Versorgungslage im Stadt-Hin-und-her



Begebenheiten spielen sich ab oder gar nicht. Bauruhe zum Beispiel gegenüber. Seit bald vier Wochen sind Kräne und Maschinen, Mensch und Material abgezogen, Enten sitzen auf den Sandhaufen, harmlose Bodenbrüter erobern das Gelände, auf dem ein Afrikakorps Manöver halten könnte. Gerüchteweise ist die Umweltbehörde eingeschritten, die Yuppisierung hier im Viertel ist kurzzeitig in der Etappe steckengeblieben.

Gelegenheit, den James-Stewart-artigen Beobachtungsposten am Fenster zu verlassen und hinaus in die Welt zu humpeln. Also in einen anderen Stadtteil. Nachdem Besuch mich mit gutem Brot (Das gute Brot!) aus der weiteren Heimat (Hier haben wir ja nüscht!) versorgt haben (Tränen der Rührung usw.), galt es, das Versorgungsangebot im Windschatten der Altonale zu testen.

Dort ernährt man sich bekanntlich auschließlich biogentrifiziert und so gab es Balkonfleisch und Spiegeleimarmelade, schön medium und weitgehend schadstoffarm. Ein Strand wie Bio de Janeiro, ich lasse mich ja gerne überzeugen. Der Akazienhonig allerdings machte mich alten Theorieimker stutzig. Nun lasse ich mir von kessen Bienen gerne viel erzählen, aber daß sie acht Beine besitzen wollen, bin selbst ich nicht naiv genug zu glauben. Die Imkerlyrik auf dem Etikett auch herzallerliebst. Natürlich könne man nicht garantieren, so heißt es dort, daß die Bienen nicht ausschließlich ökologisch bewirtschaftete Flächen ansteuern. Das wiederum glaube ich sofort. Wo die überall hinsteuern, paßt man einmal nicht auf... nun, wer wüßte das besser als ich. Aber, so fährt die einlullende Saga fort, der biologisch geschulte Imker verabreitet das alles nach Vorschriften von... usw.

Also nach Vorschriften, nach denen auch alle anderen deutschen Imker verfahren: der Honig wird kalt geschleudert, wird nicht mit anderem Honig vermischt und bleibt von Zusätzen verschont. Alles andere sind Honigprodukte mit Chili und Korn, Beimischungen aus Nicht-EU-Ländern und was es alles gibt.

Andererseits sind diese arachniden Bienen vielleicht etwas ganz besonderes. Oder aber es handelt sich um Bienen, die sich in Netzen verfingen und von Spinnen gemolken wurden, die dann wiederum von einem besonders geschulten Imker... usw.

Heute im Bus auch großes Gesummse. Es handelt sich um eine weitere Begebenheit. Der Bus war gefüllt mit mitteljungen Menschen auf dem Weg zum Großkonzert einer bekannten britischen Elektropopband mit düsterem Einschlag. Ich nenne jetzt aber den Namen nicht. Fans haben früher regelmäßig Tanz-wie-der-Sänger-Wettbewerbe ausgetragen, von denen aber waren keine im Bus. Die im Bus sahen ein bißchen so aus als wollten sie zu Bon Jovi oder den Dire Straits oder einer ähnlich gut abgehangenen Gepflegtrockveranstaltung.

In meiner Nähe ein Pärchen, der Typ Typ Maschinenbauer, jedenfalls trug er ein kariertes Hemd, also muß es ein Maschinenbauer gewesen sein. (Gegenanzeigen bitte in den Kommentaren.) Nun sind auch Maschinenbauer dufte Leute, unter meinen Leser sind die tollsten von ihnen, und es muß ja auch Menschen geben, die diese ganzen Maschinen konstruieren und bauen. In diesem Fall aber handelte es sich wohl um einen vom Leben zerfressenes Exemplar Karierthemdtrager. Seine Freundin (ja, es gibt Maschinenbauer, die haben Freundinnen, manche sind sogar mit ihnen verheiratet usw.) blieb weitestgehend stumm, während er ohne Punkt und Beistrich ätzte und hämte, daß es ein Frust war.

