Hü und Hott


© Violetta Says

Rumpelige Zeiten, in denen ich merke, wie Dinge schneller als ein in Deutschland geplanter Repräsentationsbau über meinen Kopf wachsen. Kleinigkeiten bauschen sich auf zu Expeditionen, für die ich einen Sherpa bräuchte. Immer deutlicher spüre ich nämlich, wie bei mir die Energie nachläßt und ich abends nach der Schicht nur noch erschöpft aus dem Blaumann krieche. Zudem geschehen Dinge, die ich nicht genehmigt habe.

Vor drei Wochen fiel mein Küchenregal von der Wand. Ich saß zum Auftakt eines als gemütlich und entspannt geplanten Wochenendes wie unschuldig über einem Honigbrot und hörte ein - ich nenne es mal - Geräusch. Als mißtrauische Spürnase klipste ich sofort meinen FBI-Ausweis, den ich einst frech mit "Fox Mulder" unterschrieben hatte, an das Revers meines Morgenmantels, schnürte wie ein Fuchs durch die Wohnung und landete schließlich in der Küche. Oh, dachte ich wie in einem Loriot-Sketch: "Das Regal hängt schief!" Ich habe dort so ein Metallregal, an dem Töpfe und Deckel und Kram an S-Haken eingehängt sind. Ohne mir Zeit für weiteres Sinnieren zu lassen, kam es in diesem Moment komplett von der Wand, mit - ich nenne es mal - ordentlichem Getöse und ohne weitere Induktion von Freude.

Interessanterweise kam mir, während ich wie in Zeitlupe in die mir entgegenkommende Gegenstandswolke griff, dieser regelmäßig erwähnte Effekt aus Naturdokumentionen über die wundersame Welt unter Wasser in den Sinn. Demnach haben Fische nämlich im Schwarm eine viel größere Überlebenschance gegen Räuber denn als einzeln durchs Wasser schwimmendes Tier. Als Laie denkt man ja, was für ein Quatsch - da schießt man doch als Haifisch einfach mit geöffnetem Maul gleich einem Rasenmäher mit Laubfangsack in so eine Futterwolke. Und ist, wenn man aus dem Schwarm heraussegelt, satt. Aber nein, so wird erklärt. Bei so vielen umherflitzenden Fischen kann sich der Hai gar nicht richtig konzentrieren, weiß nicht, wo er hinschnappen soll, und am Ende sind alle Fische entkommen.

So stand ich also verwirrt wie ein uralter behämmerter Hai in meiner Küche und wußte auch nicht recht, welchen Topf oder welchen Deckel ich zuerst greifen sollte. Es stimmt also, was die Forschung über Fische sagt. Das Regal und der kleine Topf und der mittlere Topf und zwei größere Töpfe und zahlreiche Deckel, kleinere und mittlere und größere, entkamen mir, und ich stand nur mit einer Suppenkelle da.

Die Ursache war immerhin rasch geklärt. Mein jüngeres Ich hat vor acht Jahren gepfuscht, mehr ist dazu nicht zu sagen. Andererseits: dafür, daß damals keine richtigen Dübel zur Hand waren, sind acht Jahre Halt gar nicht schlecht. Jetzt aber war ich guter Dinge, denn ich hatte mittlerweile Hohlraumdübel und sah am Horizont nur lässig eins: ein Projekt! Nun ist das Wesen der Projektarbeit: Sie ufert aus. Um es kurz zu fassen, mußte ich mehrere Untergruppen gründen, von denen eine feststellte, daß es doch nur 6er-Dübel waren (hahaha, 6er-Dübel!), eine weitere dann als Team Action directe zum Baumarkt mußte, 8er-Dübel (Metall!) zu besorgen und eine weitere Kommission dann bereits am nächsten Wochenende feststellte, daß keine Spezial-Hohlraumdübelzange im Haus war. Stück für Stück nur ging es weiter, zwei Dübel bekam ich mit einem Trick, für den ich eine längere Schraube und eine Flügelmutter brauchte, festgezurrt. Die beiden anderen indes leisteten Widerstand. Kurz gesagt, sie drehten durch, und ich dann auch.

Jetzt sind wir in Woche drei, meine Töpfe und Deckel sind immer noch auf der Anrichte verteilt, ich selbst etwas zerknirscht, und aus dem "alles kein Problem" ist eins geworden. Wenn ich also noch mal Zeit habe, die ich eigentlich nicht habe, muß ich also so eine Zange besorgen und dafür fünf Trillionen Taler zahlen, sprich die Summe, die am anderen Ende der Welt ein Fußballstar hinterzogen hat und nun - Geld ist nicht weg, sondern nur woanders, haben wir gelernt - mir an der Kasse vom Baumarkt angezeigt werden wird.

