)


Dr. Nikolas Markwerth, Entdecker der westafrikanischen Riesenkohlfliege (Mus Cauli deforma)


Der pädagogische Leiter Dr. Fritz Beckern-Beckenburg neben einigen Schaupräparaten für "die Erbauung der Jugend"


Der seltene Ringelmoll, eines der wenigen - und heute ebenfalls verschollenen - Präparate des nachtaktiven Fraßwurms (entfernt mit den Schnecken verwandt)

So weit so gut, die Geschichte kennt in Wuppertal sicherlich jedes Schulkind. Nun wäre das 19. Jahrhundert nicht das exzentrische Jahrhundert, wenn es aus dieser Zeit nicht, wie man damals sagte, einen kleinen Schmunzler zu berichten gäbe. So groß war nämlich das Interesse an Forschung und Wissenschaft, sicherlich aber auch an Exotik und "Glamuhr" (damalige Schreibweise im Bergischen), dass sich nicht an und für sich brave Damen des aufgeschlossenen Bürgertums bereit erklärten, für einen kleinen Spendenkalender und Festgabe zur Weihnachtszeit mit ausgewählten Präparaten des Museums Porträt zu sitzen:





Namentlich nicht erwähnte Damen aus dem Bürgertum, die mit einem Kalender Spendengelder für das Museum einwerben wollten

Lose beigelegt war dem Album ein Foto aus dieser Reihe, das es mit einiger Sicherheit nicht in den Kalender geschafft haben dürfte. Es ist selbst für vikorianische Verhältnisse, insbesondere aber die im protestantisch geprägten Wuppertal, auffällig obskur.


Unbekannte mit einem nicht identifizierbaren Präparat. Möglicherweise ein Elefantenrüssel unklarer Herkunft.


 


Sonntag, 14. Mai 2023


Seltsame Vergnügen: Das gefährliche Spiel mit den Blitzen


Experimentierfreudige viktorianische Dame mit ihrem Drachen bei einem Gewitter


Der Versuch, Blitze mit Hilfe von Flug- und Lenkdrachen einzufangen und ihre elektrische Natur zu bestimmen, geht auf Benjamin Franklins berühmten Vorschlag eines „Drachenexperiments“ zurück. 1752 führte der Franzose Thomas-François Dalibard auf einem Feld im nordfranzösischen Marly-la-Ville einen solchen Versuch mit Hilfe von metallischen Stäben durch. Bei einem ähnlichen Versuch wurde der deutsche Physiker Georg Wilhelm Richmann 1753 in St. Petersburg von einem Blitz erschlagen. Wir lernen daraus: Bitte nicht nachmachen!




Viktorianische Damen bei verschiedenen Blitzabenteuern. Neben Drachen waren auch feste Stangen genügender Länge sehr populär

Diese Warnung kümmerte allerdings nicht die generell allerlei Exzentrizitäten gegenüber aufgeschlossenen Viktorianer im 19. Jahrhundert. Es war die Zeit, als Elektrizität fassbar wurde und in den großen Städten nach und nach das Licht in die Häuser brachte. In dieser an Eigentümlichkeiten nicht armen Zeit entstand so ein weiteres eigentümliches Hobby. Insbesondere die vom Alltagsleben gelangweilten Damen des aufstrebendes Bürgertums waren fasziniert davon, heimlich (oder auch ganz offen) im eigenen Garten oder großen Parks „einen Drachen steigen zu lassen“ (wie es verschwörerisch hieß und später auch in anderen restriktiven Systemen wie der DDR als Begriff geläufig wurde), angetrieben meist von dem Wunsch, ein gewisses „Kribbeln“ zu spüren, von dem allseits, aber stets unter der Hand berichtet wurde.


Manches unglückliche Fräulein auf freiem Feld wurde auch direkt vom Blitz getroffen

Insbesondere in gewittrigen Nächten schlichen sich hoch- aber zugleich aufgeschlossene Frauen aus dem meist gutbürgerlichen Haus, den Drachen und eine lange aufgewickelte Schnur unter dem Arm oder in einer großen Tasche verborgen und versuchten, aus dunklen Wolken heraus, einen leuchtenden Blitz auf ihren Drachen herab- und über die vom Regen feuchte Halteschnur in dann ungefährlichem Maße auf sich hinunte zu lenken. Manch eine Dame allerdings bezahlte das kribbelnde Vergnügen mit dem Leben. Auf den Hügeln und freien Feldern sanken immer wieder welche von ihnen vom Blitz getroffen zu Boden, manche erschöpft, weil ihnen das Prickeln zu stark wurde, andere schlicht erschlagen, wiederum andere standen in hellen Flammen, Drachen und Leine lange noch in der Hand, und starben eines jämmerlichen Todes.