Irgendein Bekannter, er wolle ja nichts sagen , aber warum ausgerechnet der immer Hilfe bei Renovierungen bekäme. (Man ahnt, Mister Karierthemd ist nicht sooo beliebt in seinem Bekanntenkreis usw.) Und dann dieser Wahlkandidat auf dem Politikerplakat an der Haltestelle. Der hätte keine Ausbildung zu Ende gebracht, nichts geschafft im Leben und wolle jetzt in den Bundestag. Na, seine karierte Stimme bekäme der nicht. Und so ging es fort in einem endlosen Bewußtseinsstrom der Nörgelei als befände man sich in einem dieser Empörungsblogs. An einer Haltestelle dann fuhr ihm ein anderer Fahrgast beim Aussteigen mit dem Rollkoffer über den Fuß. Eine dieser Ungeschicklichkeiten im öffentlichen Personennahverkehr, wie sie immer wieder vorkommen und bei denen man im Stillen denkt du Trottel, paß doch auf usw. Der Karierte aber brüllte durch den Bus: "Trottel! Paß doch auf!" - so als hätte man ihm beim Tanzwettbewerb um die größte Ähnlichkeit mit dem Sänger einer berühmten britischen Elektropopband mit düsterem Einschlag, deren Namen ich aber nicht nenne, als Personal Jesus ans Kreuz geschlagen.

Was für eine stimmungstötende, naturunzufriedene Person, dachte ich. Wäre ich seine Freundin gewesen, ich hätte ihn sofort verlassen. "Du gehst mir total auf die Nerven", hätte ich gesagt. "Und ich glaube, du bist überhaupt gar kein Maschinenbauer", hätte ich nachgesetzt und mich davongemacht wie eine Biene auf acht Beinen. Sie aber blieb stumm, wahrscheinlich nämlich bewahrte er die Karten für die britische Elektropopband mit düsterem Einschlag in seiner karierten Brusttasche. So sah der aus.

Das ist, was heute passiert ist. Auch viel Menschliches war dabei.

Homestory | 23:37h, von kid37 | Kondolieren | Link

 
montez - Dienstag, 18. Juni 2013, 17:03
Auf keinen Fall ein Maschinenbauer. FDP-Pressesprecher. Die Politikschaffenden brüsten sich doch sowieso auch gerne mit dem Besuch von Rockkonzerten. Gepflegtrockveranstaltungen wie ACDC und so.

Bei uns gab es sogar Seh-aus-wie-der-Sänger-Wettbewerbe, war ja ganz einfach, bisschen Lippenstift verschmieren und so einen transparenten Friseurschal im Haar drapieren. Nicht besser.

Ja, diese Sache mit den Bienen beschäftigt mich auch schon lange. Das mit dem Ansteuern. Renitente Biester.

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kid37 - Dienstag, 18. Juni 2013, 17:51
Hm. Ob der aber "hat nichts geschafft, will aber in den Bundestag" gesagt hätte? Untere Bauleitung hätte noch gepaßt. Also einer mit Durchblick, Führungsqualitäten, guten Zeugnissen. Und großzügigem Wesen.

Ich habe mich vor Jahren mal als Don Pascal verkleidet, das war eine große Gaudi. Selbst Bekannte hätten mich vom Original kaum unterscheiden können. Ach ja, dear, dead days.

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montez - Dienstag, 18. Juni 2013, 18:36
Ich finde, Geringschätzung von Abgeordneten passt eigentlich nicht schlecht zu einem Pressesprecher. Aber na gut.

Vielleicht was beim Finanzamt, und das Karierte war der entspannte Freizeitlook (Heute mal RICHTIG lässig)?

Hinreißend, der Don Pascal.

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kid37 - Mittwoch, 19. Juni 2013, 00:19
Er war so Typ die Leistungsträger müssen entlastet werden! und es ist eine dekadente Sauerei, daß Minderleister auch noch Renovierungshilfe von ihren Freunden erhalten, ja daß solche Menschen überhaupt Freunde haben - aber man will da nichts gesagt haben, also vielleicht doch bei der FDP.