Ach und dieses noch und jenes, zum Ausgleich und aus Trotz habe ich immerhin mal wieder Fenster geputzt, uff. Streifendienst, wie es bei der Polizei heißt. Und dann erfahre ich, nachdem ich dachte, ich tue mir und meinen zahlreichen erschöpfenden Malaisen mal was Gutes, daß ich zu fett bin für eine Hippotherapie! Da ist bei 80 Kilogramm nämlich Schluß, und das ginge nur, schwänge ich mich als Lady Godiva auf den Gaul, und da ist vermutlich unter anderem der Tierschutz vor.

Kurz: Hier geht so einiges schief (und da haben wir noch gar nicht über die munter tanzende Libelle der Wasserwaage geredet, wenn das Regal erst wieder dran ist). Ich bleib jetzt nur noch im Stall.

Homestory | 17:57h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
nnier - Sonntag, 4. Dezember 2016, 21:15
Ach, Mist, und man kann jetzt auch niemanden mehr fragen. Der hätte doch gewusst, wie man mit einem Heringsdosenschlüssel den Dübel in der Wand verkanten und dann die Schraube anziehen muss, bis sich der metallene Knick im Hohlraum spreizt! Immerhin, Sie haben dann eine Hohlraumdübelzange, das kann nicht jeder von sich behaupten.

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kid37 - Sonntag, 4. Dezember 2016, 21:22
Stimmt, der hätte was gewußt. Zwei habe ich mit Schraube und Flügelmutter zum Gegenkontern geschafft. Das geht recht gut per Hand. Aber sobald Sie welche haben, die partout mitdrehen (der Gipskarton ist da auch etwas ausgefranst, da halten die Dübelkrallen einfach nicht), funktioniert das nicht. Echte Kerle ziehen natürlich einfach die Schraube mit der Zange raus, bis die Metallflügel nachgeben. Aber nun ja... Ich brauche halt 'ne Spezialzange.

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zeilensturm - Sonntag, 4. Dezember 2016, 22:23
Das Geräusch
... kenne ich. Es ist dasselbe, das entsteht, wenn man eine dieser plastikblauen Klappkisten voll dreckigem Geschirr nach der Party aus der Gartenlaube in die Wohnung im 2. Stock hinaufträgt, die Wohnungstür öffnet, die Kiste gerade noch bis knapp über die Anrichte in der Küche wuchten kann und dann in dem Moment der Plastikboden nachgibt, woraufhin sich ein Schwall sehr hässlicher und sehr benutzter Teller, Schalen, Gläser, Tassen auf den Küchenfliesenboden ergießt. Es ist das Geräusch der Apokalypse. Ein Tinnitus-induzierendes Weltuntergangsgeräusch. Die Stille danach ist durchdringender als die Stille nach dem Schuss der RAF vor Jahrzehnten. Man wartet, dass das Sonderkommando eintrifft, das doch sicher ein Nachbar gerufen hat. Doch nichts dergleichen, denn niemand achtet mehr auf den Nächsten, nicht mal bei Mord. Und dann fangen die Aufräumarbeiten an, wobei man, je weiter man sich durch die zerstörte Küche vorarbeitet, ein immer klareres Bild vorfindet: Was am hässlichsten war, hat am unbeschadedsten überlebt. Teller mit Seepferdchenmuster gar sind völlig heil geblieben und dienen noch heute in der Laube. Also, was ich sagen wollte: Ich kenne das Geräusch.

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kid37 - Montag, 5. Dezember 2016, 20:58
O Gott, was für ein Bild! Wobei dieser kurze verdutzte Moment, in dem man nach und nach (je nach Schnelligkeit und Flexibilität der Synapsen) begreift, was da gerade passiert ist... der hat schon was. Man erkennt für einen Sekundenbruchteil das Wesen der Welt. Oder sagen wir, man will nicht zu hoch greifen, des Lebens. Das ist ja bekanntlich das, was passiert, während du denkst, die Schraube hält. Oder wie John Lennon das formuliert hat.

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fabe - Montag, 5. Dezember 2016, 11:31
Therapeutisches Reiten
Hab ich auch mal gemacht. Allerdings war ich derjenige, der nebenherlief.

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kid37 - Montag, 5. Dezember 2016, 20:55
Ich dachte ja, Mensch, gönn dir doch mal was Gutes. Reha oder so. Aber gut, dann stelle ich mich eben im geschniegelten Anzug als Herrenreiter an die Bar vom Excelsior.

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kuena - Montag, 5. Dezember 2016, 13:47
Haben Sie schon wieder Urlaub? Ich denke da an den Letzten, unter der Spüle.

Guru Gurus Mani Neumeier (Was macht ihr eigentlich, wenn ihr mal älter seid?) Macht die Geräusche mit Absicht und Können (ab Minute 4)

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kid37 - Montag, 5. Dezember 2016, 20:52
Tatsächlich. Verblüffend. Genau so war es! Und er hat sie auch nicht alle erwischt.

Urlaub?! Ha, schön wäre es. Jetzt Stufe 2, Heimwerken neben der Arbeit.