Das ungewöhnliche Hobby ist bis heute gefährlich. Einige Damen fingen regelrecht Flammen

Bald kam es zum Verbot dieses außergewöhnlichen Hobbys, was interessierte Männer aber nicht daran hinderte, die Idee weiterzudenken und etwa mit Hilfe von elektrischen Leinen, Fische in Teichen und Seen zu angeln.


 


Samstag, 29. April 2023


Through a Glass Darkly


(Geist IV aus der Reihe: "Spiritistische Bilder". Kohle, Papier, Digital.
Ca. 22x30 cm, 1000,- Mark)

Frühlingsbeseelt hat unten auf dem Kanal der Bootsverkehr wieder eingesetzt, auch wenn die Wasserwege zum Teil für eine Zeit gesperrt waren. Ein Großbrand in der Nähe spülte Löschwasser, Öle und andere Chemikalien in die Gewässer. Sieh die Welt schillern und glitzern, Finger recken aus wüstem Müll.

Tote Fische allerdings trieben nicht vorbei, doch nutzte ich die rauchig aufgeladene Atmosphäre, durch eine vorsichtig und gleichmäßig verrußte Scheibe Geistererscheinungen aus dem Äther auf Papier zu bannen. Ein komplizierter und fragiler Prozess, zu dem es absolute Ruhe und entspannte Konzentration braucht.



Ich werde von Interessierten oft gefragt, wie man diese Erscheinungen anlocken kann aus ihrer zwischenweltlichen Dimension. Nun bin ich ein sachlicher Mensch mit unverrückbarem Glauben an Technik und Erfindung. Hier ist also kein Hokuspokus im Spiel, sondern ein sog. "Ätherdetektor", den ich zu diesem Zweck erfunden habe. Ohne zu sehr ins Detail gehen zu wollen, ist das Prinzip wie folgt kurz erklärt (Passt aber auf, es könnte im Abitur vorkommen): Mit Hilfe einer Kurbel wird eine Trommel aus Metallstäben, in der sich drei keramische Ionisatorkugeln befinden, in Bewegung gesetzt. Ab einer bestimmten Schwingungfrequenz werden nun bestimmte Strahlungen aus dem Äther erregt, geraten mit der Maschine in Resonanz und laden die Kugeln. Da aber die Trommel zugleich einen Faraday'schen Käfig (das ist Physik) bildet, sind die Strahlen "gefangen" und beginnen alsbald (man muss immer weiterkurbeln) über der Maschine zu wabern und ein flackerndes Bild (meist das einer Person) zu erzeugen.

Nicht komplizierter als eine Scheibe Toast zu bräunen, sage ich immer. Vorausgesetzt, man hat die richtige Maschine dafür.


 


Freitag, 3. Februar 2023


Sieh an, sieh an

Gute Geschichten sind niemals auserzählt. Während meiner Recherchen über die wohl erste Reise zum Mond (die älteren Leser erinnern sich) stieß ich natürlich noch einmal auf die frühen Werke von Georges Méliès und dessen berühmten (und zum Glück erhalten gebliebenen) Film Die Reise zum Mond (1902). Von dort war es nur einen Kürbiswurf weit zum ebenfalls berühmten Video zum Smashing Pumpkins-Song "Tonight, Tonight" (1996), dessen Erzählstruktur (ergänzt um eine wirklich auch sehr schöne Unterwasserszene) verdächtige Parallelen zum eingangs erwähnten Überraschungsfund (Dachboden! Rar! Nichtraucherhaushalt!) aufweist. Vorsichtig bemerkt: Da Billy Corgan als sehr kunstinteressiert gilt, würde ich mich nicht wundern, wäre ihm das frühe Fundstück bekannt gewesen. (Die Idee geht offziell auf Wayne White zurück, künstlerischer Direktor für das Video. ) Ich bleibe dran.


 


Dienstag, 13. Dezember 2022


Sensationsfund: Der erste Flug zum Mond?