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kaltmamsell - Dienstag, 18. Juni 2013, 20:43
Da ich in meinem Leben viel und ausführlich mit Maschinenbauern und -bäuerinnen zu tun hatte, halte mich dann doch für sowas wie eine Expertin in der Maschinenlandwirtschaft (für eine entsprechende Bauchbinde in einem TV-Interview sollte es reichlich reichen). Und so tue ich kund: Der Maschinenbauer wird zwar im Karohemd geliefert (Maschinenbaupraktikanten sind daran zu erkennen, dass ihnen noch keines gewachsen ist), umgekehrt aber lässt sich von Karobehemdung keineswegs auf eine abgeschlossene Ausbildung in Maschinenbau schließen. Es mag sich nämlich einfach um ein "Freizeithemd" handeln, wie es Branchen-übergreifend für den Teil des männlichen Lebens angeboten wird, der kein Geld einbringt.

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kid37 - Mittwoch, 19. Juni 2013, 00:17
Da gebe ich Ihnen vollumfänglich recht. Meine Assoziationskette ist da vielleicht selbst etwas, nun ja, kleinkariert. Mir ist dieser sehr ehrenwerte Berufsstand seit Uni-Tagen entfremdet, ich bin folglich sozial etwas verahnungslost. Als konzerttauglich empfundenes (Heute/hau'n wir auf die Pauke... usw.) Freizeithemd, das wird es sein. Vielleicht auch eine Art soziales Mimikry, im Versuch, die quasi naturgegebene Kompetenz eines ordentlichen Maschinenbauers auszustrahlen. Ihm strebte jedenfalls nach Überlegenheit, wenn auch, man muß es leider bemerken, auf etwas kümmerliche und nervtötende Weise.

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maz - Mittwoch, 19. Juni 2013, 00:31
O ja, Maschbauer sind ziemlich nervtötend. Keine Ahnung warum. Aber ich habe es meistens so erlebt.

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carodame - Mittwoch, 19. Juni 2013, 00:48
Karohemdenmissbrauch habe ich gleich vermutet. Ich ordne diese Typen der Gattung Spezialhasenartige (Amtshase,Taxihase, falscher Maschinenbauhase u.v.a.m.)zu. Sie gehören alle zur Familie der Angsthasen. Im ständigen Bemühen, unentdeckt zu bleiben, gebärden sie sich paradoxerweise lärmend, mobbend und motorisch überschießend, um bei geringstem Anlass wimmernd in ihrer Sasse zu verharren. Es gibt wohl Phasen besonderer Aktivität, in denen sie in Scharen auftreten und sich in harmlosen Ansammlungen relativ sicher fühlen. Wir haben jetzt wieder eine Phase der Hasenströme, begleitet vom verheißungsvollen Summen verschiedenster Achtbeiner. Ihre Beobachtung ist also nicht verwunderlich.

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kid37 - Mittwoch, 19. Juni 2013, 22:41
Wir Gehirnchirurgen wurden von Maschinenbaustudenten ja gerne von oben herab als "Ah, Geisteswissenschaftler! Na, die muß es wohl auch geben" abgekanzelt. Sicher auch so eine Art Mißverständnis Hasenreflex. Sehr schön beschrieben, Frau Carodame. Ich hätte den guten Mann wirklich fragen sollen, was er denn nun eigentlich so schafft den ganzen Tag.

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prieditis - Mittwoch, 19. Juni 2013, 12:18
Ja isset denn...
ich bin fast geneigt, eine soziale KaroNetzwerkgruppe ins Leben zu rufen. Titel: "Nick Knatterton war kein Maschinenbauer!"

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maphisti - Mittwoch, 19. Juni 2013, 15:03
Wirklich wahnsinnig, was Sie alles erleben ... und wie Sie es uns verklickern!!
Fühle mich erinnert:" Es gibt keine Leute, die nichts erleben; es gibt aber Leute, die nichts davon merken." (Curt Goetz)
Zu der letzteren Gruppe gehören Sie wahrlich nicht!