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kuena - Dienstag, 6. Dezember 2016, 11:32
Das lässt sich doch noch in Stufe 3 zur nebenberuflichen Tätigkeit ausbauen, da könnten Sie die Zange mit abbezahlen. Können Sie auch verfugen, oder Treppenlifte einbauen? Ich miete. (Erste Kundenanfrage)

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kid37 - Mittwoch, 7. Dezember 2016, 00:59
Verfugt habe ich schon, und noch besser: Ich weiß jetzt auch, was ich beim ersten Mal falsch nicht optimal gemacht habe. Ich habe dabei, wie heißt das heute, ein Learning gemacht und kann es jetzt theoretisch perfekt. Ein Treppenlift wäre auch ein hochinteressantes Projekt. Ich selbst hätte aber gern einen gläsernen Außenlift, der mich sanft zu Boden bringt.

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frau eff - Mittwoch, 7. Dezember 2016, 08:45
Beim Reitprojekt nicht so schnell aufgeben! Andere Mütter haben auch schöne Pferde, also kräftige. Für Pferde, die über 80 Kilo tragen, braucht man dann aber wieder so eine Art Treppenlift.

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kid37 - Mittwoch, 7. Dezember 2016, 20:58
Ich habe mir sagen lassen, ein Klapptritt zum Aufsteigen sei auch unter geübten Reitern keine Schande. Ich springe ja immer von oben aus dem Saloon-Fenster Aber wie cool wäre das denn? Ein Treppenlift zum Aufsteigen! Geniale Idee.

Ich war jedenfalls überrascht, als ich von der Begrenzung erfuhr. Vielleicht sind das Island-Ponys.

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frau eff - Donnerstag, 8. Dezember 2016, 08:48
Island-Pony als Therapiepferd kann ich mir nicht gut vorstellen. Die Rasse ist vom Temperament eher etwas, wie soll ich sagen, übermotorisiert und eigensinnig. Ich tippe eher auf übervorsichtige Besitzer. Wenn ein gesundes, durchschnittliches Pferd keine 80 Kilo tragen könnte, wäre uns historisch einiges an Kriegen erspart geblieben. Und Sie wollen ja sogar für den Frieden reiten.

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kid37 - Freitag, 9. Dezember 2016, 13:34
Vielleicht sollte man so was wie Therapie-Treckerfahrten entwickeln. Das rüttelt und wackelt auch im dreidimensionalen Raum und hilft bestimmt, diese schwer trainierbare Skelettmuskulatur im Rücken anzusprechen. Das Sicherheitsgefühl und Gleichgewicht braucht man für so einen ordentlichen Acker-Rollator auch. Wie auch immer, ich war überrascht, daß man mir diese Möglichkeit anbot. Um sie so schnöde wieder einzuschränken. Das ist ja wie im wirklichen Leben!

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vert - Mittwoch, 7. Dezember 2016, 20:47
das letzte mal, als ich unter 80 kilo wog, war ich auf dem weg in die magersucht. vielleicht hätte mich eine hippotherapie sogar krank gemacht, wer weiß.

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kid37 - Mittwoch, 7. Dezember 2016, 21:03
Ich habe lange Jahre deutlich weniger gewogen. Deutlich. (Und laut diesem beknackten BMI wäre das sogar ok gewesen; lebensgefährlich diese Tabellen.) Auch nicht so schön, aber bei Männern wird das ja nicht so thematisiert. Doch, halt, bei einer Exfreundin mal. Die stellte ihren neuen Lover mit "Endlich mal ein kräftig gebauter Mann!" vor. Ich verkniff mir zum Glück das "Endlich mal keine kräftig gebaute Frau." So was sagt man schließlich nicht. Jeder, wie er oder sie sich wohl fühlt. Oder wie man heute sagt: Geh, wohin dein Pferd dich (noch) trägt.

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kid37 - Freitag, 9. Dezember 2016, 20:59
Cool. Wenn jemand einen Hohlraum hat, den er oder sie gern verdübelt sähe, ich komm mit meiner neuen Hohlraumdübelzange vorbei! Das geht ja wunderbar. Zack, zack, ohne Anstrengung. Passendes Werkzeug ist doch immer wieder rasch mehr wert als die Euros, die man dafür ausgegeben hat.

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kuena - Samstag, 10. Dezember 2016, 16:41
Glücklicherweise/leider habe ich gerade kein Projekt am Start für das ich eine Hohlraumdübelzange benötigte, aber gut zu wissen das Sie keine Kosten und Mühen gescheut haben und nun eine besitzen. Kann man mit einer Hohlraumdübelzange auch Hohlraumdübel wieder aus der Hohlraumwand entfernen ohne die Hohlraumwand zu zerstören? Dann komme ich vielleicht nochmal auf Sie zurück.

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kid37 - Sonntag, 11. Dezember 2016, 19:09
Auch dafür gibt es natürlich Tricks. Und Spachtel ;-)

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