Paroles, Paroles



Das Heimtückische an Musik ist ja, daß sie aufgeladen mit Erinnerungen einen langen Winterschlaf antreten kann, der sieben mal sieben Jahre dauert. Oder mehr. Kehrt sie dann nach verregneten Jahrhunderten zurück, legt sie einem allen längst entsorgt geglaubten Krempel aufs patinierte Silbertablett: zerdrückte Sunkist-Packungen, eine Haarbürste ohne Borsten, eine abgerissene Kinokarte. Und alle, alle Kämpfe des Vergessens sind verloren.

Was haben wir, also ich, damals gegen dieses Ditty gewettert, das auf einmal europaweit aus allen spiegelverkleideten Eisdielen drang ("Einmal Vanille bitte, und wie heißt dieses Türkise?!?"), dieser gekloppte Baß, wie es damals Mode war, der billige La Boum-Sound, der diesen Franzosen nicht auszutreiben ist, diese glattgeschmirgelten Gitarren und Lexicon-Echos. So ein Schas, der tollen Sängerin, die damit ihr großes Comeback feierte nach 70 Jahren Hörfunkpause, zum Trotz. Völlig aus dem Kopf gefallen war es mir.

Nun ist, ich mußte es beim Wiederfinden mit wie mit Kirschkaugummi verklebten, nichtsdestotrotz knirschenden Zähnen feststellen, "Ella Elle L'a" ist ein ganz schön fix addiktives Stück Musik, das trotz seiner hymnischen Lobesabsicht, "petite flamme", unverschämt melancholieunterfüttert daherkommt. So ein bißchen, "dreh ruhig noch mal um", aber damit meine ich jetzt nicht die Platte. Egal.

Als ich in der schönen Stadt im Vergnügungspark saß, einer Schulklasse zuschaute beim, wie nennt man das, wenn so gummigepufferte Elektroautos zusammenbumsen?, dachte ich, man müßte eigentlich so einen Rentner-Autoscooter-Tag auf der Kirmes einrichten. So für Erinnerungssüchtige, wo aber die Wagen nicht ganz so fest zusammenstoßen, von wegen der Gesundheit her. Könnte ich das dann auch mal machen. Zu der Musik da.

Ein wenig fühlte ich mich wie Charlotte Rampling in Swimming-Pool, wenn sie als etwas verhagerte Frau der in ihrem Just out of bed-Look unverschämt hitzige Vitalität atmenden Ludivine Sagnier verstohlen beim Tanzen zu Billigmucke zuschaut. Ich könnte dann auch etwas unbeholfen in so eine Elektrokarre steigen, ehe ich allen zeige, wo der Scooter-Hammer hängt. Aber ich dachte, laß die jungen Leute da mal machen, die lernen es schon selbst.

Meine Mutter hörte als junge Frau viel von Daliah Lavi, wegen Schönheit vom Aussehen und Rauch in der Stimme, also Ähnlichkeit, und auch Sachen im Radio von Dalida, aber als die Lavi starb, meinte sie nur, na ja, so ist das halt. In der schönen Stadt stellte man sie im Kisterl wenigstens ganz nach vorn. Um das Geld hätte ich die Platte mal kaufen sollen. Vielleicht kommt mal eine Erinnerung vorbei, und dann habe ich nichts anzubieten! Na ja, letztlich doch alles nur schöne Worte, wie es wiederum bei Dalida heißt. Auch schon tot. Tu es comme le vent qui fait chanter les violons. Pfff. Alte Lieder.

Als Kind war ich ja #Team Françoise Hardy. Die war in meinem Alter und genau so unbeschwert wie ich.

>>> Geräusch des Tages: France Gall, Ella Elle L'a

Radau | 20:20h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
mark793 - Mittwoch, 7. Juni 2017, 21:34
Ich hatte es ja mehr so mit Plastic Bertrand, Sie erinnern sich sicher: Ça plane pour moi, scheitere allerdings immer noch daran, den Text mitzusingen, selbst wenn ich die Untertitel vor Augen habe.

Da ist die Nummer von der Ella, die's hat, textlich etwas eingängiger, aber da kriege ich die Stimmlage nicht hin. Aber wenn wir schon dabei sind, aus dem Nähkästchen zu plaudern: Ich lege mir manchmal einen Handbesen auf den Kopf und mache Lip-Sync zu "Voyage, voyage" von Desireless.

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kid37 - Donnerstag, 8. Juni 2017, 22:09
Der Emo-Hipster hört das ja heute in der Version von Soap & Skin, während er sich was mit spitzem Stift auf den Unterarm kritzelt.

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mark793 - Freitag, 9. Juni 2017, 00:55
Sie kennen ja Sachen. Die Nummer wäre auch eines Marilyn-Manson-Covers würdig gewesen.

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der imperialist - Mittwoch, 7. Juni 2017, 21:38
Nicht nur ihre Mutter. Ich auch. Ich hab als Kind auch Daliah Lavi gehört. Die hatte richtig guten Schlager drauf. Die war die Sade Adu des Schlagers. Großartige Interpretin. "Wär ich ein Buch im Leben". Unerreicht. Das muss auch einmal gesagt werden. Dass auch Schlager Liedkunst hervorbringt. Nur leider viel zu selten.

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kid37 - Donnerstag, 8. Juni 2017, 21:59
Das war schon nah am Chanson, und für das Umfeld der Hitparade schon außergewöhnlich.

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gaga - Donnerstag, 8. Juni 2017, 01:12
hier auch und immer noch #Team Hardy

und Lavi als Kind! Super Eyeliner und tolle Maxi-Kleider!

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kid37 - Donnerstag, 8. Juni 2017, 22:03
Ja, das Styling war astrein, die Karriere eh eher weltbürgerlich. Sie hat da eine ganz interessante Position. (France Gall z.B. hat ja auch unverfroren deutschen Schlager auf den Spuren einer, sagen wir mal, Wencke Myrhe gemacht. Immerhin sehr vorausschauend für die heutigen Methoden, den richtigen Boy zu finden.)

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gaga - Freitag, 9. Juni 2017, 00:06
...die Moves...! Und die Blumen. Und das goldene Haar. Und der Gegenschuss auf Hans Rosenthal. Und und und! Wer braucht da noch Computer Nummer Drei.

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kid37 - Freitag, 9. Juni 2017, 00:28
Die Moves! Sie sagen es. Die sind schon... besonders.

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vert - Montag, 12. Juni 2017, 00:37
in deutschland links unten heißen die ja boxautos. passt irgendwie besser.

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kid37 - Dienstag, 20. Juni 2017, 00:11
Boxcar. Scar. Ja, das ist es wohl.

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