Wer mich kennt, weiß, daß ich nicht nur rostige Nägel von der Straße sammle (nur die verbogenen), sondern auch immer wieder alte Fotoalben auf Flohmärkten. Unter diesen "Found Fotos" ist so mancher vergnügliche Schatz, ein nostalgischer Ausflug oder Familienfeier mir durchweg fremder Leute oder auch die ein oder andere delikate Unanständigkeit. Selten aber gelang mir ein Fund derart historischen Ausmaßes. Eine Sensation, möchte ich behaupten. Unter allerlei unansehnlicher Schinken zog ich ein Album hervor, dessen Inhalt ich zunächst schwer erfassen konnte (wird ja früh dunkel zur Zeit). Daheim aber wurde mir beim Durchblättern klar, daß hier wohl die Geschichte der Raumfahrt neu geschrieben werden muss.



So viel konnte ich mir bislang zusammenreimen: Es handelt sich offenbar um das Expeditionstagebuch eines mysteriösen Raumfahrtprojekts aus dem Jahre 1887 ("Space 1887"). Zahlreiche Studioaufnahmen und Magnesiumblitz-Schnappschüsse belegen das Unglaubliche: Ein kleines Team von Wissenschaftler:innen hatte offenbar eine Rakete konstruiert und die abenteuerliche Reise zum Erdtrabanten angetreten. Mehr noch, dort scheinen sie nicht nur eine bizarre Welt, sondern auch Lebewesen (im Album tituliert als "Außerviktorianer") getroffen zu haben. Es ist wirklich unglaublich, aber ein weiteres kleines Fundstück liefert noch mehr Hinweise. Offenbar ist aus dem Konvolut der Expedition, zu dem sicher auch Tagebücher, Briefe und andere Aufzeichnungen gehörten, ein kleiner Film entstanden. Nun war der ja zur Zeit der spektakulären Mondreise noch gar nicht erfunden, das auf 8mm gedrehte Material muss also nachträglich zusammengestellt worden sein.


Die viktorianische Mondrakete und ihr Schwesterstück

Mittlerweile habe ich den Film digitalisiert (und dabei mühsam einige Kratzer und Artefakte restauriert), zurückhaltend vertont und im Internet zugänglich gemacht. Er fasst die wichtigsten Sequenzen der Reise, so wie es auch das Album abbildet, gut zusammen und demonstriert eindrücklich, wie weit unsere Vorfahren im 19. Jahrhundert bereits waren.




Das viktorianische Team aus Weltraumforschern mit verschiedenen Raumanzügen


Die ungewöhnlich konstruierte Raumsonde


Eines der altertümlichen Messgeräte für die Reise zum Mond

Wir sehen das kleine Team von Abenteurern (die im Album erähnten Namen sind über eine einfache Netzrecherche alle nicht zu verifizieren), ihre Vorbereitungen, die technische Ausrüstung (allesamt geniale Ingenieursleistungen), ein Foto vom Start und der Landung auf dem Mond. Auch der erste wagemutige Ausflug auf dem nahen Himmelskörper ist dokumentiert. Der Ausstieg aus der Landekapsel, ein Mondfahrzeug und ein Zelt, die Tücken (oder Freuden) der geringen Schwerkraft und die ernsthafte Erkundung der Umgebung.


Der Navigator der Reise auf seinem Mondspaziergang


Eine Forscherin seilt sich auf die Mondoberfläche ab


Die Raumfahrer erleben die verminderte Schwerkraft auf dem Mond

Die Bilder sind auch sprechende Zeugen der Fotografiegeschichte. Die langen Belichtungszeiten führten zu Verwacklungen und Bewegungsunschärfen, dazu kommen die von der Strahlung im Weltenraum verstärkten Aberrationen und Verzerrungen der Objektive. Auch scheint sich die Kollodiumschicht der Glasnegative im All nicht immer gut entwickelt zu haben. Es gibt Flecken und Schlieren, Kratzer und Wellen. Doch vieles ist erstaunlich gut zu erkennen und über die Jahrzehnte erhalten geblieben, seien es technische Abbildungen oder beiläufige Schnappschüsse.


Der überaus eigentümlich konstruierte "Mond Explorer"


Ein viktorianischer Mondspaziergang im romantischen Erdschein

Bestürzend aber die weiteren Ereignisse, so weit sie sich aus dem Dokumentarfilm und dem Album erschließen lassen. Die Begegegnung mit den "Außerviktorianern" auf dem Mond hinterließ die Raumfahrer geschockt und wie in einem Horrorroman gefangen. Nicht ganz klar ist, ob alle Teammitglieder die Erde lebend erreichten, und wenn, in welcher Form.