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monnemer - Mittwoch, 19. Juni 2013, 15:41
Obwohl vom Maschinenbauer so weit entfernt, wie die karo lounge von der KaroQuadratestadt, trage ich Karohemden meines Großvaters auf gerne und mit einer gewissen provinziellen Nonchalance.
Aber in diesem Internet wird ja alles verunglimpft!

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maphisti - Mittwoch, 19. Juni 2013, 19:21
Übrigens, ich mag Karohemden. Wenn dann noch ein Krachlederne dazu kommt ... einfach umwerfend!

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kid37 - Mittwoch, 19. Juni 2013, 22:37
Ich sehe schon, unrecht geschieht dem Karohemd! Ich hätte folglich diesem Nörgelheini die Uniform vom Mißgunstpanzer reißen sollen oder mindestens rufen: Enjoy The Silence!

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ana - Mittwoch, 19. Juni 2013, 20:38
Zur Imkerlyrik noch ein Gedicht von Lessing:

Die Biene

Als Amor in den goldnen Zeiten
Verliebt in Schäferlustbarkeiten
Auf bunten Blumenfeldern lief,
Da stach den kleinsten von den Göttern
Eine Biene, das in Rosenblättern,
Wo es sonst Honig holte, schlief.

Durch diesen Stich ward Amor klüger.
Der unerschöpfliche Betrüger
Sann einer neuen Kriegslist nach:
Er lauscht in Rosen und Violen;
Und kam ein Mädchen sie zu holen,
Flog er als Bien heraus, und stach.

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maphisti - Mittwoch, 19. Juni 2013, 21:34
Und noch eins:
Da saß ein Bienchen auf einem Steine,
kam ein Hund daher, fest an der Leine,
bellte und schnappte und machte Radau.
Das Bienchen aber summte nur leise: "Miau."

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kid37 - Mittwoch, 19. Juni 2013, 22:35
Ah, der Lessing. Das ist ja wie heutzutage, die Zeiten haben nichts geändert.

Frau Maphisti, haben Sie eine Quelle? Nicht, daß das von einem dieser noch nicht lang verstorbenen Dichter mit abmahnfreudigen Erben ist.

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kid37 - Mittwoch, 19. Juni 2013, 22:42
Schwarz-Brot-Gold
Aber niemand bemerkt die nahrhaften Scheiben. (Wie gut da Honig drauf schmeckt! Auch der von den achtbeinigen.)

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maphisti - Mittwoch, 19. Juni 2013, 23:12
Herr Kid, keine Sorge, behalten S' nur ruhig' Blut!
Niemand wird grellig wegen dös' Gedankengut.

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maphisti - Donnerstag, 20. Juni 2013, 02:41
Nachtrag zu "Schwarz ...":
Milch (ganz wichtig!) muss dabei aber auch unbedingt fließen! Quelle: die Bibel!

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kid37 - Freitag, 21. Juni 2013, 00:38
Verstehe. Celan im Land wo heuer Brot und Honig fließen.

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prieditis - Freitag, 21. Juni 2013, 00:54
Jetzt, ja, tatsächlich. Hab ich zuerst gedacht: komischer Name.
Dann: ach, kennste doch
dann kam das Karohemd und ich war abgelenkt.

Wenn das die Backstube der Eickener Straße ist, dann kenn ich die Schnittchen. Am liebsten mit "Kraut"*

*Kraut - Apfel-/ Zuckerrübensirup

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kelly mg - Freitag, 21. Juni 2013, 16:18
Genau, von der Bäckerei Keusen auf der Eickener Straße. Kraut oder Käse ist die Frage, manche (Karohemdträger?) essen hierzulande beides zusammen auf Schwarzbrot.

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prieditis - Freitag, 21. Juni 2013, 18:57
manchmal garnier ich das mit einer Scheibe Rosinenbrot

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kid37 - Freitag, 21. Juni 2013, 19:26
Sie wissen schon, daß ich hier im Brot-Exil lebe?

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maphisti - Samstag, 22. Juni 2013, 00:08
Verstehe, des Brotes bar. Wie wär's mit Manna? Es soll sich dabei ja um eine Art Honigtau handeln.

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kid37 - Sonntag, 23. Juni 2013, 16:22
So schließt sich der Kreis, wunderbar.

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