Große Ereignisse brauchen ja meist eine bestimmte Zeit, ehe sie verarbeitet sind, sich ins Unbewußte eingenistet haben und als Erinnerungssplitter und Resonanzböden zur Verfügung stehen. Beim wöchentlichen Milchpackungs-Yenga in der Fabrikkantine rutschen mir mittlerweile Skulpturen wie diese Milchskyline heraus, die eine fast fotografische Ähnlichkeit zu der einer gewissen großen Stadt in den USA aufweist. Sogar in 3D. Da habe ich mich selbst ertappt!
Die Domino-Zuckerfabrik in Williamsburg hatte es mir ja besonders angetan. Bis 2004 galt sie als größte der Welt (Make Sugar great again!), seither stand sie so rum und verfiel zu einer Filmkulisse. Zu schade, daß sie nun "entwickelt" wird, man ahnt schon das Ergebnis. Da sich die Fassade der alten Fabrik nicht so leicht mit Milchtüten nachbilden läßt, habe ich mir nun ein Fotobuch gekauft.
Fotograf Paul Raphaelson hat das gemacht und für sein Kickstarter-Projekt dazu einen kleinen Film. Man sieht schöne Bildstrecken von den alten Innenräumen, Schaltern und Kontrollräumen, Silos und Förderanlagen - und alles, das ist das zuckergestärkte Sahnehäubchen, ganz ohne übertrieben kitschige HDR-Effekte. (Hier ein Artikel aus dem Brooklyn Daily Eagle.)
Manchmal wenn ich traurig bin, weil ich keinen candy-bar abbekommen habe, schaue ich mir die Bilder der Zuckerfabrik an, Heimat vielleicht eines schaurigen Willy Wonka, der mich mit grellbuntgefärbten Bonbons in den Wahnsinn treiben will.
(Paul Raphaelson: Brooklyn's Sweet Ruin. New York: Schiffer Publishing, 2014.)
Keine Ahnung, was man auf Dauer mit den alten Industriebetrieben machen könnte - also ohne sie zu so nem Retrokitschmist zu degradieren. Zehntausend Industriemuseen braucht ja auch kein Mensch.
Hätte ich paarMarkfuffzig übrig, würde ich dort ein großzügiges Domizil ("Domino-Domizil") für mich bauen. Mit Fernsehraum, sieben verschiedenen Bibliotheken (nach Farben sortiert) und einem fluffigen Partykeller. Kleiner Vorratsraum und eine Dusche, dann ist wohl auch aller Raum verplant.
Ich lunger einfach weiter in Wolfen herum (da gibt's -gottlob- auch kein Glaskuppelgedöns).