Ein viktorianischer Mondmensch (damals "Außerviktorianer" genannt)

Dieser Bericht erscheint hier noch exklusiv. Ich werde die ganzen Tatsachen und auch meine weitergehenden Vermutungen später den illustrierten Zeitschriften und Magazinen melden. Und natürlich der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt. In der Vorweihnachtszeit allerdings haben die Kollegen sehr viel zu tun (sog. "Sternsingen"). Im neuen Jahr aber werde ich die Sensation verkünden! Ihr habt es hier zuerst gehört.


 


Montag, 28. November 2022


Das dritte Bein



Wohl jeder hat diesen einen nervigen Onkel oder diese eine nervige Tante in der Familie, die mit qualvoller Regelmäßigkeit verrauchte Geburtstagsfeiern und festliche Tischgesellschaften partout mit "lustigen" Zoten oder endlosen Diaschauen voller sog. "Oh-la-la"-Bildchen unterhalten wollen.

Großtante Eustachia machte sich gerne einen Jux mit ihrem dritten Bein, das sie Jahre zuvor bei einer mexikanischen Lotterie gewonnen hatte. Lässig überschlug sie ihre drei Beine, verzog dabei keine Miene und ergötzte sich an den verblüfften Bemerkungen der Umstehenden. "Auf drei Beinen kannst du geht stehen!" gröhlte dann meist ein angeschwipster Onkel vom anderen Ende des Tisches herüber. "Kann-kann-kannst du auch Can-Can? Und heißt das dann Can-Can-Can?" kicherte die Tante selbstergriffen von ihrem vermeintlich gewitzten Aperçu, der zur Sache aber nichts weiter beitrug und nahm noch schnell einen Schukc vom Pfefferminlikör. Großtante Eulalia schaute gedankenschwer und rauchte ungerührt, also stabil, weiter, blickte dabei melancholisch auf ihre drei Schuhe, die manchmal zusammenpassten, häufig aber auch nicht. Sie war ja gezwungen, immer zwei Paare zu kaufen und nicht immer waren auch identische verfügbar.

Ihr drittes Bein war nicht immer eine Hilfe, oft ein Hingucker, manchmal aber auch eine Last. Menschen starrten ihr auf der Straße nach, Kinder flüchteten erschrocken zu ihren Müttern, Männer hingen Gedanken nach, pöbeliges Pack gröhlte was von "Oh, ein flotter Dreier" und krachten sich die Hände gegenseitig auf den Rücken. Ein dreifacher Spießrutenlauf für die arme Tante! Da es hieß, das dritte Bein sei ein Tombolagewinn aus ihrer Zeit in Lateinamerika, rätselten wir Kinder immer, wie es wohl befestigt sei und warum Tante Eustachia es denn nie abnahm, wenn es doch oft wohl auch hinderlich war. Aber so wie manche mit ihrem Schnurrbart verwachsen waren, den sie als Markenzeichen für sich erachteten, oder einem bestimmten Hemd, das sie so oder ähnlich immer trugen, so war auch Tantes Bein längst ein Teil von ihr geworden. Und warum auch nicht? Wenn sie ihre Beine geschickt im Dreieck aufstellte, blies kein Wind sie um.


 


Montag, 14. März 2022


Fische im Halbdunkel



Demnächst fällt ja wohl die Maskenpflicht, was aus vielerlei Gründen sehr bedauerlich ist. Da wäre einmal der Gesundheitsschutz. Aber auch, daß man nicht so viele grummelige Gesichter sieht. Es mag irgendwie uniformer aussehen in der Außenwelt. Aber auch gemütsneutraler.

Dabei war es auch die Zeit für individualisierte Masken. Wie die von Mask Smith aus Tokio ("Our mask[s] is not just for hiding your face, it reveals WHO YOU REALLY ARE"). Mir haben es da die vom Anglerfisch am meisten angetan. Diese schuppenlosen Tiere zeigen sich gerne nackt (in vertrauter Umgebung), dabei aber stets in stimmungsvollem Licht (Wikipedia). Ich mag Fische, ihre tiefgründelnde Art, und weiß, daß man sie geduldig angeln muß. Mit Anglerfischmaske ginge man durch die Welt wie ein Heimleuchter - unverloren, gewichtig wirkend, sein eigener Leitstrahl und faszinierend anzuschauen. Nie mehr halbblindes Fummeln vor dem Türschloß oder hinten am Kellerregal. Stattdessen ein praktisches Licht, bei dem beide Hände für Wichtigeres frei bleiben. So können auch fische Fahrrad fahren. Ich warte einfach auf die Helmversion.